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Screenshots aus dem Spiel "Tempest 4000" -  neonfarbene geometrische Figuren auf schwarzem Grund

Steam

Die untote Videospielhalle

Frenetisch-grelle Retrogames aus der Videospielhalle der Achtziger Jahre sind hippe Popkultur-Artefakte. Doch als Spiele sind sie weitgehend obsolet. Ein aktueller Beweis dafür ist ein kürzlich erschienenes Re-Remake eines Klassikers, der aus der Zeit gefallen scheint.

Von Robert Glashüttner

In Games-Shops und –Abteilungen der Kaufhäuser finden sich neben Spielen oft auch dazugehörige Merchandise-Produkte kommerziell erfolgreicher Marken: „Call of Duty“, „Pokémon“, „Dark Souls“, und so weiter. Erstaunlicherweise liegen daneben immer wieder auch Kappen, T-Shirts und Turnsackerl, die sich auf Videospiel-Urahnen wie „Pac-Man“, „Asteroids“ oder „Dig Dug“ beziehen.

Diese bunten, jahrzehntealten Spielhallen-Klassiker der Achtziger Jahre sind immer noch attraktiv - allerdings fast nur noch als Kultobjekte und weniger als Spiele. Man liest oder sieht nostalgischen Science-Fiction-Kitsch der Marke „Ready Player One“ oder unterhält sich mit ulkigen Games-Filmen wie „Pixels“ oder „Wreck-It Ralph“. Allerdings erregen die darin präsentierten Games nicht eine so hohe Aufmerksamkeit, dass sich - vor allem jüngere - SpielerInnen tatsächlich aktiv mit diesen verhältnismäßig antiken Titeln auseinandersetzen würden. Die moderne Videospielwelt ist einfach schon zu weit von dieser Vergangenheit entfernt, so dass das Spielen der Games der ersten Retrowelle (wiederentdeckte Titel aus den Jahren 1979 bis 1987) samt ihrer zeitgenössischen Epigonen mittlerweile fast nur noch eine Nische für die Altvorderen ist.

Screenshots aus dem Spiel "Tempest 4000" -  neonfarbene geometrische Figuren auf schwarzem Grund

Steam

„Arcade is Dead“

Unter diesem Titel hat die finnische Firma Housemarque, eines der letzten aktiven Games-Entwicklerstudios, das sich noch maßgeblich an den frühen Klassikern der Videospielhalle orientiert hat, Ende 2017 einen Abschiedsbrief veröffentlicht. Die Kernaussage lautet: Auch wenn die Presse und EnthusiastInnen ihre neonfarbenen Shoot’em up-Games konsequent gepriesen und gefeiert haben, sind die Verkaufszahlen stets hinter den Erwartungen geblieben. Mittlerweile sind die ehemals letzten Mohikaner ins andere Extrem umschwenkt: Im Zuge einer ultimativen Marktanpassung arbeiten die Finnen nun an einem Battle-Royal-Spiel namens „Stormdivers“ und fügen sich damit in das derzeit kommerziell erfolgreichste Games-Genre ein. Im kürzlich veröffentlichten Trailer purzelt es deshalb Dislike-Daumen von den Arcade-FreundInnen. Aber auch die enttäuschten Fans werden früher oder später weiterziehen. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

Ein haariger Gallier namens Minter

Nun könnte man glauben, dass wilde Retro-Arcade-Eskapaden fast nur noch von japanischen Underground-Designern oder experimentellen Game-Jam-TeilnehmerInnen durchexerziert werden. Doch einer der alten Garde ist noch übrig und stemmt sich schon seit vielen Jahren vehement gegen den Wandel der Zeit: Jeff Minter, britischer Gameprogrammierer und -designer, hat in den frühen Achtziger Jahren begonnen, schnelle, psychedelische Spielhallen-Kracher für den Heimcomputer umzusetzen und ihnen bald schon seinen eigenen Stempel aufgedrückt.

