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Daniel Wisser

zehnseiten

Der unbequeme Kranke

„Königin der Berge“ - Daniel Wissers berührender Roman über Lebenslust und Sterbenssehnsucht eines egozentrischen MS-Kranken.

Von Daniel Grabner

Der Wiener Musiker, Performer und Autor Daniel Wisser hat einen Hang zu ungewöhnlichen Figuren. Nach Michael Braun, dem stoischen Antihelden in seinem letzten Roman „Löwen in der Einöde“, ist es nun Robert Turin, ein ehemaliger IT-Unternehmer Mitte 40. Der an Multiple Sklerose leidende „Herr Turin“ wie er über weite Strecken genannt wird, möchte seiner Frau nicht zur Last fallen und zieht deshalb viel zu früh in ein Pflegeheim. Dort fasst er bald den Entschluss, nicht bis zu seinem qualvollen Tod zu warten. Er will selbst entscheiden, wann sein Leben endet, und das soll möglichst bald passieren, noch bevor weitere Krankheitsschübe sein Dasein unerträglich machen. Die Queste von Wissers Helden ist es, zu sterben. Irgendwie muss er es in die Schweiz schaffen, denn dort ist Freitodbegleitung nicht illegal.

Buchcover: Königin der Berge

Jung & Jung

Das Pflegeheim als zweites Leben

Gleich zu Beginn des Romans öffnet sich ein Motiv, das sich formal und inhaltlich durchzieht: Die (Selbst-)Entfremdung. Auf den ersten Seiten spricht Robert Turin noch als „Ich“ doch kommt bald zum dem Schluss:

„Es gefällt mir, von mir selbst in der dritten Person zu sprechen. Es klingt fast so, als ginge es um jemand Anderen, als hätte jemand anderer Multiple Sklerose, als säße jemand anderer in diesem Rollstuhl, als würde jemand anderer von einem Harnbeutel überallhin begleitet werden, als wäre jemand anderer Insasse dieses Pflegeheims.“

Ab diesem Zeitpunkt wird Wissers Protagonist nur noch als „Herr Turin“ gesprochen. Er will nicht an sein früheres Leben erinnert werden. Er entzieht sich, schließt sich weg, führt ein zweites Leben als Kranker im Pflegeheim und erlebt dort einen Alltag in Routine und minimalem hermetischen Ereignisraum. Selbst seine attraktive Ehefrau Irene, wirkt bei ihren Besuchen wie ein Störfaktor, eine quälende Erinnerung an sein früheres Leben.

Schwarzer Humor und trockener Schmäh

Trotz der Schwere des Themas ist „Königin der Berge“ von Kalauern, trockenem Witz und kleinen Pointen durchzogen. Die überwiegend szenisch verfassten episodischen Kapitel des Romans könnten als schwarze Comedy Serie verfilmt werden. Man lernt diesen Herrn Turin sehr gut kennen, einen egozentrischen, kauzigen und intelligenten Typen, ein „Frauenheld“, wie es der Einband nahelegt. Im Pflegeheim ist Turin der Veltliner trinkende Einäugige unter den Blinden bzw. der Rollstuhlfahrer unter den Bettlägerigen, ein schwieriger Patient, der imaginäre Gespräche mit seiner toten Katze führt und der den Pflegerinnen und Zivildienern trotzdem irgendwie ans Herz gewachsen ist.

Daniel Wisser liest am 23.08. aus „Königin der Berge“ beim O - Töne Literaturfestival im Wiener Museumsquartier. Beginn 20:00

Turin ist ein Mensch, der gehen will, ohne sich verabschieden zu können. Sein Umfeld will ihn nicht dabei unterstützen, die Freitodbegleitung in Anspruch zu nehmen und das sogar verhindern. Turins Frau ist absolut dagegen, die katholische Pflegeheimleitung unterstützt ihn ebenfalls nicht dabei. Nach zwei erfolglosen Selbstmordversuchen im Heim findet er letztlich Verbündete, die ihm helfen in die Schweiz zu kommen. Bis zuletzt weigert er sich, seine Frau über diesen Entschluss zu informieren. Erst kurz bevor er die Einrichtung der Freitodbegleitung betritt, wagt Turin ein Telefonat.

Unkitschig und unschön

In der unkitschigen und unschönen Spröde dieses Romans steckt mehr authentisches Leben als in den versöhnlichen Geschichten vom gelungenen Abschied. Durch Wissers Herrn Turin kann man hinter unsere bequemen Erklärungsmodelle und Stempel blicken, mit denen wir aufwarten, wenn wir mit Krankheit oder Tod konfrontiert werden.

Man hat es eben nicht mit armen Hilflosen zu tun, die unser uneingeschränktes Mitleid oder Bedauern bedürfen, sondern Menschen mit Schwächen, unbequemen Eigenschaften, deren Anerkennung auch eine Anerkennung ihrer Autonomie als Mensch bedeutet. Nicht zuletzt tritt hier nochmal der gesellschaftspolitische Hintergrund des Romans zum Vorschein. Nur in wenigen Ländern innerhalb der EU ist aktive Sterbehilfe legal. In der Mehrheit der Länder enden die Zugeständnisse an die menschliche Autonomie spätestens bei der Entscheidungsfreiheit über das Ende des eigenen Lebens. Weder für Herrn Turin noch für den Leser hält Daniel Wisser ein Happy End bereit. Es ist kein schönes Ende aber immerhin das richtige Ende im falschen und auch in der letzten Zeile um keine Pointe verlegen.

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