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Heinz Strunk

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Loser-Lektüre

In der Kurzgeschichtensammlung „Das Teemännchen“ porträtiert Wunderwuzzi Heinz Strunk die Gescheiterten der Gesellschaft. Pointiert, aber ohne Pointe. Lakonisch und zutiefst traurig.

Von Alex Wagner

Wenn Heinz Strunk eine neue Visitenkarte braucht, tut er sich schwer: Was soll er bloß als Job angeben?

Heinz Strunk ist Humorist, das Wort „Comedian“ hasst er: „Wo Comedy drauf steht, ist Scheiße drin“, sagt er in jedem zweiten Interview. Heinz Strunk ist auch ein Drittel der Telefonscherzterrortruppe Studio Braun, Moderator, Schauspieler, Musiker, Politiker (DIE PARTEI), er macht Podcasts und schreibt Romane (sein Durchbruch: „Fleisch ist mein Gemüse“), Drehbücher, Kolumnen für das Satiremagazin Titanic und für extra 3. Er hat die fiktive Band Fraktus mitbegründet und wird spätestens seit „Der goldene Handschuh“ - einem Roman über einen Hamburger Frauenmörder - auch vom Feuilleton gefeiert. Das Buch wurde von Fatih Akin verfilmt und befindet sich gerade in der Postproduktion. Einmal wurde Heinz Strunk als Kunst- und Kulturschaffender vorgestellt und er selbst hat ergänzt: „mit Schwerpunkt Humor“. Vielleicht steht das ja auf seiner Visitenkarte.

Heinz Strunk ist der König aller abgeranzten Luftschlösser, ein Meister der Melancholie, der Prinz des Pipi-Kacka-Ekel-Humors. Auch in seinem neuesten Buch „Das Teemännchen“ ist Heinz Strunk wieder als Elendsforscher tätig. Ganze 50 Kurzgeschichten sind in dem Buch versammelt, manche davon nicht mal eine halbe Seite lang. Heinz Strunk kehrt dabei zu seinen Anfängen zurück, zu den kurzen Erzählungen, wie er sie schon bei Studio Braun oder als Musiker umgesetzt hat, zur Verdichtung. Das Komprimieren habe ihn immer schon mehr gereizt als das Fabulieren, meint Strunk. Seine Themen sind dabei die altbekannten: Fettleibigkeit, Körperverfall, Einsamkeit, sexuelle Begierde, die oft unbefriedigt bleibt, Alkoholprobleme und der verzweifelte Versuch, mehr aus seinem kleinen bescheidenen Leben zu machen. Wie zum Beispiel in der Kurzgeschichte „Yummy Whoop Fuck“:

„Wenn jemand sie fragt, was sie so macht, antwortet sie: Bloggerin. Ausgerechnet sie, mit ihrem Vokabular auf unterstem Bravo-Girlie-Niveau. Aber tatsächlich: Überall ist sie vertreten, Snapchat, Instagram, Facebook, Twitter. Ihr Motto: «Wer morgens zerknittert aufsteht, hat am Tag die besten Entfaltungsmöglichkeiten.» Oder: «Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen, ich schulde ihnen noch ein Happy End.» Oder: «Ich habe meine Jogginghose in die Waschmaschine getan, damit sie weiß, was Bewegung ist.» Alles natürlich nicht auf ihrem Mist gewachsen. Auf Facebook postet sie mehrmals am Tag, wofür sie zwischen fünf und zehn Likes bekommt. Zur Influencerin langt es also noch nicht ganz.“

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Heinz Strunk porträtiert in „Das Teemännchen“ die Loser der Gesellschaft, die Gescheiterten der Zivilisation. In der titelgebenden Kurzgeschichte „Das Teemännchen“ geht es zum Beispiel um einen Geisteswissenschaftler, der nicht weiß, womit er sein Geld verdienen soll, und schließlich einen Teeladen dort eröffnet, wo tote Hose herrscht. Sein Start-Up scheitert. Eine andere Geschichte handelt von einer potentiellen Schönheitskönigin, die als Servicekraft im „Borstelgrilleck“ versauert und nichts aus ihrem Leben macht. Schlussendlich wird sie als alte Frau in den Keller befördert, um dort die Gerichte für den nächsten Tag vorzubereiten, weil selbst dem Chef vor ihr graust. Eine andere Story wiederum erzählt von zwei Heavy-Metal-Typen, die in einer Bar arbeiten und junge Frauen abfüllen, bei denen sie ohne Alkohol nie eine Chance hätten. Und dann wäre da noch die Geschichte rund um den alternden Axl Rose, der seinen Zenit längst überschritten hat, der es aber noch einmal wissen möchte. Wissen, wie es ist, nach einem Auftritt auszugehen, unter echten Menschen zu sein, in Rosi´s Bar Spaß zu haben:

Buchcover "Das Teemännchen" von Heinz Strunk

Rowohlt

Die Kurzgeschichtensammlung „Das Teemännchen“ von Heinz Strunk erscheint am 21. August im Rowohlt Verlag.

„Dann traut sich endlich einer (Sven heißt der) und spricht ihn an. Die Bodyguards gehen sofort in Stellung, aber Axl gibt mit einer Handbewegung Entwarnung. Sven will, was alle wollen: 1) ein Selfie, 2) ein Autogramm (gerne auch auf der Haut), 3) ihn volltexten: Guns n’ Roses sei die wichtigste Band seines Lebens und neben AC/DC die Größten. Tatsächlich kennt er nicht nur die Erfolgsalben, sondern auch das 2008 grandios gefloppte Chinese Democracy. Trotzdem geil. Ob er aktuell Kontakt zu Slash oder Izzy Stradlin oder Duff McKagan habe, eine Reunion geplant sei usw.? Obwohl Axl diese Fragen leid ist, macht er heute eine Ausnahme und steht bereitwillig Rede und Antwort. Er hat angenehm einen sitzen, und ihm gefällt das hier von Minute zu Minute besser. Einfach so mit Leuten quatschen. Macht richtig Spaß irgendwie, alles ist genau so, wie er es sich vorgestellt hat, ach was, besser. Für Sven ist die Begegnung mit AR mutmaßlicher Lebenshöhepunkt. Der arme Sven. Arm, weil er ein Schuppenflechte-Typ ist, trocken und fettig zugleich. Keine dreißig und so schütteres Haar, das es den Blick bis auf die Kopfhaut freigibt, glänzende Stirn voller Pickel, gerötete Augenlider, stummelige Finger mit abgekauten, entzündeten Nägeln.“

Heinz Strunks Figuren frönen dem Fatalismus. Sie akzeptieren die Dinge, wie sie sind. Sie wissen, dass sie das Elend immer verfolgen wird, wie ihr eigener Schatten. Politisch korrekt ist das freilich nicht, lustig macht sich Heinz Strunk über das Schicksal seiner Figuren aber auch nicht. Heinz Strunk schreibt pointiert, aber ohne Pointen. Die Kurzgeschichten in „Das Teemännchen“ sind lakonisch und tieftraurig, die Sprache bildhaft, fantastisch, große Fabulierkunst. An einigen Stellen schimmern Heinz Strunks Vorbilder Michel Houellebecq und Botho Strauß durch. Wer an dem ernsten Heinz Strunk Gefallen gefunden hat, kann ohne Zögern zu „Das Teemännchen“ greifen.

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