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APA/HANS PUNZ

Der Kampf gegen homophobe Parolen im Fußball

Homophobie ist in Österreichs Fußballstadien weitverbreitet. Doch immer mehr Fans wehren sich.

Von Michael Bonvalot

Es ist ein wichtiger Tag für Fans des SK Rapid Wien, es geht um die Qualifikation für die Euro League. Slovan Bratislava ist der Gegner, es ist der 16. August, wir sind in der 77. Minute. 1:0 steht es für Rapid, der Aufstieg in die nächste Runde ist noch lange nicht durch. Entsprechend intensiv ist die Stimmung im Stadion. Doch für manche Fans steht offenbar etwas ganz anderes im Vordergrund.

Mitten in der Rapid-Kurve wird auf einmal ein Banner gezeigt. Zur Hälfte ist darauf das Wappen von Slovan zu sehen, zur anderen das Wappen des Erzrivalen Austria Wien. Der Text: „We hate Homos“ – Wir hassen Schwule.

Dokumentation von homophoben Fußballbannern und Aktionen gegen Homophobie im Fußball

Screenshot ORF

Das Banner taucht nicht irgendwo in der Kurve auf. Es wird genau im Mittelblock gezeigt, über dem Fanclub-Banner der „Sektion Gioventù“. Und das ist die Jugendsektion der „Ultras Rapid“, also der wichtigsten Fangruppe der Hütteldorfer. Es wäre in der Fußballszene undenkbar, dass ohne die Erlaubnis des jeweiligen Fanclubs Botschaften über das Banner einer Gruppe gelegt werden.

Frustrationsgrenze erreicht

„Meine Geduld ist am Ende“, sagt Rapid-Fan Nora*. Sie ist seit vielen Jahren Anhängerin der Grün-Weißen, früher hat sie auch für den Verein gearbeitet. „Es ist nicht das erste Mal, und es wird leider nicht das letzte Mal sein“, sagt sie. Ihre Frustrationsgrenze ist erreicht: „Ich überlege mir jedes Mal aufs Neue, ob ich überhaupt noch ins Stadion gehen soll“, erzählt Nora.

*Einige Namen in diesem Artikel wurden auf Wunsch der Betroffenen geändert oder abgekürzt. FM4 hat mit allen Personen persönlich gesprochen und kennt ihre Namen.

Denn es ist keineswegs das erste Mal, dass die Hütteldorfer Fanszene mit homophoben Parolen auffällt. Erst im Frühjahr wurde der damalige Austria-Kapitän Raphael Holzhauser auf einem Banner der Ultras homophob beschimpft. „Dem Woamen platzt a Wimmerl auf und ihr macht’s an Skandal daraus“, hieß es, nachdem Holzhauser von Rapid-Fans im Derby mit Gegenständen beworfen und verletzt wurde.

Homophobe Fan-Banner

Brucki http://brucki.blogspot.com

Bequeme Ausrede

Zusätzlich präsentierten die Ultras eine Zaunfahne, auf der das Wappen der Austria mit dem Lambda-Symbol sowie zwei Männer-Zeichen ergänzt wurde. Darüber stand die Aufschrift „Fußballklub Angsthasen“, „schwul“ wurde offenbar mit ängstlich übersetzt.

Homophobe Fan-Banner

Brucki http://brucki.blogspot.com

Solche Banner werden meist kurz gezeigt und verschwinden dann wieder. „Vor allem homophobe und sexistische Banner werden sehr gern auf diese Weise präsentiert“, erklärt Nora. Sie meint, dass das auch für den Verein Vorteile hätte. „Die Offiziellen wissen dann angeblich nicht, wer verantwortlich war“, sagt sie.

Im öffentlichen Raum in Wien tauchen ebenfalls immer wieder einschlägige Aufkleber aus der Rapid-Szene auf. Die Aufschriften gleichen dem jüngsten Banner: „We hate Homos“ steht etwa darauf oder auf Deutsch „Wien hasst Homos“. Die „Homos“, das ist die Austria.

Dokumentation von homophoben Fußballbannern und Aktionen gegen Homophobie im Fußball

Michael Bonvalot

Im Bedarfsfall

Ein Kleber hat die Aufschrift: „Huren Gay Kinder“. Verbreitet wird der dann unter anderem auf der Facebook-Seite der „Werwölfe Rapid“, eines einschlägigen, rechtsextremen Fanclubs. Rapid-Sprecher Peter Klinglmüller erklärte zwar auf meine Anfrage bereits im September 2016, dass Rapid die Aktivitäten der „Werwölfe“ „aufmerksam verfolgen“ würde und „im Bedarfsfall“ der Ethikrat des Vereins einschreiten würde. Dennoch wird die Gruppe bis heute als offizieller Fanclub der Hütteldorfer geführt.

