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Menschen in Ithaka vor Tsipras' Rede

Menelaos Myrillas / AFP

Die Irrfahrt wird fortgesetzt

Griechenland kann zurück auf die Märkte, doch der Spardruck bleibt weiterhin bestehen und der Schuldenberg ist immer noch extrem hoch. Die Gesellschaft verzweifelt.

Von Chrissi Wilkens

Seit Monaten schwärmte die griechische Regierung vom 20. August, dem Tag, an dem das dritte Hilfspaket ausläuft und das Land sich wieder selbst finanzieren kann. Premierminister Alexis Tsipras hat auf diesen Tag gesetzt, um das beschädigte Image seiner Regierung zu verbessern, die seit drei Jahren die harte Sparpolitik unter dem Diktat der Gläubiger umsetzt. Bei den aktuellen Umfragen liegt sein Linkbündnis Syriza etwa zehn Prozentpunkte hinter der konservativen Partei Nea Dimokratia, die auf Neuwahlen drängt. Für seine Rede am Dienstag, in der er das Ende der Sparmemoranden ankündigte, wählte Tsipras einen symbolischen Ort: Die mythische Heimat Odysseus‘, die Insel Ithaka, von der aus dieser zu seinen Prüfungen aufbrach und wohin er nach jahrelanger Irrfahrt wieder zurückkehrte.

Symbolik ist aber zurzeit nicht das richtige Mittel, um die Griechen anzusprechen. Seit fast einem Jahrzehnt fühlen sie sich als Protagonisten einer unendlichen Tragödie, von der andere EU-Länder, insbesondere Deutschland, profitiert haben. Der griechische Premierminister geht geschwächt aus dem umstrittenen Krisenmanagement während der Waldbrände Ende Juli im Umland von Athen hervor. In Griechenland herrscht noch Trauerstimmung. Die Erinnerungen an die Ortschaft Mati in der Nähe von Athen, wo fast 100 Menschen ihr Leben schutzlos auf brutale Weise verloren, sind noch frisch. Viele warfen dem Staat Unfähigkeit vor. Die Psychologen sprachen von einem kollektiven Trauma.

Tsipras in Ithaka

AFP PHOTO/ ANDREA BONETTI/ GREEK PRIME MINISTER' PRESS OFFICE

Bei seiner Rede in Ithaka versprach Tsipras den Beginn einer neuen Ära. Seine Euphorie können die von den drakonischen Sparpaketen zermürbten GriechInnen nicht teilen. Sie wissen nämlich, dass ihr Land bis mindestens 2060 verschuldet bleibt. Der Schuldenberg ist immer noch extrem hoch und liegt bei rund 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - der mit Abstand höchste Wert in Europa. Experten betonen, dass die Schuldenlast vorerst tragbar ist, wegen der Erleichterungen, die die Eurogruppe im Juni beschlossen hat. Mit einem Liquiditätspuffer in Höhe von 24 Milliarden Euro kann das Land bis Mitte 2020 den Geldbedarf decken. Doch im Gegenzug für die Schuldenerleichterungen muss Athen bis 2022 Primärüberschüsse in Höhe von 3,5 Prozent des BIP beibehalten, was sogar der Internationale Währungsfond (IWF) für unrealistisch hält.

Griechenland kann wieder zurück auf die Märkte, was eigentlich eine positive Entwicklung darstellt. Die Tatsache aber, dass das Land jetzt mit viel höheren Zinsen Geld ausleihen kann, schürt die Besorgnis, dass man in eine neue Schuldenspirale fallen könnte. Der Internationale Währungsfond schätzt, dass die Finanzierungskosten Griechenlands in diesem Jahr bei 4,5 Prozent liegen werden, während die EU-Kommission sie bei 3,2 Prozent sieht.

Impressionen Griechenland Graffiti

Chrissi Wilkens

„Die Wand der Güte“, eine Bürgerinitiative in mehreren Städten Griechenlands, um arme Mitbuerger zu helfen. Es werden Essen und Kleidung dort aufgehängt.

