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Wohltätigkeit steht irgendwo zwischen Hoffnungslosigkeit und Goldgräberstimmung

So fasst Ilija Trojanow im Vorwort zu seinem Buch den derzeitigen Zustand der Wohltätigkeit zusammen. Im Buch „Hilfe? Hilfe! Wege aus der globalen Krise“, das er gemeinsam mit Thomas Gebauer geschrieben hat, nimmt er den Hilfsbegriff kritisch unter die Lupe.

Von Irmi Wutscher

Staatliche Entwicklungshilfe, Suppenausschank oder Tafeln für Menschen, die sich kein Essen leisten können, Mikrokreditprogramme für Bauern oder KleinunternehmerInnen in Ländern des globalen Südens. Hilfe oder Wohltätigkeit findet man an vielen Ecken der Welt. Und wegen verschiedenster globaler Krisen – von Klimawandel über Sozialabbau bis zu jahrelangen Konflikten – scheint immer mehr von dieser Hilfe nötig zu sein.

Diese Tatsachen arbeiten der Autor Ilija Trojanow und der Menschenrechtsaktivist Thomas Gebauer in ihrem Buch „Hilfe? Hilfe! Wege aus der globalen Krise“ auf. Sie argumentieren, dass heutige Wohltätigkeit und Hilfe nur mehr Krisenfeuerwehr ist und nicht mehr daran interessiert, die Verhältnisse grundsätzlich zu ändern. Und sie zeigen Alternativen auf.

Im Interview erzählt Ilija Trojanow darüber, was es heißt, wenn Hilfe Menschen nur mehr krisenfit macht oder wenn Wohltätigkeit messbar effizient sein muss. Und warum Solidarität ein Gegenentwurf ist.

Irmi Wutscher: Wohltätigkeit ist ein eigener Wirtschaftszweig – diese Erkenntnisse sind ja nicht ganz neu. Aber Sie sagen, dass sich mit dem Einzug betriebswirtschaftlichen Denkens die Hilfe entpolitisiert hat. Was heißt das?

Ilija Trojanow: Wir haben uns ein Jahr lang Hilfsprojekte, Hilfsstrukturen auf vier Kontinenten angesehen. Und haben festgestellt, dass dieses System namens neoliberaler Kapitalismus auch den Bereich Hilfe nutzen will, um Geschäfte zu machen. Das liegt daran, dass wir immer mehr Hilfe brauchen. Ganze Regionen hängen ja von der Hilfe ab und die UN hat schon mehrfach gesagt, dass das Maß an notwendiger Hilfe die Hilfsmöglichkeiten bei Weitem übersteigt. Andererseits ist es so: Wenn Geld fehlt, dann holen wir es in diesem System aus der Privatwirtschaft. Insofern sind jetzt auch die NGOs, Nichtregierungsorganisationen, genötigt, Geld aufzutreiben. Man kann kriegt das Geld aber nicht kostenlos, sondern man muss etwas anbieten, also Rendite. Insofern gibt es selbst Organisationen wie das Rote Kreuz beispielsweise, die so genannte Social Bonds ausgeben – das heißt soziale Anleihen: man investiert in ein Hilfsprojekt. Wenn es klappt, kriegt man in dem Fall sechs Prozent Rendite.
An diesen Entwicklungen ist eine Sache problematisch: dass die Hilfe nur sehr punktuell und technokratisch gedacht wird. Dass aber keine grundsätzlichen Lösungen diskutiert werden. Dabei wäre doch jeder von uns einverstanden mit der Aussage: Besser wir vermeiden grundsätzlich die Notwendigkeit von Hilfe. Also besser es gibt keinen Hunger, als dass wir Leute ernähren. Solche Ideen fallen aber zunehmend weg. Das heißt, gesamtgesellschaftliche soziale Rechte werden ersetzt durch individuelle Projekte, auf die man sich aber nicht verlassen kann.

Das neoliberale Denken, dass man Hilfsbedürftige etwa als KleinunternehmerInnen sehen kann oder soll, denen man nur einen Schubs geben muss, dass sie sich selbst aus der Armut ziehen, hat dazu geführt, dass Mikrokredite als das ultimative Mittel in der Armutsbekämpfung gesehen wurden. Heute werden Mikrokredite stark kritisiert – warum?