Im Stadion tauchten ebenfalls bereits in der Vergangenheit homophobe Banner auf. So etwa im Oktober 2016. Damals präsentierten grüne Fans ein mehrere Meter hohes Banner, wo die Fanclubs der Austria als submissive sexuelle Diener der Vereinsführung gezeigt wurden. Auf den Derbys gegen die Violetten sind „Schwuler FAK“-Sprechchöre ohnehin fast schon trauriger Standard.

Banner mit homophoben Beschimpfungen

Privat

„Conchita ist Rapidler“

Doch vor allem die Derbys der beiden Wiener Großklubs zeigen, dass keineswegs nur Rapid ein Homophobie-Problem hat. Denn die Szene-Fanclubs der Austria stehen ihren grünen Rivalen um nichts nach. „Schwuler SCR“ wird dort dann gegen Rapid geschrien. Zeitweise ist bei Derbys vor lauter „Schwuler XY“-Chören gar nicht mehr erkennbar, wer gerade wen beschimpft.

Auch homophobe Banner werden immer wieder präsentiert. So gibt es etwa ein Banner und Aufkleber mit der Aufschrift „Conchita ist Rapidler“. Was damit ausgedrückt werden soll? „Dass die menschlich ziemlich wenig wertvolle, weil transsexuelle, Conchita Wurst ganz gut zum ziemlich wenig wertvollen (möglicherweise auch transsexuellen?) Sportklub Rapid passt…“, schreibt ein homophober User ganz offen in einem Fußballforum.

Fanfreundschaften im Visier

Es gibt auch noch andere homophobe Aufkleber aus der Austria-Szene. „Vorsicht Schwuchteln“ heißt es etwa auf einem, daneben ein Rapid-Logo mit Regenbogenfahne und der Aufschrift „Hurenkinder“. Und auch die Fanfreundschaften von Rapid sind im Visier der homophoben Fans.

Dokumentation von homophoben Fußballbannern und Aktionen gegen Homophobie im Fußball

Michael Bonvalot

„Zu Schwuchtel-Party´s (sic!) mit den Griechen ladet ihr ein im großen Rahmen“, hieß es etwa bei einem Wiener Derby. Es war eine homophobe Attacke auf die Fanfreundschaft von Rapid mit Panathinaikos Athen. Gezeichnet war das Banner von den Viola Fanatics, dem zentralen Ultra-orientierten Fanclub der Austria.

Niemals entspannen

Peter ist seit seiner Kindheit Austria-Fan, ins Stadion geht er bereits seit rund 20 Jahren. „Wenn 5.000 Leute auf einmal auf den angeblich schwulen SCR schimpfen, dann ist das unglaublich unangenehm. Denn damit beschimpfen sie auch mich“, sagt er. Sein Freund ist aus Deutschland, ins Stadion will er ihn nicht mitnehmen. „Ich würde ihm sehr gerne einmal die Austria vorstellen, aber diese Beschimpfungen werde ich ihm nicht antun.“

Im Stadion offen schwul aufzutreten, hält er für unmöglich. „Auf der Straße würde ich mich bei Angriffen wehren und gebe dem Typen eins auf die Nase. Im Stadion könnte das aufgrund der Menge der Arschlöcher eng werden“, sagt Peter. Fußball ist für ihn eine große Leidenschaft. Aber „ich kann mich nie richtig entspannen und wohl fühlen, solange es dieses homophobe Klima gibt“, sagt er.

Gesamter Fußball betroffen

Das Problem existiert allerdings keineswegs nur bei den beiden großen Wiener Clubs. Aus der Fanszene von Austria Salzburg etwa sollen Aufkleber mit der Aufschrift „Cops are gay“ stammen. In Linz beschimpften Fans des LASK ihre Lokalrivalen von Blau-Weiß beim Derby 2016, indem sie ihnen unterstellten, dass der Linzer Bürgermeister sie penetrieren würde. Beim Länderspiel 2013 grölten tausende österreichische Fans Slogans gegen den „schwulen“ Deutschen Fußballbund.

