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Eine Person zieht sich weiße Gummihandschuhe an

APA/dpa/Stephanie Pilick

Medikamente geben, trösten, Hintern auswischen

40.000 zusätzliche Pflegekräfte wird man in Österreich bis zum Jahr 2050 brauchen. Lösungsvorschlag: man muss jungen Menschen nur vermitteln, dass die Pflege ein schöner und sicherer Beruf ist – und schon ist das Problem gelöst. Aber geht es wirklich nur ums Image, das verbessert werden muss?

Von Irmi Wutscher

Einen Verband wechseln, Medikamente ausgeben, die Bettpfanne leeren, Windeln wechseln, einen erwachsenen Menschen waschen, Fragen beantworten, trösten… Das sind nur einige wenige der Aufgaben, die Menschen in Pflege- und Gesundheitsberufen täglich machen.

Die Arbeiterkammer ist seit 1. Juli dabei, alle Arbeitenden in einem Gesundheitsberuferegister zu erfassen – die soll in weiterer Folge Voraussetzung für die Ausübung eines Gesundheitsberufes werden.

Die Pflege ist ein weites Feld – man kann auf der Intensivstation im Krankenhaus arbeiten, im Altersheim oder als persönlicher Pfleger bei jemandem zu Hause. Vielleicht weil das Feld so divers ist, weiß man in Österreich gar nicht, wie viele Menschen in der Pflege arbeiten – um die 120.000 sind es in etwa, schätzt die Arbeiterkammer. Vor allem in der Langzeitpflege, also in der Altenpflege, gibt es einen hohen Teilzeitanteil. Und der überwiegende Teil, nämlich 80 Prozent sind Frauen - der Männeranteil steigt allerdings. Vielleicht auch, weil die Pflege ein sicherer Job ist: bis 2050 fehlen in Österreich um die 40.000 Pflegekräfte. Fachkräfte werden auch hier händeringend gesucht.

Was braucht es also, dass junge Menschen in der Pflege arbeiten möchten? Und warum hat die Branche so einen schlechten Ruf?

Der Wunsch zu helfen

Aber zuerst einmal von Anfang an. Um die 10.000 Menschen im Jahr schließen eine Ausbildung in einem Gesundheitsbereich ab. Wie zum Beispiel Sarah: Sie ist 22 und steht kurz vor der Bachelorprüfung in Krankenpflege an der FH Krems. Gesundheitsberufe haben sie schon immer interessiert, sagt Sarah, an der Pflege gefällt ihr, dass sie mit Menschen arbeiten kann: „Mir macht es Freude, wenn ich merke, dass ich einem Patienten helfen konnte. Und man bekommt dann auch eine Rückmeldung: ein kleines Danke oder ein Lächeln.“ Nach dem Abschluss möchte Sarah dann auf alle Fälle im Krankenhaus als Pflegerin beginnen, sie hat auch schon einen Job in der Tasche. Nebenher überlegt sie, noch ein Masterstudium in einem Gesundheitsbereich anzuschließen.

Das FH-Studium beinhaltet auch einige Monate an Praxiserfahrung. Gerade hat Sarah ein Praktikum an einem Wiener Krankenhaus abgeschlossen. Beim Praktikum im Krankenhaus ist ihr aber aufgefallen, dass nicht alles so abläuft, wie man es in der Schule lernt: „Man lernt, man soll sich genug Zeit für den Patienten nehmen, alles in Ruhe machen, immer nur einen Schritt nach dem anderen. In der Praxis sieht es meistens anders aus, weil man die Kapazität vom Personal her nicht hat.“

Eine Pflegerin hilft einer Frau mit Stock beim Gehen

APA/HELMUT FOHRINGER

Große Arbeitsverdichtung

Und das empfinden nicht nur die Menschen so, die in der Pflege arbeiten, das zeigen auch Arbeitserhebungen, sagt Kurt Schalek, Experte für Pflegeberufe in der Wiener Arbeiterkammer: „Wir haben in der Pflege in den letzten Jahren eine große Arbeitsverdichtung. Das heißt, es muss immer mehr in immer kürzerer Zeit gemacht werden. Und das ist schwierig: meistens werden ja ältere Menschen gepflegt, die werden eigentlich immer langsamer. Und gleichzeitig soll man immer schneller arbeiten. Das ist schwer vereinbar und das macht Stress.“

Der hohe Arbeitsdruck in der Pflege führt dazu, dass junge Menschen, die sehr motiviert so einen Beruf ergreifen, sich schon kurze Zeit nach dem Arbeitseinstieg eigentlich nicht mehr vorstellen können, sehr lange in diesem Beruf weiter zu machen. Das zeigen Befragungen. „Das sind oft junge Leute, die sehr engagiert in den Pflegeberuf hineingehen und sehen, dass es in Wirklichkeit ganz schwierig ist.“ Vielen Menschen, die in die Pflege einsteigen, verlassen den Beruf also wieder.

Und das liegt tatsächlich an den fehlenden Ressourcen. Denn der Personalbedarf in der Pflege wird anhand bestimmter Personalschlüssel berechnet. Allerdings sind ganz viele Aufgaben, die die Pflegenden de facto übernehmen, da nicht eingerechnet, sagt Kurt Schalek: „Kommunikation und Beziehungsarbeit fehlt, die Arbeit mit den Angehörigen. Und es kommen viele andere Aufgaben dazu, die nicht berücksichtigt sind in der Anzahl der Leute, die eingestellt werden.“

Irgendwann wird es zu viel

Simon ist so ein Aussteiger: Er hat schon als Jugendlicher beim Roten Kreuz gearbeitet. Nach dem Zivildienst hat er die Ausbildung am Landeskrankenhaus Salzburg gemacht und dann auf der Internen Abteilung als Pfleger gearbeitet.

