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Cover Lina Muzur

Hanser Verlag

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Ein Buch, das wütend macht

Für den Kurzgeschichtenband „Sagte sie. 17 Erzählungen über Sex und Macht“ schrieben ausschließlich Autorinnen - über Demütigungen und sexuelle Gewalt.

Von Maria Motter

Ein Ferienhaus mit Meerblick, rundum üppiges grünes Dickicht und der Freund verabschiedet sich. Wichtiger Anruf der Geschäftspartnerin, die Sache sei in wenigen Tagen erledigt. Zurück lässt der Jungunternehmer die Freundin mit dem Baby, mit ein bisschen Skepsis und bald nur noch Angst und Panik. Die Autorin Julia Wolf projiziert auf fünfzehn Buchseiten ein absolutes Horrorszenario: Eine Frau fantasiert von einem Verbrechen. Und am Ende steht die Wut der LeserInnen im Zimmer der Finca. „Dickicht“ ist eine der eindrucksvollsten Geschichten aus dem Sammelband „Sagte sie. 17 Erzählungen über Sex und Macht“. Klaustrophobisch und misogyn präsentiert sich nicht nur die Atmosphäre auf der Ferieninsel. Vielmehr als um Sex und Macht geht es in den zusammengetragenen Erzählungen um Demütigungen, sexuelle Übergriffe und das Danach.

Lina Muzur

Christian Werner

Herausgeberin Lina Muzur

#metoo oder doch nicht?

Die Herausgeberin von „Sagte sie“, Lina Muzur, hat Julia Wolf und 16 weitere Autorinnen um Texte gebeten. Den Hashtag „metoo“ habe sie in ihren Anfragen vermieden. So ganz allgemein findet Lina Muzur, dass man „seiner Version der Geschichte schon zu oft und zu lange zugehört“ hätte. Der englische Ausdruck „He said she said“ für eine Konfliktsituation habe den deutschen Titel „Sie sagte“ inspiriert. Die Herausgeberin betont, dass es sich bei allen Texten um Literatur handelt.

Cover Lina Muzur

Hanser Verlag

„Sagte sie. 17 Erzählungen über Sex und Macht“, herausgegeben von Lina Muzur, mit Beiträgen von Fatma Aydemir, Nora Gomringer, Jackie Thomae u.a. ist bei Hanser Berlin erschienen.

Progressiv ist diese Literatur nicht. Es ist bezeichnend, in wie wenigen Geschichten Taten benannt werden. Als gäbe es noch immer keine Worte für sexuelle Gewalt. Doch damit dokumentieren die AutorInnen den Status Quo. Ob man diesen mit noch mehr Scham und Selbstbeschuldigungen durch die Protagonistinnen zementieren muss, ist eine Frage, die in den Geschichten unterschiedlich beantwortet wird. Die Journalistin und Feministin Margarete Stokowoski lässt ihre Protagonistinnen in „Zurück“ den Gedanken an Selbstjustiz aussprechen. Es wirkt wie ein Befreiungsschlag aus der Schockstarre.

Und so lohnt es sich, die Kurzgeschichten zu lesen. Mit jeder Erzählung tun sich Fragen auf. Woher haben die Schamlippen eigentlich ihren Namen? Wie schreiben Autorinnen über Vergewaltigungen, ohne pornografisch zu werden? Ist es möglich, dass man als Frau die Ansichten von Männern so sehr übernommen hat, dass man den eigenen Willen nicht mehr vom Willen der Männer unterscheiden kann? Und wie weit geht gerade diese letzte Überlegung, die Antonia Baum in „Setzen Sie sich!“ anstellt!

So unterschiedlich die fiktiven Fälle sind, sie sind alle mit größerer Leichtigkeit zu lesen als der Text, mit dem die US-amerikanische Autorin Emma Cline („The Girls“) das Wort ergriffen hat.

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