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Hauptsache unschön

Helene Hegemann stellt in ihrem neuen und dritten Roman „Bungalow“ erneut einen jungen Menschen ins Zentrum einer kaputten Gesellschaft. Erbaulich ist das nicht. Mit Absicht.

Von Maria Motter

Helene Hegemann teased gern. Ihr neuer und dritter Roman „Bungalow“ wird von Figuren bewohnt, die eine gewisse Unberechenbarkeit mitbringen und denen man viel zutraut. Wie in den voherigen Romanen „Axolotl Roadkill“ und „Jage zwei Tiger“ ist die Hauptfigur ein junger Mensch.

In irgendeiner deutschen Stadt, die nur als „austauschbar“ bezeichnet wird, werden sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts Nachbarn: Ein Schauspieler-Paar und das Mädchen Charlie, ein Kind der Generation Hartz IV mit alkoholsüchtiger, psychotischer Mutter.

Auf der ersten Seite des Romans steht Sex neben der Waschmaschine auf dem Programm. Jemand stolpert über seine Hose, deren Beschreibung Online-Versandhändler neidisch machen muss: Anthrazitgrau ist das Kleidungsstück, mit „doppelt paspelierten Arschtaschen“. Es gibt viele Stellen in diesem Roman, an denen das Auge beim Lesen hängen bleibt. Für die Jury des Deutschen Buchpreises ist „Bungalow“ eines der 20 Werke auf der diesjährigen Longlist. Der Hauptpreis über 25.000 Euro wird im Oktober 2018 vergeben.

Tiermetaphern und eine abgeklärte Ich-Erzählerin

Klar kann Helene Hegemann schreiben. In der Geschichte, die Hegemann diesmal präsentiert, wirkt ihr Duktus des Bildungsbürgertums jedoch wie ein Überbleibsel aus einer verlorenen Zeit. Und vergangen sind in der erzählten Geschichte schließlich auch die Tage, in denen Bungalows an Siedlungsbauten gefügt wurden, um die Utopie einer solidarischen Gesellschaft auszubauen.

Allzu konstruiert ist der dystopische Rahmen, den Helene Hegemann ihrem Roman übergestülpt hat. Gefährliche Ozonkonzentration und Tierkadaver markieren eine Zeitenwende. In Rückblenden wird die eigentliche Geschichte erzählt: Die Ich-Erzählerin Charlie legt dar, was sie im Alter zwischen 12 und 17 so erlebt hat.

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Im Kern geht es um die Zeit, in der man nicht mehr Kind, aber auch noch nicht jugendlich ist. Charlie aus „Bungalow“ ist bereits klar, dass Tod eine Endgültigkeit darstellt. Sex hingegen ist noch etwas Abstraktes, aber Pornos schaut Charlie mit weit größerem Interesse als ihr gleichaltriger Schulfreund Iskender. Der Bub ist der Einzige in der Geschichte, der sich um das überholte Ideal Freundschaft bemüht. In Iskenders Zuhause gibt es regelmäßige Mahlzeiten und Charlie ist willkommen. Aber sie hat nie gelernt, mit dieser bedingungslosen Annahme ihrer Person umzugehen.

In einem Moment wird aus Scham über ihre verwundbare Situation Selbsthass: Charlie fühlt sich „wie ein mit Schleim und Eiter überzogenes Tier, das man nicht am Leben lassen durfte, weil es zu gefährlich und zu hässlich war“. Helene Hegemann liebt Metaphern. Tiermetaphern liebt sie so sehr, dass die sich wiederholen. Die Mutter kaut „wie ein halb verhungertes, schwachsinniges Pferd“, jemand hat einen „Silberblick, der besser zu einem tollwütigen Fuchs passt“ und einmal wird gefeiert, „als seien wir tollwütige Tiere, zuerst Hunde, dann Wölfe, dann abgezehrte kleine Waschbären oder Frettchen“. Etliche Sätze verbildlichen psychische oder physische Zustände, doch nicht immer läuft das rund („Ich wache auf, liege auf dem Sofa und fühle mich wie eine kleine Sushirolle“ - Sushirollen fühlen?).

Helene Hegemann und Eckhart Nickel lesen am 22. Oktober 2018 im Literaturhaus Graz aus ihren neuen Romanen.

Als hätte jemand ganze Kapitel herausgerissen

Zwischen der absurden Routine an Exzessen der Mutter und Charlies erstem Orgasmus ergeht sich die Geschichte vor allem im Anführen unerfreulicher Anekdoten. "Bungalow“ ist ein Roman für all jene, die an Tageszeitungen vor allem die Chronikseiten schätzen. Ob Tod im Bällebad, Selbstmord mithilfe des eigenen Hundes oder der zum Scheitern verurteilte Versuch, Zigaretten mit dem Bunsenbrenner anzuzünden – Helene Hegemann hat reichlich groteske Unfälle zu bieten. Die Jugendlichen sehen sich ausgetretene Hirnmasse näher an, vielleicht wollte man das nicht so genau wissen. Allzu vieles läuft nach dem Motto: Hauptsache unschön. Zur Abwechslung ist einmal angeführt, wie Glückskekse produziert werden.

Hegemann "Bungalow" Cover

Hanser Berlin

Helene Hegemann ist heute 26. Ihren Debütroman „Axelotl Roadkill“ hat sie für das Kino adaptiert und in Eigenregie verfilmt: „Axolotl Overkill“ mit Jasna Fritzi Bauer hatte 2017 am Sundance Filmfestival seine Weltpremiere. Ihr neuer Roman „Bungalow“ ist bei Hanser Berlin erschienen.

Von literarischer Eleganz zeugt die Passage, in der Charlie ein Etablissement von einer Fledermaus befreit. Doch so elaboriert Helene Hegemann ihre Milieustudie abgefasst hat: Inhaltlich klaffen ordentliche Lücken. „Bungalow“ ist fragmentarisch erzählt, und zwar derart, als hätte jemand ganze Kapitel aus dem Buch gerissen.

Das Schauspielerpaar, mit dem „Bungalow“ eröffnet wird und das penibel eingeführt wird, wird von Charlie obsessiv verfolgt und beobachtet. Aber was es tatsächlich mit dem Verhältnis des Paars und Charlie auf sich hat, wird nie aufgeblöst. „Ich wollte nicht adoptiert werden von denen. Echt nicht. Ich wollte die ficken.“, heißt es mitten im Text. Gegen Ende vergleicht sich Charlie mit einem Schwan, der sich in ein Tretboot verliebt hatte. Erneut dient eine Zeitungsmeldung als Inspiration.

Zuletzt beginnt auch noch eine Reihe umständlicher Selbstmorde und verliert sogleich an Bedeutung. Erwähnt werden noch Geiselnahmen, ein nicht näher definierter großer Krieg und neue Möglichkeiten der Mobilität. Erbaulich ist das alles nicht, mit Absicht. Es mag auch noch Absicht sein, dass all das nirgendwo hinführt. Aber die Summe der Bruchstücke als Sittenbild einer nahen Zukunft zu lesen, geht sich leider nur aus, wenn der Lesende geneigt ist, gelungene Textpassagen einer spannenden Geschichte vorzuziehen. Die anfängliche Spannung verbufft viel zu früh. Am Ende ist man nicht mal mehr genervt, nur gelangweilt von der Aneinanderreihung unangenehmer Zustände.

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