Man hat sich gedacht: Wunderbar! Da werden Frauen – es sind vor allem Frauen die Nutznießerinnen – ermuntert, als Kleinunternehmerinnen tätig zu werden. Über eine längere Strecke hinweg hat man aber gesehen, dass es an den Ursachen der Unterentwicklung in den Dörfern überhaupt nichts ändert. Diese Frauen, die zum Beispiel Joghurt verkaufen oder andere Konsumgüter, erleben zwar tatsächlich einen kleinen persönlichen Aufschwung. Oft verschulden sie sich aber längerfristig, weil der Erfolg einer solchen unternehmerischen Tätigkeit ja fluktuiert. Und an dem, was grundsätzlich geändert werden müsste - das heißt, Bildung, Gesundheitsversorgung, soziale Gerechtigkeit… Daran ändert die Struktur der Mikrokredite überhaupt nichts. Insofern hat man jetzt große Zweifel, ob das ein Instrument ist, um diese Gesellschaften oder auch nur einzelne Dörfer überhaupt voranzubringen.

Weil es nur die Einzelperson weiterbringt bzw. die auch das ganze Risiko trägt – und es sind ja enorme Zinsen drauf.

Es gibt auch andere Systeme. Wie bei dem Projekt „Give directly“ in Kenia, wo es nicht Kredite sind, sondern Menschen eine gewisse Summe einfach gegeben wird, um ihre Situation zu verbessern. Auch diese Maßnahmen ändern nichts an der grundsätzlichen Unterentwicklung.
Insofern haben wir im Moment drei grundsätzliche Entwicklungen. Das eine ist die Entpolitisierung. Das heißt: wenn eine Stiftung aktiv wird, hat sie zum Beispiel zum Ziel: jede Familie soll Mosiktonetze haben oder in jedem Dorf sollen Kinder gegen Polio geimpft werden. Dagegen ist nichts zu sagen. Nur durch so eine punktuelle Einflussnahme ändert sich natürlich nichts an dem generellen Mangel an grundsätzlicher Gesundheitsversorgung. Das andere ist, dass zunehmend Solidaritätsstrukturen – in der EU sind wir ja Nutznießer von solchen Strukturen! – abgebaut werden. Und an ihre Stelle kommen willkürliche, individuelle Interaktionen.
Das dritte ist, dass aus dem betriebswirtschaftlichen Denken heraus ganz neue Kategorien jetzt auch in der Hilfswirtschaft enormen Einfluss gewinnen. Das eine wäre Effizienz, es wird immer geschaut: Was bringt das?

Es muss immer alles messbar sein.

Genau. Ein schönes Beispiel ist, dass man Schulbibliotheken in Afrika mit Büchern ausgestatten hat. Das bringt natürlich messbar nichts, wenn einer jetzt vielleicht den „Mann ohne Eigenschaften“ von Musil gelesen hat. Das bringt ihn betriebswirtschaftlich belegbar nicht weiter.

Die Welt ist gebeutelt von verschiedenen globalen Krisen, die ständig Hilfe notwendig machen. Es scheint aber gar keine Möglichkeit mehr zu geben, Alternativen zu denken. Die Krise – etwa der Klimawandel - erscheint unausweichlich?

Das Buchcover von "Hilfe? Hilfe!"

S. Fischer Verlag

„Hilfe? Hilfe! Wege aus der globalen Krise“ von Ilija Trojanow und Thomas Gebauer ist im S. Fischer Verlag erschienen.

Das Thema Resilienz ist im Moment ganz, ganz groß im Kommen. Gerade die großen, internationalen Organisationen, wie die Weltbank und der IWF halten ganz viel davon. Resilienz bedeutet: die Katastrophe – z.B. die Klimakatastrophe – lässt sich nicht aufhalten. Also müssen wir schauen, dass die Leute abgehärtet werden, dass sie daran nicht zu Grunde gehen, dass sie Mechanismen der Widerstandsfähigkeit aufbauen, um das zu überleben. Grundsätzlich kann man daher sagen, dass all diese Entwicklungen eigentlich nichts anderes fördern als das Überleben – auf Kosten des Lebens. Das heißt die Menschen krepieren zwar nicht, aber von einem würdevollen Leben, von einem selbstbestimmten Leben, kann nicht die Rede sein. Weil bei jeder Wohltätigkeit, bei jeder Hilfsmaßnahme muss man natürlich sehen, dass eine Abhängigkeit entsteht. Es ist aber immer besser, wenn sich der Mensch in würdevoller, autonomer Weise selbst ernährt und nicht die Hand aufhalten muss. Die meisten dieser Hilfsprojekte schaffen tatsächlich leider Abhängigkeiten.