Doch es gibt auch Fortschritte, wie Rosa von „Fußballfans gegen Homophobie“ (FFGH) erzählt. „Wir sehen, dass das Thema zunehmend den Weg in die Öffentlichkeit findet. Allein das ist sicher bereits ein großer Erfolg.“ Rosa glaubt, dass das Thema noch schwieriger anzugehen ist als der Rassismus in manchen Kurven. „Homophobie hat ganz viel mit eigenen Klischees von Männlichkeit zu tun. Das ist ein Schwanzvergleich. Bei einem Verzicht müssten auch die eigenen Männlichkeitsbilder hinterfragt werden.“

Dokumentation von homophoben Fußballbannern und Aktionen gegen Homophobie im Fußball

Michael Bonvalot

Dass es Fortschritte gibt, glaubt auch Nicole Selmer vom Fußballmagazin Ballesterer: „Ich habe den Eindruck, dass es zunehmend Aktionen gibt und auch ein gewachsenes Bewusstsein, dass Homophobie einfach scheiße ist.“ Dennoch glaubt sie, dass wir weiterhin von einem „Dauerthema“ sprechen müssen.

Rolle der Vereine

Auch die Vereine spielen dabei eine wichtige Rolle. Dabei geht es nicht nur um Statements gegenüber den Fans, sondern genauso um den Schutz und die Ermutigung schwuler und lesbischer SpielerInnen. Rosa von den „Fußballfans gegen Homophobie“ spricht etwa von der Ausbildung der TrainerInnen: „Hier müsste angesetzt werden und es müssten ganz andere Männlichkeitsbilder vermittelt werden“ meint sie. Dabei geht es nicht nur um Homophobie, auch um Missbrauch und Übergriffe.

Dokumentation von homophoben Fußballbannern und Aktionen gegen Homophobie im Fußball

Michael Bonvalot

Das berüchtigte Pastern etwa war jahrelang Brauch im österreichischen Sport, teilweise dürfte es noch immer vorkommen. Der ehemalige Fußball-Profi Paul Scharner beschrieb in einem Interview mit dem Standard, wie er dieses Ritual erlebte: „Ich versuchte, mich zu wehren, aber es waren zu viele Hände. Sie banden mich an Füßen und Händen mit Tape fest. Auf dem Bauch liegend wurde ich in die Matratze gedrückt, sie saßen auf mir, und ich bekam kaum Luft. Wenn man sich wehrt, wird es schlimmer ... Es war sinnlos dagegenzuhalten.“

Scharner beschreibt auch seine Demütigung: „Vielleicht hätte ich mir vorher ein Pfefferspray besorgen sollen. Dieser Demütigung würde ich mich heute widersetzen. Sie schmierten mir reichlich schwarze Schuhcreme auf den entblößten Hintern und schlugen mit Badeschlapfen auf mich ein. Das Lachen meiner Kollegen war noch einmal eine Demütigung. Nach dem Pastern wurden mir auch noch die Haare abrasiert.“

Das Pastern ist also ein Missbrauchsritual. Zusätzlich begünstigt es Übergriffe und transportiert auch bestimmte Botschaften von Männlichkeit, Unterwerfung und Hierarchie.

Fans als Opfer

Auch Fans können Opfer von Übergriffen werden, auch von homophoben Übergriffen. Die Faninitiative von Wacker Innsbruck etwa berichtet von schweren Attacken durch die Polizei bei einer Auswärtspartie in Wien am 26. August 2018. Die PolizistInnen hätten in die Fans hineingeschlagen, bei einigen Fans hätte es Kontrollen „bis auf die Unterwäsche“ gegeben. Dem Ordnerdienst von Gastverein Rapid wird ebenfalls „schikanöses Vorgehen“ vorgeworfen.

Auch homophobe Beschimpfungen hätten die Polizisten immer wieder getätigt. „Ihr Woamen ghört zammghaut!“, sei „nur ein Beispiel für den homophoben Sprachgebrauch der Cops an diesem Nachmittag“ gewesen, so die Initiative.

„Es ist eine Entscheidung“

In den Stadien seien offener Rassismus und Antisemitismus glücklicherweise langsam auf dem Rückzug, sagt Nicole Selmer. „Homophobie und Sexismus hingegen sind weiterhin absolut präsent.“ Für Selmer ist es ein Hinweis darauf, dass das Thema „offenbar recht konsensfähig“ wäre. „Scheinbar wird bei Homophobie und Sexismus im Stadion wenig Widerstand erwartet, deshalb kommt es oft auch sehr platt und unverfälscht.“

Dokumentation von homophoben Fußballbannern und Aktionen gegen Homophobie im Fußball

Michael Bonvalot

Rosa von den FFGH möchte auch nicht gelten lassen, dass homophobe Beschimpfungen angeblich einfach so dahingesagt würden. „Natürlich ist ‚schwuler xy‘ homophob. Das wissen die Leute auch. Und teilweise wird da ja sogar richtig recherchiert.“ Als Beispiel nennt sie das Banner der Rapid-Szene mit Lambda-Symbolen auf dem Austria-Wappen: „Da hat sich jemand offenbar richtig intensiv auseinandergesetzt.“

Rote Karte für Homophobie

Michael Bonvalot über ein internationales Turnier von Fußballfans gegen Diskriminierung.