Was die reale Wirtschaft angeht, bleibt die Situation schwierig. Athen ist an die Verpflichtungen gebunden, die die Regierung gegenüber den Gläubigern eingegangen ist. Die Gläubiger werden der griechischen Regierung zwar nicht vorschreiben können, welche Maßnahmen sie zu ergreifen hat, das Land wird aber bis 2022 unter strenger Aufsicht der Gläubiger bleiben. Sie werden vier Mal im Jahr die Finanzen Griechenlands unter der Lupe nehmen. Dadurch soll kontrolliert werden, welche Fortschritte bei den bereits vereinbarten Maßnahmen gemacht wurden. Bereits am 10. September wird in Athen die erste Delegation erwartet. Die Sparpolitik wird fortsetzt. Die Renten sollen ab 2019 wieder gekürzt werden, ab 2020 auch der Steuerfreibetrag. Es handelt sich um Maßnahmen, die hauptsächlich die Mittelschicht betreffen werden, die unter den harten Sparmaßnahmen der vorigen Jahre sowieso gelitten hat.

Experten betonen, dass Wachstum auf Exporten und Investitionen basieren muss, und nicht auf dem privaten Konsum, wie es vor dem Anfang der Krise der Fall war. Doch einen konkreten Wachstumsplan gibt es nicht, betont der Analyst Giorgos Tzogopoulos. „Dazu noch gibt es keinen politischen Konsens. Die Opposition sagt das Gegenteil von dem, was die Regierung sagt. Deswegen wird immer ein großes politisches Problem existieren“, meint er. Griechenland hat mit mehr als 20 Prozent die höchste Arbeitslosigkeit in der EU. Renten und Löhne wurden bereits erheblich gekürzt. Der Mindestlohn liegt in Griechenland bei 684 Euro. Armut und soziale Exklusion sind seit langem Alltag.

Dies ist kein ideales Umfeld, um die ausgewanderten GriechInnen zu überzeugen, zurück ins Land zu kommen. Wie schon seit Jahren bekannt, erlebte das Land einen beispiellosen Braindrain. Laut Schätzungen haben während der Krise mehr als 400.000 hochqualifizierte Griechen das Land verlassen, um im Ausland einen Job zu finden.

Impressionen Griechenland Graffiti

Chrissi Wilkens

Graffiti in Athen

Tsipras will die negative Stimmung im Land kippen und einen politischen Neustart versuchen. In den nächsten Tagen soll es zu einer umfassenden Regierungsumbildung kommen. Am 8. September, anlässlich der Internationalen Messe von Thessaloniki, wird er laut Presseberichten eine Reihe von sozialen Maßnahmen ankündigen, unter anderem Steuererleichterungen, die Anhebung des Mindestlohns und die Rückkehr zu kollektiven Tarifverhandlungen. Sogar die Möglichkeit, die Renten-Kürzungsmaßnahmen, die für 2019 geplant sind, aufzuheben, ist im Spiel.

Viele Griechen spüren nichts vom leichten Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent, das 2017 verzeichnet wurde. Dieses Jahr wird ein Wachstum von 1,9 Prozent erwartet, und 2019 soll es sogar 2,3 Prozent beitragen. Laut einer im Juli erhobenen Umfrage, glauben 42 Prozent der Griechen, dass die wirtschaftliche Situation sich verschlechtern wird, 30 Prozent, dass sie gleich bleibt, und nur 25 Prozent an eine Verbesserung.

„Nichts wird sich ändern. Meine Kinder werden verschuldet sein. Wir werden mit höheren Zinsen jetzt Geld ausleihen. Die Schulden werden noch größer und die Sparpolitik wird nicht von einen Tag auf den anderen beendet. Es gibt keinen Grund zu feiern“, sagt eine 39-jährige Privatangestellte, die anonym bleiben will.

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