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Norbert C. Kaser

© Hannelore Bachheimer

Buch

„der unbaendige geist eines liederlichen haderlumpen“

Heute jährt sich der Todestag des vielleicht größten Südtiroler Dichters Norbert C Kaser zum vierzigsten Mal. Zu diesem Anlass erscheint sein Briefroman „hier bin ich niemand d.h. ich“ erstmals als eigenständige Publikation.

Von Boris Jordan

Vieles, wogegen Norbert C. Kaser in seinem kurzen Leben angeschrieben hat, gibt es nicht mehr: Die dörfliche Armut im Südtirol seiner Kindheit, den regel- und zügellosen Zugriff von Klerikern und Autoritäten auf das Leben der dort lebenden Menschen, das Selbstbewusstsein der Politik gegenüber der Kunst.

„Der unbaendige geist eines liederlichen haderlumpen wie ich es vielleicht bin“

Vieles, wogegen Norbert C. Kaser angeschrieben hat, hat ihn überlebt: Die selbstgefälligen, ungebildeten Machertypen Tiroler Provenienz, das Misstrauen gegenüber und die Ausgrenzung von Andersartigem, der älplerische Fröhlichkeitskitsch mit seinen Holzschnitzfassaden, der alles überragende Kommerzgedanke, der den freien Geist und den Zusammenhalt der Menschen unterdrückt und verunmöglicht.

Vieles, was sich Norbert C Kaser herbeigesehnt hat, gibt es noch immer kaum: Eine im Land ansässige Südtiroler Literatur, die in der Bevölkerung verankert ist, einen befruchtenden Austausch zwischen den Südtiroler Sprachgruppen, eine echte, formensprengende und progressive Moderne in der Lyrik, selbstständige, selbstbewusste Intellektuelle auf dem Land, die den städtischen Entwürfen eine eigene, nicht engstirnige oder rückwärtsgewandte Wahrnehmung entgegensetzen, und - nicht zuletzt - eine freie, von Autorität und Bürokratie befreite, auf die Lebenswelten der Kinder zugeschnittene Schule. Denn Norbert C. Kaser ist Zeitlebens Hilfslehrer gewesen und hat die Texte der Schulbücher durch eigene, speziell für seine SchülerInnen verfasste, ersetzt.

„ich habe eine geliebte: die schule. aber sie muß nach meinem geschmack gehen. sie muß schoen sein wie ich es will“

Am 21. August 1978, vor 40 Jahren, ist Norbert C Kaser einer Leberzirrhose erlegen. Davor hatte er versucht, von seiner Literatur zu leben, sich mit schlecht bezahlen Jobs (meist den des nur in Südtirol institutionalisierten, nichtakademischen Hilfslehrers) durchzuschlagen, ist herumgereist, immer pleite und/oder verschuldet und mit dem Leben kämpfend, Unmengen an Alkohol und Zigaretten konsumierend, stets mit einer genauen, teilweise recht brutalen Beobachtungsgabe alles niederschreibend.

Die Art, wie Norbert C. Kaser seine kargen, teils verzweifelten, teils souverän unduldsamen und sparsamen Zeilen mit ihren wohlgewählten und nicht selten grausam platzieren Worten verfasst hat, ist unverkennbar. Das beginnt mit seinem Schriftbild: Beeinflusst von Arno Schmitt und E. E. Cummings, angeregt von der Wiener Schule, hat er stets so geschrieben: Alles in Kleinbuchstaben, ohne Satzzeichen (mit Ausnahme des Punktes), immer mit der Und- Ligatur „&“ und ausgeschriebenen Umlauten, in Gedichten mit einem auf keine Worttrennung Rücksicht nehmenden Zeilenumbruch. Jeder Text von Kaser ist auf einen Blick zu erkennen. Auch thematisch weiß man in allen Phasen woran man ist: Ruhig erzählend, wild schimpfend, bitter und ironisch, nachdenklich und manchmal schwärmerisch, nie geschwätzig, immer genau und schneidend kann man mit der vom Innsbrucker Brenner Institut herausgegeben Gesamtausgabe durch seine Gedanken über Literatur, Leben, Gott und vor allem sich selbst stöbern und bekommt ein paar der besten modernen Gedichte, die in deutscher Sprache zu haben sind.

Norbert C. Kaser in Norwegen

Die meisten Texte von Norbert C. Kaser sind Gedichte oder persönliche Briefe. Der soeben erschienene Briefroman „hier bin ich niemand d.h. ich“ ist sein längstes zusammenhängendes Prosawerk und ist soeben erstmals (außerhalb der vom Innsbrucker Brenner Archiv herausgegebenen Gesamtausgabe) als eigenständige Publikation erschienen.

