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Autorenfoto Karl Wolfgang Flender

Birte Filmer

Altmodische Helden im Digitalzeitalter

Karl Wolfgang Flender hat mit „Helden der Nacht“ einen unglaublich witzigen, satirischen und sehr spannenden Roman geschrieben, der den mystischen Detektiv ebenso huldigt, wie er die CSI-Stereotypen durch den Kakao zieht.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Wir kennen sie, die alten Helden im Trenchcoat mit ihrem bis zu den Augenbrauen heruntergezogenem Hut. Sie stehen im Schatten einer nächtlichen Straßenlaterne und observieren. Sie lösen mit den kleinsten Indizien ein komplexes Puzzle, sie drehen sich im letzten Moment noch um für die eine, entscheidende Frage, mit denen sie den Mörder überführen.

Egal ob Sherlock Holmes, Columbo, Mike Hammer oder Hercule Poirot, sie alle haben ein romantisches und mystisches Bild des einsamen Ermittlers geprägt, das uns allen im Kopf ist. Doch wie verändert sich dieses Bild im digitalen Zeitalter, in dem es für alles GPS-Koordinaten, eigen Apps und Satellitenüberwachung gibt?

Der deutsche Autor Karl Wolfgang Flender lässt in seinem zweiten Roman „Helden der Nacht“ die verstaubte und die hochtechnologische Welt der Privatschnüffler und Polizeiermittler herrlich aufeinanderprallen.

Von Vanillemilch und abgesägten Fingern

Bryan Auster ist ein junger, gemütlicher, etwas antriebsloser Berliner Student. Wenn er nicht gerade einen Joint baut, springt er für seinen rückenkranken Vater als Privatdetektiv ein. Schon bald entlarvt er die glamourösen Erzählungen des Vaters als Lügengeschichten, denn die Observation im schmuddeligen Kleinwagen in der Nacht ist alles andere als aufregend.

Buchcover "helden der nacht" von Karl Wolfgang Flender

Dumont Verlag

Der zweite Roman „Helden der Nacht“ von Karl Wolfgang Flender ist bei Dumont erschienen.

Er schob seine Hände unter den Hintern, um sie zu wärmen. Die Heizung war leider keine Option. Seit irgendwann eine Packung Vanillemilch aus dem Getränkehalter direkt in die Lüftung gekippt war, strömte ein Verwesungsgeruch aus den Schlitzen, als wäre ein Iltis unter der Motorhaube verreckt. (...) Das Radio konnte er auch vergessen, die Antenne war schon seit Ewigkeiten abgebrochen. Der Legende nach hatte irgendeine Zielperson seinen Vater entdeckt und das Auto demoliert. Aber nach den Erfahrungen der letzten Nächte war es vermutlich eher die Waschanlage gewesen.

Erst als Bryans schrulliger Freund und IT-Nerd Kenny eine Seitensprung-Datingwebsite hackt und dort an alle persönlichen Daten rankommt, entwickeln die beiden einen cleveren Plan, um neue Aufträge an Land zu ziehen. Doch schon bald verstricken sich die beiden selbst in ein gefährliches Spiel.

Nicht weit von der Detektei Auster entfernt ermittelt Kommissarin Colleen McCollum. Sie hasst ihren Joballtag, ist immer am Rande des Burn-Outs und fühlt sich ihrem Ehe- und Hausmann nicht mehr ganz verbunden. Bis Colleen in einen bizarren Mordfall stolpert.

„Sei musste den Finger wahrscheinlich selbst an die Wand nageln.“ Einer der Weißgekleideten deutete auf einen am Boden liegenden Hammer, blutige Fingerabrücke am Stiel. Colleen rümpft wieder die Nase, diesmal vielleicht sogar zu Recht, und fragt sich für einen Moment, was wohl schmerzhafter für das Opfer gewesen ist, das Absägen oder das Durchschlagen des eigenen, leblosen Fingers an der Wand, so eine Art Phantomschmerz vielleicht.

Schon bald ist dieser abgesägte Finger nicht der einzige, mit dem sich Colleen herumschlagen muss und ihr gemütlicher, wenn auch langweiliger Arbeitsalltag verwandelt sich in eine blutige Achterbahnfahrt.

Zwischen lebendigem Witz und konstruierter Verschachtelung

Karl Wolfgang Flender entführt uns schon mit den ersten Sätzen in seine aberwitzige Detektiv- und Polizeiwelt. Seine Figuren sind ebenso schrullig wie liebenswert, wobei Flender hier geschmackvoll und gekonnt mit sozialen und beruflichen Stereotypen spielt. Flender versteht es extrem gut, Spannung aufzubauen, indem er die Geschichten seiner beiden Anti-Helden langsam ineinanderfließen lässt und auch mit der Zeitebene spielt.

Referenzen und kleine Hinweise auf berühmte Geschichten und Autoren lässt er ganz unvermittelt einfließen. Nicht umsonst nennt er seinen etwas verloren wirkenden Kiffer-Helden „Auster“ und sofort denkt man an den amerikanischen Schriftsteller, der in seinen Büchern wie der „New York Trilogie“ uns mit seinen Vexierspielen in Atem hält. Diese Anspielungen mixt der deutsch Autor mit grauem Berliner Polizeialltag und lässt die Welten eines weichherzigen Träumers und einer desillusionierten starken Frau aufeinandertreffen.

Außerdem weiß Karl Wolfgang Flender wovon er schreibt, schließlich spaziert er tagtäglich selbst durch die gleiche Nachbarschaft wie seine Figur Bryan Auster. Dass Flender so ganz nahe an seinen Figuren ist, macht die Dialoge und auch jede einzelne Szene unglaublich lebendig. Wie schon bei seinem Debüt „Greenwash Inc.“ ist dem deutschen Autor mit „Helden der Nacht“ erneut eine Fusion gelungen, die diesmal großartigen Kriminalroman, lustiger Hommage an große Detektive-Helden und scharfzüngiges Gesellschaftsportrait miteinander verbindet.

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