Auch Simon berichtet von massiv unterbesetzten Stationen, wo das Zwischenmenschliche zu kurz kommt. Und er sagt, er hat sich teilweise schwer getan, den Alltag im Krankenhaus hinter sich zu lassen: „Man kann auch nicht jeden Tag abschließen. Vielleicht hat man Patienten über einen längeren Zeitraum oder macht Bezugspflege, zum Beispiel im Krankenhaus. Und dann stirbt jemand oder es läuft etwas schief – das kommt alles mal vor – aber mit wem redest du dann drüber?“ Simon sagt, mit dem Stress und der Unterbesetzung gab es mit den KollegInnen keine Möglichkeit, sich auszutauschen – eher im Gegenteil habe es Mobbing oder Auseinandersetzungen untereinander gegeben. Und Gleichaltrige, junge Menschen, wollen oft nicht über Tod und Krankheit reden. „Das ist das gewesen, das mich am meisten fertig gemacht hat.“

Simon war das irgendwann zu viel. Er hat noch sechs Jahre in Einzelpflege einen Rollstuhlfahrer betreut – und derzeit arbeitet er am Bau. Ganz hat er mit der Pflege noch nicht abgeschlossen – aber einige Dinge müssten sich ändern: „Was mir ein Anliegen ist, ist die Psychohygiene im Allgemeinen, und dass die Stationen auch ordentlich besetzt sind."

Eine Demo von Pflegekräften

APA/HERBERT PFARRHOFER

Die Probleme in der Pflege sind seit Jahren bekannt. Im Mai 2017 haben Pflegekräfte für bessere Arbeitsbedingungen demonstriert.

Der schlechte Ruf der Pflege

Wenn die multidisziplinären Teams funktionieren würden – dann wäre das schon ein schöner Job, sagt Simon. Genauso wie Pflege-Studentin Sarah, die sich über das Lächeln der PatientInnen freut. „Es wird immer gesagt, Pflegende haben ein schlechtes Image“, sagt Kurt Schalek von der AK. „Das glaube ich nicht. Ich glaube Pflegende haben ein sehr gutes Image - was ein schlechtes Image hat sind die Arbeitsplätze.“ Immerhin sind die Pflegeberufe allesamt ganz weit vorne bei Burnout-Statistiken – und das hängt mit der psychischen Belastung in diesen Berufen zusammen.

Aber kann bzw. sollte jedeR PflegerIn werden, auch einfach mit dem Kalkül, einen sicheren Job zu haben? Sarah verneint vehement, sie meint, ein Interesse an Menschen sollte schon da sein. Simon relativiert hier ein wenig. „Also so oft habe ich gehört: ‚Wow, ein Wahnsinn, du machst da die Pflege, ich könnte das niiiiiieee machen!‘ und ‚Dafür muss man geschaffen sein‘. Am Anfang habe ich mir gedacht, das hört sich alles nett an. Aber ab einem gewissen Zeitpunkt ist mir dann ein Licht aufgegangen und ich hab mir gedacht: ihr macht es euch da schon leicht. Ich könnte auch sagen: ich kann die Arbeit nicht machen. Also ich musste mich auch teilweise extrem überwinden. Und das andere kommt halt noch dazu.“

Eine junge Hand hält eine alte

dpa/Oliver Berg

Was kann man ändern?

Zumindest an einem Problem, nämlich der Unterbesetzung kann man etwas ändern, sagt der AK-Experte: „Es erscheint auf der einen Seite paradox, zu sagen, wir haben einen Mangel beim Pflegepersonal, und gleichzeitig zu fordern: wir brauchen mehr. Wenn man will, dass die Leute Interesse an einem Beruf haben, der grundsätzlich spannend ist, dann müssen wir die Arbeitsbedingungen so gut machen, dass die Leute sich vorstellen können, das zu machen.“

Auch in der Ausbildung könnte man hier etwas tun, die Arbeiterkammer fordert hier eine BHS – also eine berufsbegleitende höhere Schule für Gesundheits- und Sozialberufe, die junge Menschen nach der Pflichtschule abholt, wo sie Matura und eine Berufsausbildung machen können. Auch QuereinsteigerInnen sind in der Pflege gefragt, Menschen die von anderen Berufen umsatteln. „Wir haben eigentlich viele Leute, die sagen: ich könnte mir vorstellen, in die Pflege zu gehen und möchte da gerne eine Ausbildung machen. Die scheitern oft daran, dass sie die Ausbildung nicht finanzieren können, weil sie nicht wissen, wovon sie in dieser Zeit leben sollen. Da bräuchte es ein Fachkräftestipendium.“

Pflegekräfte aus dem Ausland zu holen, wie das Deutschland und andere nordische Länder tun, hält Schalek nur für bedingt wirksam: „Pflege ist ein riesiger globaler Arbeitsmarkt – und überall gibt es an Pflegekräften nicht gerade eine Schwemme.“ Daher sei es umso wichtiger, zu zeigen, was für ein wichtiger und lohnender Beruf die Pflege ist – und die Arbeitsbedingungen so zu verbessern, dass die Menschen in der Pflege arbeiten wollen.

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