Buchcover mit Bild von einem Segelschiff

Haymon Verlag

„hier bin ich niemand d.h. ich“ von Norbert C. Kaser ist im Haymon Verlag erschienen.

Kaser hatte in Wien im Beisl einen Norweger kennengelernt und war auf dessen Einladung im Sommer 1970 auf die Kleine Insel Stord vor Bergen gereist, um dort als Deutschlehrer zu arbeiten und in Ruhe einen „Briefroman“ zu verfassen. Er hatte von vornherein vorgehabt, die unregelmäßigen Notizen aus Stord zu einem Gesamtwerk zu formen, weshalb das Buch eine interessante Struktur aufweist: Die Briefe sind mit Buchstaben bezeichnet, die sich nicht an ein Alphabet halten, sondern ihm erlauben, unter den Buchstaben immer wieder auf verschiedene Themen einzugehen.

Das Vorhaben ist nicht von besonderem Erfolg gekrönt: Job als Deutschlehrer gibt es in dieser Einschicht keinen, er jätet im Auftrag der Gemeinde Unkraut und kehrt die Wege. Er lebt im Haus des Freundes, beklagt die Abwesenheit von Alkohol, versucht sich zu verlieben, ist einsam und voller Heimweh und beobachtet in vielen zusammenhängenden Miniaturen die Norweger, ihre Manierismen und Eigenheiten, die merkwürdige Sprache, die wilde Natur, die Kirche, oder – vor allem – seine eigene Verortung in alldem.

Hier finden sich nicht wenige der für Kaser typischen knappen Beobachtungen: Wie hier die Beschreibung, wie er mit anderen Gemeindearbeitern die Aufgabe hat, ein verendetes Schaf zu begraben:

noch weiter ... & dann liegt es da. seit mona-
ten vielleicht der schaedel das uebrige die wolle an den
steinen oder foehrenzweigen. kein fleisch mehr. das sol-
len wir wegschaffen einpacken & vergraben. der sinn der
werkzeuge liegt offen. wenn der wind vom kadaver zu dir
weht stinkt es. sonst ist die luft rein klar wie geschnitten.
wie einer mit dem spaten unter den schaedel faehrt faellt
die struktur des ganzen leibes in sich zusammen. ich halte
den sack auf. es stinkt ... bedaechtig fuellt man mir ein: an
der unterseite des kadavers birst leben ueber und ueber
sind die reste von flinken weißen glanzvollen wuermern
bedeckt lichtscheu & verfressen mit schwarzen schuhge-
wichsten koepfen. in einem sack hat alles platz es dauert
nur 4 minuten das einfuellen. dann rauchen wir. spaeter
graben wir ein loch alles hinein & zu.

Dazwischen, in Einsamkeit, lässt er sich auch zu Verspielterem hinreißen, wie der „poesie, eine zigarette zu drehen“

man moechte meinen das waere ein poeti-
sches volk hier aber nein auch wenn sich alle
die zigaretten mit viel geschicklichkeit sel-
ber drehen. vielleicht stehen sie dem vorgang
mit zuviel selbstverstaendlichkeit gegenue-
ber oder sie erkennen in der perfektion ihrer
sich drehenden finger kein nennenswertes
ereignis.
mir hingegen gelingt noch lange nicht jede: entweder be-
steht die gefahr daß sie in der mitte einen bauch kriegen
oder es kann mir das papier brechen einfach gesagt wird
jede zigarette anders mehr oder weniger rauchbar. mit
leicht schwitzenden fingern ist das drehen einfacher mit
schmutzigen versandeten trockenen fingerkuppen komme
ich ins schwitzen. auch waere es gut wenn ich mich nie-
dersetzte im gehen oder stehen mißlingen die meisten. die
finger mit der zunge anzufeuchten wenn sie trocken sind
ist nicht ratsam: das papier bricht dann. trockener krue-
meliger tabak hat seine tuecken. tabak aus frischen pac-
kungen ist eine wonne. auch drehe ich mir oft einen vor-
rat wenn meine finger & meine seele danach sind ... das
wuerde keiner tun.

Kaser muss am Ende das ganze Unternehmen als „gescheitert betrachten“ und hat sich auch zeitlebens nicht um eine Veröffentlichung der „Briefe aus Stord“ bemüht. Für Spätgeborene ist es nicht der schlechteste Einstieg in dieses zugleich klare und rätselhafte Werk eines - nach kurzer Anerkennung in den Achtziger Jahren - wieder vom Vergessen bedrohten Autors.

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