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Filmstill "Vox Lux"

Brady Corbet

Zwischen Polit- und Pop-Apokalypse

Rechtspopulist Steve Bannon war ohne offizielle Einladung seinem Porträtisten, dem Regisseur Errol Morris an den Lido gefolgt. Der ehemalige Trump-Berater hat die Weltpremiere des Dokumentarfilms „American Dharma“ dennoch besucht. Der renommierte Oscar-Preisträger („The Fog of War“) und liberale Morris scheitert in einem langem Interview daran, den Rechtspopulisten verstehen zu wollen.

Von Petra Erdmann

Steve Bannon liebt bekanntlich das Scheinwerferlicht. Den Roten Teppich durfte der Mitbegründer der rechten Onlineplattform „Breitbart News Network“ am Mittwochabend in Venedig aber nicht betreten. Zu hohes Sicherheitsrisiko, hieß die offizielle Begründung der Security von Steve Bannon. Über den Seiteneingang hat sich Bannon dann in die Sala Grande hinein und wieder hinaus geschlichen.

Auch in „American Dharma“ gelingt es dem Rechtspopulisten mühelos sich herauszuwinden, wenn der investigative Journalist Errol Morris ihm Nationalismus und Rassismus vorwirft. Morris sitzt wie in vielen seiner Filme mit dem Rücken zur Kamera, führt sein langes Interview und überlässt Bannon ein weites Propaganda-Feld.

Steve Bannon

Errol Morris

„American Dharma“

Im Hintergrund brennen die CGI-Studio-Kulissen und Bannon erzählt gut gelaunt, wie „er“ die Wahlen um die US-Präsidentschaft gewonnen habe und wie man nach Nachrichten von rechtsaußen am effektvollsten lanciert. Im Westen nichts Neues. Kurz spannend wird es, wenn Altes aus Hollywood auftaucht. Der ehemalige Filmemacher und movie-buff Steve Bannon seziert anhand von Ausschnitten mit seinem liebsten Kriegshelden aus „Twelve O’Clock High“ (1949) die moralischen Pflichten eines Chefstrategen im Film. Gregory Pecks Durchhalteparolen als Kommandeur erklärt Bannon zu seinen moralischen Inspirationsquellen, genauso wie die die Arbeit des Regisseurs Errol Morris. Dabei ist dieser ein Liberaler.

Für die zahnlose Konfrontation, die Morris dem Rechtspopulisten im Kino gewährt, ist er auf der Pressekonferenz von seinen amerikanischen Journalisten-Kollegen regelrecht zerrissen worden. „Ich wollte nicht schweigen und den Film nicht nicht machen“, hat Morris geantwortet. „Ich wollte dem nationalistischen Populismus von Bannon auf die Spur kommen, welche Auswirkungen er in unserer Welt und in meinem Land hat. Das alleine halte ich für extrem wichtig.“

Der Film ist nicht wichtig genug. Die Vorzeichen des politischen Populismus liest da die Wettbewerbs-Überraschung „Vox Lux“ weitaus interessanter. In dem Musical -Drama performt Natalie Portman einen zynischen Popstar mit bitchigem Unterton. „Vox Lux“ ist ein melancholisches Porträt der Millenials, einer Jugend, die mit 9/11 und Columbine aufgewachsen ist und die letzten 20 Jahre aus den eigenen Alpträumen nicht mehr rausgekommen ist.

Filmstill "Vox Lux"

Lol Crawley

„Vox Lux“

Alles beginnt 1999 – und ohne Natalie Portman. Die 13-jährige Albertine (Raffey Cassidy) überlebt den Amoklauf eines Schulkollegen. Danach rührt sie mit einem selbst geschriebenen Song zum blutigen Ereignis die Massen. Unter dem Pseudonym Celeste, mit einem arty Musik-Clip und einem provokanten Imagewandel mutiert ein traumatisiertes Opfer zum Mega-Popstar.

