Filmfestival Venedig: Hysterie um Lady Gaga und „Suspiria“–Remake
Von Petra Erdmann
Filmfestspiele Venedig im Regen. Das ist eine alte Leier hier. Ich kann mich an ein Jahr erinnern, in dem Ben Affleck im Close Up kübelweise Tränen geheult. Ohne Grund. Denn während eines Unwetters war das Wasser im lecken Kinosaal sogar die Leinwand hinunter gelaufen.
La Biennale di Venezia
„A Star is born“ ist eine oft im Kino erzählte Geschichte. Regisseur George Cukor hat den Stoff im Musical-Klassiker von 1954 mit Judy Garland inszeniert. Eine Version mit Barbara Streisand aus dem Jahr 1987 gibt es auch schon. Clint Eastwood und Beyoncé sind rechtzeitig von der Idee abgekommen, in einer modernen Fassung mitzuwirken. Nun hat Bradley Cooper sein Regiedebüt „A Star is born“ in einer besonders altfadrischen Neuauflage vorgelegt. Der Neo-Regisseur spielt und singt darin den alkoholkranken Rockstar Jackson Maine, der am Ende seiner Karriere die talentierte Sängerin Ally (Lady Gaga) bis zum Mega-Popstar pusht.
Einmal geraten: Maine verliebt sich natürlich in die außergewöhnliche Stimme, die er in einer Queer-Bar entdeckt, dann erst in die außergewöhnlich natürliche Frau. „A Star is born“ ist eine stereotype Schmonzette im überdimensionierten Konzertfilm-Look und mit schmerzhaftem Mansplaining in den Dialogen. Da muss Lady Gaga ihr schillerndes Charisma mit der schlechten Garderobe abgegeben. Gaga als girl next door in Nude Make Up – auch das bleibt eine aufgeschminkte Wahrheit im Film. Klebrig, klebrig, die Sache.
Warner Bros.
Surprise, Surprise, „Suspiria“
Mit seinem Remake des Horror-Klassikers „Suspiria“ hat Regisseur Luca Guadagnino („Call be my your name“) am Samstagabend eine überraschend eigenwillige und leise Vision abgeliefert, einen Kultfilm neu zu interpretieren. Es war der meist erwartete Wettbewerbsfilm und die erste Venedig-Premiere des Online-Plattform-Giganten Amazon, der seinen ersten Horrorfilm produziert hat. „Suspiria“ tritt gegen sechs Netflix-Beiträge an, darunter gegen die etwas enttäuschende Western-Anthologie „The Ballad of Buster Scruggs“ der Coen-Brüder, die bereits ihre Welturaufführung am Lido gefeiert.
Alessio Bolzoni / Amazon Studios
Klassische Studios finanzieren selten noch Autoren-Genrefilme, schon gar keine mit Avantgarde -Appeal. „Suspiria“ lehrt weniger das Fürchten. Vielmehr verschaut man sich in diese hoch ästhetische und erzählerische Präzision mit einem Quäntchen Feminismus.
Die fiebertraumartige Gewaltorgie, die Regisseur Dario Argento in seinem Original „Suspira“ am weiblichen Körper im Kino 1977 durchexerziert hat, bringt ihm bis heute Minuspunkte bei Feministinnen ein. Im “Suspiria“-Original verstümmeln Hexen, die als Leiterinnen einer Ballettschule in Freiburg getarnt sind, ihre Tanzstudentinnen. Aus diesen grellen blutigen Ritualen gelingt der amerikanischen Hauptfigur Suzy Bannion die Flucht. Im neuen „Suspiria“ findet Suzy (jetzt eine knochenharte Dakota Johnson) in ihren exzessiven Tanzperformances ein anderes, emanzipatorisches Ende. So viel sei verraten.
Madame Blanc (Tilda Swinton) choreographiert mit dem spirituellen Stück „Volk“ ein mörderisches Folterinstrument, das ihre untertänigen Schülerinnen, darunter auch Chloë Grace Moretz, in den Wahnsinn treibt.
Alessio Bolzoni / Amazon Studios
Blutig verrenkte Mädchenkörper in geheimen Räumen verwandeln einander durch den Tanz in ekstatische Untote. Auch damit ist Luca Guadagnino wenig auf Schock aus. Die dezent eingesetzten CGI-Effekte unterstützen vielmehr seinen alptraumhaften, ungemütlichen Realismus. Seine exzentrischen Hexen besetzt hat Luca Guadagnino u.a. mit großen Filmschauspielerinnen des deutschen 70er Jahre–Kinos besetzt, wie etwa mit der immer fantastischen Angela Winkler („Die verlorene Ehe der Katharina Blum“). Ingrid Caven erscheint wie eine Wiedergängerin des radikalen Kinos von Rainer Werner Fassbinder. Ihm hat Guadagnino mit seinem „Suspiria“ eine offensichtliche Hommage erwiesen.
Alessio Bolzoni / Amazon Studios
Guadagnino lädt diese psychologische Verstörung und die rituellen Gewalttaten an den mit vielschichtigen politischen Untertönen auf, die draußen auf den Straßen zu hören sind. Im Inneren eines mysteriösen Gebäudes, das die Tanzkompanie beherbergt, tobt ein sinistrer Machtkampf unter Hexen und ihren Anhängerinnen. In Berlin demonstrieren 1977 Menschen für die Gefangenenrechte der RAF-Mitglieder und der deutsche Staat liefert ihnen blutige Unruhen. Der Geist der NS-Zeit jagt die einzige männliche Hauptfigur.
Wie der Giallo-Papst Dario Argento das Remake seines Schlüsselwerkes gefunden hat, bleibt das Geheimnis von Guadagnino. Er hat sich auf der Pressekonferenz als „Stalker von den besten Regisseuren“ geoutet. „Mit 15 Jahren habe ich Dario Argento durch die Scheiben eines Restaurants minutenlang angestarrt“, gesteht Guadagnino, „so sehr, dass es ihm schon unangenehm wurde.“
La Biennale di Venezia
Ein zurückhaltender Thom Yorke sitzt neben dem Regisseur. Stunden nach dem Pressescreening von „Suspiria“ hallt seine gespenstische Engelsstimme immer noch nach. Es ist er erste komponierte Filmscore des Radiohead-Frontman. Gegensätzlicher könnte der Soundtrack nicht klingen, zu der nervenaufreibenden Originalmusik der italienischen Progressive-Rocker Goblin von 1977.
Publiziert am 02.09.2018