Auch wegen dieser anscheinenden Hoffnungslosigkeit hat das Wort „Resilienz“ das vorhergehende Buzzword „Nachhaltigkeit“ ersetzt. Resilienz meint die Fähigkeit, Krisen zu überstehen. Was heißt das, wenn man Menschen, Staaten, Systeme nur mehr krisenfit machen will?

Ich glaube, dass das eine unmittelbare Folge der ideologischen Überzeugung ist „Es gibt keine Alternativen zum Jetzigen“. Das heißt, Wirtschaftswachstum ist die einzige mögliche Form von Entwicklung. Beim Wirtschaftswachstum muss aber extrem viel wachsen, damit für die Ärmsten etwas übrig bleibt. Der „trickle-down-effect“, den Ökonomen lange propagiert haben, hat sich inzwischen einfach als falsch herausgestellt. Es gibt keine Studien, die belegen, dass tatsächlich mehr als nur ein paar Brosamen unten ankommen.
Das heißt aber umgekehrt, dass grundsätzliche Überlegungen von Umverteilung, von solidarischen Strukturen in einer Gesellschaft, die absolut alle Bürgerinnen und Bürger des Landes in irgendeiner Weise absichern, die bleiben auf der Strecke. Und insofern ist Resilienz eigentlich so etwas wie eine moderne Form des Sozialdarwinismus. Du musst dich in irgendeiner Weise anpassen, weil wir kein Konzept haben, wie wir die grundsätzlichen Krisen überwinden oder gar beseitigen können.

Was hat das alles mit der Privatisierung in der Politik zu tun? Also dass sich der Staat zurückzieht von öffentlichen Aufgaben – und die von engagierten BürgerInnen oder eben wohltätigen Stiftungen übernommen werden. Das heißt, dass einige Wenige und demokratisch nicht legitimierte Personen bestimmen, wo geholfen wird?

Das beste Beispiel ist Bill Gates. Der hat die reichste Stiftung der Welt. Der gibt der WHO – Teil der UN! – so unglaublich viel Geld, dass er inzwischen die Agenda mitbestimmen kann. Man könnte sagen, die WHO ist abhängig von einem Privatmann. Völlig unabhängig davon, wie er sein Geld verdient hat, was man ja auch noch einmal diskutieren könnte, ist es natürlich extrem problematisch, wenn ein Mensch mit seinen Haltungen, Überzeugungen und Prägungen für die ganze Menschheit sagt, wo es langgeht. Insofern ist der Einfluss dieser großen Stiftungen inzwischen tatsächlich vergleichbar mit dem einstigen Einfluss der Staaten. So hat sich eine Machtverschiebung ergeben.
Früher war es so: die Positionen waren ziemlich klar. Der Staat und seine Vertreter in der einen, die Privatwirtschaft auf der anderen Seite. In der dritten Ecke dieses Dreiecks waren die Aktivisten, die dafür gekämpft haben, dass alles grundsätzlich anders wird. Jetzt hocken alle an einem Tisch und versuchen eine so genannte „Win-Win-Situation“ zu bekommen - was ist für alle gut? Und das ist natürlich auch Teil der Depolitisierung! Weil es gibt natürlich da, wo es Reichtum und Macht gibt, gegensätzliche Konflikte. Es ist nicht so, dass ein Billionär oder ein autoritärer Herrscher in irgendeiner Weise eine gemeinsame Ebene haben könnte mit Leuten, die entrechtet sind oder die kaum über die Runden kommen. Insofern werden eigentlich die eklatanten sozialen Konflikte, die wir haben, dadurch weggewischt. Und jene Institutionen, die in der Vergangenheit gekämpft haben, für jene, die am wenigsten haben und keine Hoffnung auf Überwindung der Krise, die werden als politische Akteure einer möglichen Entwicklung eigentlich ausgeschaltet. Oft wird bei diesen Hilfsprojekten paternalistisch etwas entschieden für die - und nicht mit ihnen.

