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FM4 Auf Laut: „Ich bin ein Profi im Fehler-Machen“

Sich selbst Fehler einzugestehen bedeutet, sich gnadenlos ins Gesicht zu sehen. Aber kann das jeder, will das jeder?

Von Gersin Livia Paya

„Gib mir einen Fehler und ich mache ihn.“, sagt Marcel Nemack zu mir am Telefon und wir beide fangen an, zu lachen. Schnell kommt ein Unbehagen darüber auf, einen Menschen, dessen Fehler maximale Konsequenzen hatte, dafür auszulachen, dass er Fehler beging. Aber auch das ist eine Strategie mit Fehlern umzugehen: Selbstironie anwenden.

Der 36-Jährige hat seine Strafen abgebüßt. Seit seiner Jugend hat er mit mehreren Haftstrafen insgesamt fast 10 Jahre seines Lebens in Haft verbracht. „Ich bin ein Profi im Fehler-Machen“, sagt Marcel von sich selbst. Diesmal lachen wir nicht.

Er hat fast alles Krummes getan, was man tun kann, Raub, Waffen- und Drogen-Delikte ziehen einen Riss durch sein Leben.

Wieso hat er nach seiner ersten Jugendhaft nicht gleich aus seinen Fehlern gelernt?

„Ich bin immer mit einem blauen Auge davon gekommen. Während die eine Anzeige noch auf dem Tisch lag, sammelte ich schon neue Anzeigen. Ich war kurz in der Zelle und dann wieder auf freiem Fuß. Ähnlich wie beim Hausarrest, es gab einfach zu wenig Konsequenzen.“

Marcel hat absichtlich Fehler begangen und in anderen die Fehler gesehen, nicht in sich.

„Ich war sicher egoistisch. Hab zuerst immer den anderen die Schuld gegeben und den Fehler nicht in meiner Tat gesehen sondern darin, dass wir erwischt wurden.“

Was war das Hauptmotiv seiner Straftaten?

„Hauptsächlich Geld, denn ohne Geld ist man kein vollwertiger Mensch, dachte ich. Wir laufen Idealen und Fame hinterher, aber das ist alles nicht echt.“

Während wir miteinander telefonieren geht Marcel durch Berlin Neukölln und erzählt mir auch von seiner gewonnenen Menschenkenntnis. Er erkennt jetzt die „Echten“ und die „Blender“. Er hat Recht, wir leben immer mehr in einer Kultur der Selbsttäuschung. Es geht um unsere eigenen Ansprüche an das Leben, nicht die auferlegten. Und Scheitern steht immer im Zusammenhang mit den Kriterien des Erfolgs.

Aber dass wir überhaupt Fehler machen können, verbindet uns Menschen: In allen Situationen kommen Hände vor, die einen beim Aufstehen helfen, sofern man es auch selbst will. Freunde die trösten, Opfer die vergeben, oder wie in Marcels Fall: Sozialarbeiter, die ein Talent entdecken und fördern.

In der Strafanstalt hat er einen Kunstkurs besucht, vier Stunden am Tag raus aus der Zelle und malen. Die Sozialarbeiterin und Kunstlehrerin hat sein Talent und er seine Passion entdeckt. Heute ist Marcel Nemack ein freischaffender Bildender Künstler, seine Werke werden ausgestellt und finden Beliebtheit in der Clubszene Berlins.

„Jetzt ist alles anders, früher war ich ignorant gegenüber vielem, heute nicht mehr, ich bin offen und das ist gut so.“

Bei seiner letzten Haft hat sich alles geändert. Er hat „die Ehrlichkeit zu sich selbst und zu seinem Umfeld gefunden. Und reflektiert.“ Heute kann er sich alle seine Fehler verzeihen.

Das signifikante an Marcel Nemack ist, dass er über seine Fehler offen spricht und dazu stehen kann. Er ist für einen offenen Diskurs, gegen eine Ja-Sager-Kultur die Fehler einfach hinnimmt, und dafür dass die ihm nahestehenden Menschen harte Richter mit ihm sind. Kein Stillstand - denn Fehler-Machen beinhaltet schon das Wort „Machen“, etwas tun. Wer etwas macht, macht auch Fehler. Marcel interpretiert dann noch Nietzsche „Das Wesen des Selbst entsteht erst durch Schaffen“.

Heute in FM4 Auf Laut

Lasst uns gemeinsam über das Fehlermachen sprechen! In FM4 Auf Laut diskutieren wir heute mit dem Ex-Häftling und Künstler Marcel Nemack und der Violonistin Antonia-Alexa-Georgiew ab 21 Uhr darüber, wie wir mit Fehlern umgehen in unserer Gesellschaft. Welche Fehler hast du gemacht und wie bist du damit umgegangen? Welchen Fehler nimmst du dir vor, nicht mehr zu machen? Ruf an und diskutier mit! Die Nummer ins Studio ist 0800 226 996.

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