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Ryan Gosling in "First Man"

NBC Universal

First Man, Women Second - die 75. Filmfestspiele von Venedig sind eröffnet

First Man, Women Second – damit wurden die 75. Filmfestspiele von Venedig am Mittwoch Abend eröffnet. Und es wurden noch weitere Debatten über Repräsentation, #metoo und Frauen-Quoten auf großen Filmfestivals geführt.

Von Petra Erdmann

Im Eröffnungsfilm „First Man“ schießt Regisseur Damien Chazelle den Astronauten Neil Armstrong als ersten Menschen 1969 auf den Mond und zieht dabei virtuose Register in Kino-Magie.

Den amerikanischen Helden-Mythos zäumt der kanadische Wunderknabe von hinten auf. Die Mondlandung selbst wird zur Nebensache. Und es sind die Leichen – beruflich wie privat – die ab 1961 die kleinen Schritte des Testpiloten Neil Armstrong (gespielt von Ryan Gosling) und den großen Schritt für die Menschheit pflastern.

Luna Land

Damien Chazelle choreographiert sein Bio-Picture wie ein realistisches Gefühlsbad. Darin ist „First Man“, angefangen beim Score von Justin Hurwitz, seinem Vorgängerfilm „La La Land“ gar nicht so unähnlich. Doch in erster Linie ist „First Man“ ein übergroßes Home-Movie aus der Traumfabrik. Während die NASA im ehrgeizigen Wettlauf gegen die Russen in der Mondfahrt die Nase vorne haben will, nistet sich parallel die Kamera nach dem „fly on the wall"–Prinzip in das Privatleben der Familie Armstrong ein: Claire Foy („The Crown“, „Unsane“) verkörpert leise und fantastisch Janet Armstrong, die beherrschte Ehefrau und Mutter im Suburbia einer amerikanischen Großstadt, die im Leben in der zweiten Reihe steht.

Ryan Gosling in "First Man"

NBC Universal

Wie fühlt es sich an, in Flugobjekten dunkel und klein wie Blechdosen über die Atmosphäre hinaus katapultiert zu werden? Jedenfalls erholt man sich von so einer physischen Kino-Erfahrung auch die darauf folgenden 134 Minuten nicht so schnell. Chazelles rumpelnde Montagen aus dem Inneren der Cockpits haben eine klaustrophobische Wucht, so als schleudere es einen aus dem Wettbewerbsprogramm direkt in die Experimentalfilm-Sektion.

Fast schon zu perfekt besetzt und inszeniert ist "First Man“ die nur etwas andere Hollywood-Synthese aus Menschlichkeit und romantisiertem Fortschrittsglauben. Abgehangenem Spektakelkino bleibt der Film jedoch Lichtjahre voraus.

Einen guten Riecher für zukünftige Oscar-Favoriten beweist Festivaldirektor Alberto Barbera seit Jahren. Mit treffsicherer Leichtigkeit ist es Barbera auch heuer gelungen, das künstlerische und liberale Hollywood an den Lido zu holen. Vorjahressieger Guillermo del Toro („The Shape of Water“) sitzt heuer im Sessel des Jury-Präsidenten. Am Ende des Festivals wird der Fantasy- Meister den Goldenen Löwen für den besten Film unter den 21 internationalen Wettbewerbern verkünden. Sorgen, nicht auf seine Kosten zu kommen, braucht man sich angesichts dieses viel versprechenden und hochkarätigen Wettbewerbsprogramms die nächsten 10 Festivaltage nicht machen.

Cowboy mit Wanted-Bild

Filmstill / "The Ballad of Buster Scruggs"

"The Ballad of Buster Scruggs“

In Cannes waren im Mai Produktionen der Online-Streaming-Giganten im Rennen um die Goldene Palme nicht zugelassen. Ein regulärer Start in französischen Kinos zählte zu den Voraussetzungen, in den Wettbewerb aufgenommen zu werden. Nun ziehen die Coen-Brüder mit ihrer 6-teiligen Western–Anthologie „The Ballad of Buster Scruggs“ samt Darsteller Tom Waits an den Lido. Alfonso Cuarón folgt ihnen und seziert im Netflix-Coup „Roma“ Mexico Citys Mittelklasse der 70er-Jahre. Der Streaming-Plattform-Gigant Amazon hat wiederum das prognostizierte Venedig-Highlight „Suspiria“ finanziert. Mit dem viel erwarteten Remake des somnambulen Horror-Klassikers von Dario Argento aus dem Jahre 1977 wird sich Regisseur Luca Guadagnio („Call me by my name“) noch einen Namen machen müssen. Mit Dakota Johnson, Tilda Swinton und Chloé Grace Moretz in den Hauptrollen haftet „Suspiria“ schon im Vorfeld das Etikett eines offensichtlichen SchauspielerInnen-Kinos an.

Filmstill aus "Suspiria"

Amazon Studios

„Suspiria“

Mit seine Gästen Natalie Portman, Lady Gaga und Emma Stone kann sich Alberto Barbera in diesem Jahr noch mehr Starpower auf die Fahne schreiben. Doch Jennifer Kent („Babadook“) bleibt mit „The Nightingale“ die einzige Frau, die bei einem für den Wettbewerb nominierten Film Regie geführt hat. Die Kritik daran hat Barbera durch ein Interview mit dem Branchenmagazin „Hollywood Reporter“ noch einmal gesteigert. Er würde zurücktreten, hat er da gesagt, wenn A-Festivals wie Venedig Ernst mit einer Regisseurinnen-Quote im Wettbewerb machen. Damit hat er - und gleich mit ihm die ganze italienische Gesellschaft -, den Vorwurf des Machismus einstecken müssen. Cannes, Toronto und Sundance jedenfalls hatten die immer aktuelle #metoo-Debatte genutzt, mehr Regisseurinnen in ihre Wettbewerbe zu holen.

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