„Vox Lux“ ist vieles, nur keine pop-pessimistische Kitsch-Orgie. Es ist eine sogartige, kluge wie spaßige Krisen-Parabel und der zweite ungewöhnliche Spielfilm des Schauspielers Brady Corbet („Funny Games“ im US-Remake). Jude Law spielt einen Manager mit Dauerkater und Sia hat die Songs für „Vox Lux“ geschrieben. Inspiriert von Peter Watkins fake-dokumentarischem Rockstarfilm „Privilege“ und Robert Musils Jahrhundertroman „Der Mann ohne Eigenschaften“ verdichtet Corbet „Vox Lux“ zu einem filmischen Experiment, das in Venedig für Aufregung sorgte.

Aisling Franciosi und  Jennifer Kent

APA/AFP/Filippo MONTEFORTE

Aisling Franciosi und Jennifer Kent

Weit weniger radikal in der Erzählweise hat die australische Filmemacherin Jennifer Kent ihre neueste und ultrabrutale Arbeit vorgestellt. Sie ist die einzige Regisseurin im Wettbewerb von Venedig, was Kent auf der Pressekonferenz heute mit folgenden Satz kommentierte.

I wish I had my sister filmmakers here

„The Nightingale“ ist die Geschichte ihrer irischen Heldin Clare, die 1825 im tasmanischem Busch auf Rachefeldzug gegen den mörderischen Seximus geht. „Game of Trones“-Star Aisling Franciosi jagt manisch ihren Vergewaltiger und Killer ihrer Familie, einen Offizier der britischen Kolonie. Das Pressescreening von „The Nightingale“ hat mit verstörtem und lautem Gelächter der Journalisten ein bizarres Ende gefunden.

Filmstill "The Favourite"

Yorgos Lanthimos

„The Favourite“

Jacques Audiard und Yorgos Lanthimos werfen mit komischer Leichtigkeit und Hollywood-Starpower originell Genre-Gewohnheiten über Bord.

In der entrückten Historienkomödie „The Favourite“ von Lanthimos buhlen Emma Stone und Rachel Weisz um die Gunst einer depressiven und lesbischen Königin (Olivia Colman). Die sexuell aufgeladenen Machtkämpfe dreier Frauen am Königinnenhof im England des 18. Jahrhunderts verkehren sich in eine moderne Screwball-Komödie. Zwischen aufgeheizten Enten-Rennen und queeren Perücken-Architekturen rivalisieren komplexe und komplizierte Frauenfiguren gegeneinander. Ein Geniestreich!

Audiard unterwandert maskuline Archetypen im Western

Jacques Audiard hat mit „The Sisters Brothers“ dem Western neue Perspektiven eröffnet. Joaquin Phoenix und John C. Reily spielen zwei Brüder im Jahr 1851, die als gefürchtete Auftragskiller arbeiten. Die lonesome cowboys machen ihre Gefühle längst nicht mehr nur mit sich selbst aus. Die Machos verwandeln sich in sehr privaten und witzigen Schlagabtäuschen in befreite Männer und bessere Individuen, die mit dem Fortschritt reiten und erste Erfahrungen mit Zahnbürste, Klospülung und Demokratie machen. Dafür gab es viel Applaus und Standing Ovations wie auch für den Dokumentarfilm „What You Gonna Do When the World’s on Fire?“. Unglaublich stilsicher, fast schlafwandlerisch begleitet der in den USA lebende Regisseur Roberto Minervini die „New Black Panther Party“ in die ärmsten black communities des Südens. In diesem bildgewaltigen Protest treten stolze Protagonisten in ihrem schwierigen Alltag gegen die weiße Polizeigewalt, Rassismus und Gentrifizierung an. „What You Gonna Do When the World’s on Fire?“ kann man sich schon als Pflichtfilm im heurigen Viennale-Kalender eintragen.

Kleinerer Junge schaut größeren Jungen fragend an

Okta film

„What You Gonna Do When the World’s on Fire?“

Staunende Blicke konnte dieser magische Dokumentarfilm von Jury-Präsident Guillermo del Toro ernten. Das habe ich zwei Reihen hinter ihm sitzend im Kino selbst beobachtet. Ob er den Goldenen oder einen anderen Löwen in diesem hochkarätigen Venedig-Wettbewerbsprogramm 2018 gewinnen wird, das wird sich am Samstag bei der Preisverleihung zeigen.

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