FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Schild: Welcome to Kabul

WAKIL KOHSAR / AFP

Freiwillig zurück

Mehr als die Hälfte der Asylwerber aus Afghanistan hat 2017 einen negativen Bescheid bekommen. Viele werden wieder in das unsichere und instabile Land abgeschoben. Doch einige gehen auch freiwillig zurück.

Von Lukas Lottersberger

Der 20-jährige Samadi Mohammad war 2018 wohl einer der ersten freiwilligen Rückkehrer von Österreich nach Afghanistan. Zweieinhalb Jahre war er hier, bis er am 2. Jänner in Kabul gelandet ist. Danach ging es für ihn weiter nach Ghazni zu seiner Familie. „Ich hatte familiäre Probleme in Afghanistan, deshalb bin ich zurückgegangen“, erzählt Samadi am Telefon, ohne näher auf die familiären Probleme einzugehen. „Es war meine eigene Entscheidung“, sagt er.

Zwar war es seine eigene Entscheidung, doch es gab auch ein probates Druckmittel: Samadi hatte einen negativen Asylbescheid, so wie viele andere freiwillige RückkehrerInnen. In so einem Fall bleiben nicht viele Möglichkeiten - abgewiesene AsylwerberInnen mit „durchsetzbarer Rückkehrentscheidung“ müssen Österreich früher oder später verlassen.

Anstatt zu warten, bis die Fremdenpolizei anklopft, reisen viele von ihnen nach einem Negativbescheid freiwillig aus. Denn gegenüber zwangsweise Abgeschobenen haben freiwillige RückkehrerInnen einen entscheidenden Vorteil: Sie werden bei der Rückkehr deutlich besser unterstützt.

Für die unterschiedlichen Rückkehrländer gibt es verschiedene Rückkehr- und Reintegrationsprogramme. Im Fall von Afghanistan gibt es drei Anlaufstellen: Die International Organisation for Migration (IOM) der Vereinten Nationen, das Programm IRMA der Caritas für sogenannte „vulnerable RückkehrerInnen“, und das EU-finanzierte Programm ERIN.

Laut dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gab es im Jahr 2017 insgesamt 11.974 Ausreisen aus Österreich.

42 Prozent (5.064) davon erfolgten freiwillig, 58 Prozent (6.910) waren zwangsweise Ausreisen.

Quelle: BFA

Wer eine freiwillige Rückkehr in Betracht zieht, muss zunächst zu einem Beratungsgespräch - zum Beispiel bei der Caritas. „Ziel der Rückkehrberatung ist es, KlientInnen dabei zu unterstützen, frei von jedem Zwang und auf Basis voller Information zu entscheiden, ob sie freiwillig zurückkehren möchten oder nicht“, sagt Michael Hajek, Leiter des Teams „Rückkehr und Integration“ bei der Caritas. Dann wird geprüft, ob der/die potenzielle RückkehrerIn ein Reintegrationsprogramm in Anspruch nehmen kann - ein Recht darauf gibt es nicht.

Samadi etwa hat das Reintegrationsprogramm Restart II der IOM in Anspruch nehmen können, das es für RückkehrerInnen nach Afghanistan und Iran gibt. IOM erhebt vor der Rückreise die familiäre Situation im Herkunftsland, kauft das Flugticket, unterstützt bei der Abreise, empfängt und berät RückkehrerInnen bei der Ankunft.

Samadis Neustart

„Wir wollen den Menschen wieder zurück in die Gesellschaft bringen“, sagt Masood Ahmadi, der Leiter des IOM-Rückkehrprogramms in Kabul. Am Flughafen werden die RückkehrerInnen abgeholt und man erledigt gemeinsam die Formalitäten bei der Einreise. Danach wird den RückkehrerInnen bei Bedarf eine Unterkunft gestellt.

Je nach Reintegrationsprogramm bekommen RückkehrerInnen unterschiedliche, auch individuell angepasste Unterstützungen in Form von Sach- und Geldleistungen. „Es gibt Aus- und Weiterbildungen und auch Jobvermittlungen. Auch Projekte für angehende Selbstständige werden angeboten“, erklärt Masood Ahmadi. Bei IOM bekommen RückkehrerInnen Geld- und Sachleistungen in der Höhe von maximal 2.800 Euro. Das klingt zunächst viel - doch für jemanden, der alles zurückgelassen hat, um woanders ein besseres Leben zu suchen, ist es gerade genug, um zurück in einem Krisen- und Kriegsgebiet wieder von vorne zu beginnen.

Im ersten Halbjahr 2018 sind bereits 110 Menschen mithilfe der IOM nach Afghanistan zurückgekehrt.