Jeff Minter

CC BY-SA 2.0 by Vincent Diamante via Wikicommons

Jeff Minter (CC BY-SA 2.0 by Vincent Diamante via Wikicommons)

Als die 8-Bit-Zeit und damit auch der erste Arcade-Hype vorbei waren, sind Minters Veröffentlichungen weniger geworden, bis sie dann Mitte der Neunziger eingebrochen sind. Erst Ende der Nuller Jahre kam das Comeback mit Games für die Xbox 360 und später für iOS. Seither wird Jeff Minters ungebrochene Leidenschaft für grelle, rasante Old-School-Geschicklichkeitsspiele für Hartgesottene nur noch von seiner amüsanten Missmutigkeit und seiner Liebe zu Huftieren getoppt, die man fast täglich auf Twitter nachverfolgen kann. Nichts hat ihn je davon abgehalten, aktuelle Varianten seiner immer wiederkehrenden, interaktiven Neon-Explosionen für unterschiedliche Computer- und Konsolensystemen umzusetzen. Und obwohl Games im alten Arcade-Stil nun kommerziell tot sind, spielt Jeff Minter weiterhin mit ihren untoten Pixeln und bedient damit die letzten Fans, die geblieben sind.

Tunnel-Tohuwabohu

Wie weit die Games-Gegenwart und das Aufrechterhalten einer überholten Videospielgattung mittlerweile voneinander entfernt sind, zeigt „Tempest 4000“, ein von Minter entwickeltes, aktuelles Re-Remake eines Arcade-Spiels von 1981. „Tempest“, ursprünglich designt von Dave Theurer, ist ein sogenannter Tube-Shooter, der im Original mit einem Drehregler (englisch: Spinner) gesteuert wurde. Man lenkt dabei ein Croissant-förmiges Raumschiff, das auf unterschiedlichen geometrischen Formen surft, wo unentwegt Gegner auftauchen, die abgeschossen werden müssen.

Jeff Minter hat das Game bereits 1994 als „Tempest 2000“ wiederbelebt, zwanzig Jahre später veröffentlichte er dann eine zeitgenössischere Version unter dem kryptischen Namen „TxK“ (es war die Zeit eines Rechtsstreits mit Atari, der die Rechte an „Tempest“ hält). Damals ist das Games exklusiv für die heute obsolete tragbare Konsole Playstation Vita erschienen. „Tempest 4000“ ist quasi dasselbe Spiel wie „TxK“, nur eben jetzt unter offiziellem Namen und für Windows, PS4 und Xbox One erhältlich.

Screenshots aus dem Spiel "Tempest 4000" -  neonfarbene geometrische Figuren auf schwarzem Grund

Steam

Aus der Zeit gefallen

„Tempest 4000“ erschlägt einen vom ersten Level an mit wabbeliger Steuerung, rasch zunehmender Geschwindigkeit und Schwierigkeit, hektischen Gegnern, einer unentwegten Neon-Explosion und peitschenden Dance-Tracks. Es ist audiovisuell und spielerisch wie jedes Game von Jeff Minter: aufdringlich und unnachgiebig. Die Steuerung lässt sich nicht anpassen, manche Spielelemente werden nicht erklärt, einsteigerfreundliche Spielmodi sind unerwünscht und deshalb nicht vorhanden.

Minter-Oevre

Das eine oder andere Game von Jeff Minter anzuspielen, zahlt sich aus. Titel für iOS sind etwa recht günstig, und wer eine PS4 hat, der oder dem sei „Polybius“ zu empfehlen, das übrigens auch mit PSVR-Headset läuft.

Selbst eingefleischte Arcade-Überlebende sind mit dieser Version von „Tempest“ nicht zufrieden: einige monieren das Fehlen der Steuermöglichkeit mit einem Spinner (wie im Spielhallenoriginal von 1981), andere die mageren Spieleinstellungen an sich. Wer keine hohe Frustrationstoleranz hat und kein Vorwissen über diese Spielegattung mitbringt, wird das Game sowieso nach zehn Minuten kopfschüttelnd beenden.

Bleibt die Frage, für wen dieses sture Festhalten an überholt-musealen Teilen der Videospielkultur überhaupt betrieben wird. Bei den finnischen Entwicklern von Housemarque sind die erhofften Verkäufe ihrer im Arcade-Stil designten Games jahrelang ausgeblieben. Ähnlich wird es sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wohl auch mit „Tempest 4000“ zutragen. Doch trotz aller Kritik ist der Widerborstigkeit von Jeff Minter Respekt zu zollen: So lange konsequent bei der Sache bleiben, unabhängig davon, wie sehr man schon im Abseits steht - das verdient Anerkennung. Und einen langen Eintrag in die Geschichtsbücher der digitalen Spielkultur.

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