Viele Menschen vor allem im Norden und Westen möchten spenden – vielleicht um ein gewisses schlechtes Gewissen zu entlasten. Was raten Sie - mit dem ganzen Wissen dass sie hier gesammelt haben – was sollen die tun?

Bei diesen Spendengeschichten bekommen ja die dramatischen Geschichten viel mehr Aufmerksamkeit. Es ist also überhaupt kein Problem Geld zu sammeln für – sagen wir – den Blauwal, aber das Leerfischen der Ozeane, die Unmengen an Plastik, die wir da deponieren, oder die Tatsache, dass Teile unserer Ozeane ja schon biologisch tot sind, das ist viel viel schwieriger zu vermitteln.
Darüber hinaus ist für jüngere Spender diese Klick-Spendenkultur ganz typisch. Und die ist fast immer gekoppelt an Konsum. Das heißt, wir konsumieren uns die Welt besser. Man kauft etwas, dann wird aufgerundet und gespendet. Man postet ein Foto, von etwas, das man gegessen hat, dann werden ein paar Cent gespendet, um hungrige Kinder zu ernähren.
Die meisten Probleme können wir aber nur durch eine gesamtheitliche Analyse und Korrektur bewältigen und nicht, indem man unglaublich viel Geld für Einzelinitiativen spendet. Neulich hab ich wieder Emails bekommen, dass die Elefanten geschützt werden. Also ich liebe auch Elefanten, aber an der enormen Zerstörung der Natur wird das Fortleben der Elefanten natürlich wenig ändern.

Da geht es doch mehr um Identifikation oder Emotionalität - sie haben sicher auch das Video vom sterbenden Eisbär gesehen – das sagt doch viel mehr, als zu erklären warum und wie Klimawandel funktioniert…

Das ist richtig – aber am Ende des Tages muss sich jeder über eine Sache klar sein: das Beste, was er tun kann, ist die eigene Lebensform zu verändern. Egal, ob Flüchtlinge oder Klimakatastrophe: Wir beuten in hohem Maße andere Menschen und Länder aus und vor allem auch die Natur – und dadurch sind wir mitverantwortlich. Das heißt das Beste wäre, seinen Konsum zu ändern. Und zum anderen, dass man politisch dafür kämpft, dass es globale Lösungen gibt. Eine Lösung wäre, dass alle internationalen Konzerne verpflichtend die Menschenrechte einhalten müssen. Plus einen Mechanismus, die zu sanktionieren, wenn sie es nicht tun. Das wird seit Jahrzehnten auf der Ebene der UN diskutiert und man kommt nicht weiter, weil die Lobbyverbände der großen Unternehmen natürlich unsere Regierungen dementsprechend unter Druck setzen.

Sie argumentieren für ein solidarisches Leben, mehr Gemeingüter etc. Derzeit werden Wahlen aber vor allem mit Neiddebatten gewonnen – es sollen andere weniger bekommen als man selbst. In Österreich tobt zum Beispiel ganz stark eine Diskussion um die Mindestsicherung, die auch Asylwerberinnen bekommen. Was dazu geführt hat, dass die Mindestsicherung gedeckelt und gekürzt wurde - für alle. Wie soll man in einem solchen Klima für Solidarität werben?

Das ist eine extrem schwierige Aufgabe! Gerade bei diesem Soziallabbau sollten wir uns fragen: ist das wirklich zu unserem Besten? Vielleicht kommt man dann drauf: es gibt so etwas wie einen ideellen Wohlstand. Dass so etwas wie Solidarität, wie Gemeinsamkeit, wie Teilen uns als Menschen eigentlich glücklicher macht. Dann kämen wir vielleicht darauf, dass dieser materielle Wohlstand nicht das Entscheidende ist, das wir verteidigen müssen, sondern dass es ganz andere Werte gibt, die vielleicht teilweise abhandengekommen sind, die wir reanimieren und aktivieren müssen.

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