75 davon sind im Reintegrationsprogramm Restart II. (Quelle: IOM)

Rückkehrer Samadi hat bisher 1.800 Dollar bekommen und hat damit ein kleines Lebensmittelgeschäft in Kabul eröffnet. Das Geschäft läuft nicht besonders gut, meint er: „Mit den Problemen in diesem Land ist es sehr schwierig. Man hat fast keine Kunden und man verdient kaum etwas.“

Mit seiner Familie ist er erst kürzlich von Ghazni in die Hauptstadt Kabul gezogen, kurz bevor es in Ghazni heftige Kämpfe zwischen Taliban und Sicherheitskräften gegeben hatte. Doch auch in Kabul fühlt sich der 20-Jährige nicht sicher: „Die Taliban sind ja auch in hier in Kabul. Ich kann nicht raus gehen, jeden Tag gibt es Anschläge – es gab gerade wieder einen.“ Die Sicherheitslage ist im ganzen Land „komplex und unvorhersehrbar“, bestätigt Masood Ahmadi von der IOM. „Doch in den großen Städten ist es sicherer als anderswo“, betont er.

Warum zurück ins Krisengebiet?

Die Gründe für eine frewillige Rückkehr sind sehr unterschiedlich, meint Michael Hajek von der Caritas. „Einerseits ist es natürlich oft der rechtliche Status - wenn sie die Verpflichtung haben auszureisen.“ Etwa bei 50 Prozent der Klientinnen der Caritas-Rückkehrberatung spiele das eine Rolle. „Andererseits gibt es auch KlientInnen, die aufgrund familiärer Schwierigkeiten zurückkehren möchten, oder weil sie mit der Situation in Österreich unzufrieden sind.“ Und immer wieder kämen auch Menschen mit offenem Aufenthaltsstatus, die freiwillig in ihr Herkunftsland zurückkehren wollen, betont Hajek.

„Wenn Afghanen das Land in Richtung Europa verlassen, wissen sie oft nicht, welche Gefahren auf dem Weg dorthin lauern“, erklärt Masood Ahmadi von der IOM. Neben den Gefahren auf der Route sei vielen auch nicht bewusst, dass man im Gastland in Asylheimen mit zahlreichen Beschränkungen untergebracht wird, oder dass ein Asylprozess lange dauern und kompliziert sein kann. Auch der „gesellschaftliche Druck“ in vielen Gastländern sei letztlich einigen zu viel. Falsche Hoffnungen und nicht erfüllte Erwartungen sind laut Masood Ahmadi der Hauptgrund, warum Menschen freiwillig zurückkehren.

Reproduziert werden diese falschen Hoffnungen, weil viele ausgewanderte oder geflohene AfghanInnen ein falsches Bild von ihrer Situation in Europa vermitteln - aus Scham, sagt Ahmadi. „Sie sagen: ‚Ich habe ein schönes Haus, ein Auto, einen gutbezahlten Job‘ und so weiter.“ Dieses falsche Bild bringe natürlich andere dazu, nach Europa zu gehen. „Aber dort sehen sie dann oft, wie es wirklich ist und reisen schließlich zurück.“

Zurück in Afghanistan, geraten manche vor ihren Familien oft in Erklärungsnot darüber, was mit all dem versprochenen Wohlstand passiert ist. Manche RückkehrerInnen haben vor ihrer Reise nach Europa alles verkauft, um die Reise zu finanzieren und stehen nach ihrer Ankunft vor dem Nichts.

Erfolgsquote

Genau in solchen Fällen können Reintegrationsprogramme helfen, meint Masood Ahmadi von der IOM. „Diese kurz- und mittelfristigen Maßnahmen sollen Rückkehrer langfristig reintegrieren.“ Es wird nach der Rückkehr auch dokumentiert, wie es den RückkehrerInnen ergeht. Allerdings geschieht das nur drei bis sechs Monate nach der Ankunft. Laut IOM in Kabul sind während dieses Zeitraums die Maßnahmen bei 60 bis 70 Prozent der afghanischen RückkehrerInnen erfolgreich.

Masood Ahmadi betont jedoch, dass es bei diesem Monitoring besonders zwei Schwierigkeiten gibt: „Oftmals wechseln Rückkehrer ihren Aufenthaltsort. Da verlieren wir manchmal den Kontakt und wissen nicht, ob unsere Unterstützung erfolgreich war oder nicht.“ Das zweite Problem sei, dass es in manchen Gebieten kaum Netzabdeckung gibt und man erst gar keinen Kontakt zu den RückkehrerInnen aufnehmen könne.

Samadi selbst sieht seine freiwillige Rückkehr gewissermaßen als gescheitert an. Zwar hat er Unterstützung bekommen und ist auch wieder bei seiner Familie, doch nach acht Monaten zurück in seinem Herkunftsland hat er nur einen großen Wunsch: „Ich möchte wieder zurück nach Europa“, erzählt er uns am Telefon. Eine Perspektive oder Hoffnung für die Zukunft sieht er hier nicht: „In Afghanistan herrscht Krieg und Tod - hier gibt es keine Zukunft.“

mehr Politik:

Aktuell: