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Buch

Pomp, Bombast und tausend Takte

Der amerikanische Musikjournalist David Weigel dringt in seinem Doku-Buch über den Progressive Rock auf ironische und gleichzeitig liebevolle Art in eine Welt vor, in der Schweine fliegen und Tiger Adlerflügel haben.

Von David Pfister

Anfang der Siebzigerjahre entwickelte sich mit dem Fortschritt der technischen Möglichkeiten und den zunehmenden Fertigkeiten an den Instrumenten ein neues Genre der Rockmusik, der Progressive Rock. Anfangs als Innovation und Impulsgeber wahrgenommen, verwandelte sich dieses Genre schnell zu einem der meistgehassten Kapitel der Rockmusik. Heute steht es für viele MusikhörerInnen für verkopfte Stagnation, Angeberei und Gestrigkeit.

"Die meisten Rockhistoriker würden ihn am liebsten von der musikalischen Landkarte entfernen. Wird ein Song von Funkadelic, Foghat oder Blondie in einem Film eingesetzt, bedeutet das unmissverständlich: Siebziger! Die höchst seltene Passage eines Progressive-Songs in einem Streifen – wie Vincent Gallos Würdigung von Yes und King Crimson in „Buffalo 66" – taucht bei einer Handlung auf, bei der der Zuschauer mit etwas Merkwürdigem oder Kaputtem konfrontiert wird.“

Buchcover: "Progressive Rock: Pomp, Bombast und tausend Takte"  von David Weigel

Hannibal Verlag

„Progressive Rock – Pomp, Bombast und Tausend Takte“ von David Weigel ist in einer Übersetzung von Alan Tepper im Hannibal Verlag erschienen.

Der amerikanische Journalist David Weigel zählt natürlich nicht zu diesen „meisten Rockhistorikern“. Er führte für sein Buch „Progressive Rock – Pomp, Bombast und Tausend Takte“ zahlreiche Interviews mit wichtigen Akteuren der Szene, um das Genre möglichst breit und detailreich zu beleuchten.

Zwei neue Rock-Gedankenmodelle

Als in den späten Sechzigern die Möglichkeiten des Psychedelic Rock weitestgehend fertig erzählt waren, entstehen zwei verwandte, aber doch sehr unterschiedliche neue Rock-Gedankenmodelle. In Deutschland führt die freigeistige und neugierige Art zu musizieren, für die der Psychedelic Rock verantwortlich war, zum Krautrock. Deutsche Bands wie Kraftwerk, Tangerine Dream oder Can entwickeln eine radikal neue Klangforschung und Neuerfindung der Popmusik. Natürlich gibt es dieses Phänomen auch in anderen Ländern, aber Deutschland sollte diesbezüglich für einige Jahre der Nabel vieler neuer Pop-Spielarten sein.

In Großbritannien baut man ebenso euphorisch an einer neuen Rock- und Popmusik. Aber hier gewinnt die handwerkliche Fertigkeit und nicht der Wagemut. Hochkomplexe Bands wie Moody Blues, Pink Floyd, Procol Harum oder The Nice sind Ausgangsbasen für Progressive Rockbands wie Yes, Emerson, Lake And Palmer, Soft Machine oder Genesis.

Keith Emerson von Emerson, Lake & Palmer 1970: „Mir schwebt ein Bild von uns vor, auf dem wir ein gewaltiges Klanggemälde kreieren, das sich den konventionellen Strukturen entzieht.

Die Bewunderung verfliegt rasch

Werden die komplexen Arbeiten der neuen Progressive-Bands Anfang der Siebzigerjahre von der Musikpresse noch bewundert, ändert sich die Wahrnehmung dieser nur ein paar Jahre später radikal. Die Paarung handwerklicher, eitler Bürokratie und inhaltlicher Themen, die immer mehr pathetische Fantasy und krude Mystik zum Inhalt haben, lösen in Folge die musikalische Gegenrevolution in Form von Glam Rock, Punk und New Wave aus.

„Wakeman (Keyboarder von Yes, Anm.) stand tapfer an seinen Keyboards und verzierte die Songs mit hauchzarten Melodien und Ambient-Passagen. Ungefähr eine halbe Stunde später begann sein Techniker ihm das „Menü“ zu reichen: „Kleine Alu-Schächtelchen mit diversen Curry-Speisen: Hühnchen-Vindaloo, einige Papadams, gebratene Okraschoten, Bombay-Kartoffeln, gefüllte Paratha. Wakeman platzierte den Gaumenschmaus auf seinen Keyboards.“

Progressive Rock wird zu einem Spartenphänomen welches bis heute immer neue Generationen von Bands gebiert und ähnlich wie die Genres Metal und Gothic im Verborgenen höchst vital weiter lebt. Und selbst die manische Musikalität des Prog Rock sollte für köstliche Früchte mitverantwortlich werden. Der Gitarrist von King Crimson Robert Fripp sollte ein paar Jahre später beispielsweise die berühmte Gitarre in „Heroes“ und anderen Klassikern von David Bowie spielen und formuliert damit einen Sound, der für die New Wave äußerst wichtig wurde.

David Weigel zeichnet die Geschichte des Prog Rock samt Vorgängern, Parallelentwicklungen und Ausläufern detailliert nach. Sein seriöses aber auch spitzzüngiges Porträt dieses ambivalenten Musikgenres macht großen Spaß, selbst wenn man die Musik hasst.

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