Aber muss das so sein? Sowohl Rosa wie Nicole Selmer verneinen. „Es gibt ja auch genügend positive Beispiele, etwa Sturm Graz, Wacker Innsbruck oder St. Pölten, wo Vorsänger und Fanblock keine homophoben Gesänge anstimmt“, sagt Rosa. Auch die Fanszene von Blau-Weiß Linz ist hier immer wieder vorbildlich.

Bei der Austria gibt es mit der Gruppe „Ostkurve statt Ustkurve“ auch einen Fan-Zusammenschluss, der sich eindeutig positioniert. „WIR sind schwul, lesbisch, bi, transgender, intersexuell und queer! WIR sind Austria Wien! Liebe ist stärker als Hass!“, postet die Gruppe etwa anlässlich der Regenbogenparade in Wien.

Austria-Fans schwenken Regenbogenfahnen

Ostkurve statt Ustkurve

Auf solche Kurven und Beispiele weist auch Selmer hin: „Es gibt keine Zwangsläufigkeit, dass viele Fans auch Homophobie bedeuten. Es ist eine Entscheidung, die einzelne Fans und Fanszenen treffen können.“

Zahlreiche positive Fan-Beispiele

In Wien spielen auch die Kurven des Wiener Sportclubs und der Vienna eine sehr positive Rolle. Dort hat Homophobie keinen Platz. Beim Derby im März 2015 gab es sogar eine gemeinsam Aktion der beiden Kurven mit hunderten Luftballons in Regenbogenfarben.

Dokumentation von homophoben Fußballbannern und Aktionen gegen Homophobie im Fußball

Michael Bonvalot

„Wir können nicht ausschließen, dass es auch in unserem Stadion homophobe Äußerungen gibt. Aber für uns ist es enorm wichtig, für das Thema Bewusstsein zu wecken“, sagt Martin von den „Freund*innen der Friedhofstribüne“ des Wiener Sportclubs. Die erste Aktion der Fans hätte es schon vor mindestens zehn Jahren gegeben.

Martin erzählt dann von den zahlreichen Aktionen der Fans: „Eine klare Botschaft gegen Homophobie nimmt etwa beim Ute- Bock-Cup einen wichtigen Raum ein.“ Die Einnahmen würden auf drei Organisationen aufgeteilt, eine davon ist Queer Base, eine NGO, die geflüchtete Menschen mit LGBT-Fluchthintergründen unterstützt. „Und das Banner der Antihomophoben Aktion hängt selbstverständlich bei jedem Spiel in der Kurve.“

Unterstützung der Vereine

Der Verein würde die Friedhofstribüne bei ihren Aktionen unterstützen. Das ist etwas, was sich Fans anderer Vereine auch wünschen würden. Austria-Fan Peter sagt: „Wir brauchen nicht nur Blabla-Statements, wenn wieder einmal etwas passiert. Der Verein müsste klar sagen, dass Homophobie im Stadion unerwünscht ist und auch entsprechende Aktionen setzen.“

Dokumentation von homophoben Fußballbannern und Aktionen gegen Homophobie im Fußball

Michael Bonvalot

Peter denkt etwa an Regenbogen-Trikots, eine Amateur-LGBT-Mannschaft oder die Unterstützung eines violetten LGBT-Fanclubs. „Lippenbekenntnisse des Vereins reichen nicht. Es geht um Förderung und Sichtbarmachung“, meint Peter. Das sieht auch Rapid-Fan Nora ähnlich. Sie nimmt auch die fortschrittlichen Fans in die Pflicht.

Sichtbar machen

„Wer bei Demos laut ist, sollte im Stadion nicht die Fresse halten.“ Für sie ist klar, dass schon aus Gründen der Eigensicherheit offene Aktionen gegen Homophobie im Fanblock schwierig würden. „Aber zumindest in den sozialen Netzwerken würde ich erwarten, dass es Proteste gibt. Wer schweigt und nur Grün-Weiß postet, ist mitverantwortlich.“

Ihr könnt Michael Bonvalot auf Facebook und Twitter folgen.

Dass hier noch einiges zu tun ist, glaubt auch Rosa von den „Fußballfans gegen Homophobie“: „Die Veränderung muss aus den Kurven kommen.“ Sie weist darauf hin, dass das Thema auch nicht ohne die Situation in der gesamten Gesellschaft diskutiert werden kann. Doch ein erster Schritt wäre für sie, „wenn die progressiven Leute in den Kurven sich vernetzen. Wir sollten zeigen, dass wir Fußball auch anders leben können.“

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