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Chris Pfanner in der Halfpipe am Skatepark Kitzbühel

Florian Wörgötter

PROS AND PROFILES

„Postest du zwei Wochen keinen Clip, verlierst du 500 Follower“

Chris Pfanner hat als Skateboarder auch in den USA Rang und Namen. Der Vorarlberger hat erlebt, wie Social Media das Skateboarden voll erfasst haben. Am Kitzbühler Skatepark erzählt er, wie Instagram eine Karriere stressiger macht, warum Skatevideos von heute schon morgen vergessen sind und wieso man seine 40.000 Follower auch mal verwirren sollte.

Von Florian Wörgötter

Normalerweise hätte Chris Pfanner heute sein Skateboard dabei haben sollen. Doch sein eingegipster Daumen lässt schon von weitem erahnen: Da ist was passiert. Wenn einer wie Österreichs erfolgreichster Skateboarder am doppelt empfindlichen Innenoberarm das Mantra „Skate or Die“ tätowiert hat, fragt man schon aus Respekt nicht, wie er sich denn verletzt hat. Wenn einer wie er einen Skatespot erst Skatespot nennt, wenn ihn kein anderer als Skatespot erkennt, kann es nur einen Unfallgrund geben. Oder?

Skateboarder Chris Pfanner mit Florian Wörgötter am Skatepark Kitzbühel

Florian Wörgötter

Für ein Gespräch über Skateboarden und Social Media hätte sich der Vorarlberger jedenfalls nicht besser vorbereiten können, als mit lebensgroßem Facebook-Daumen aufzutauchen, der permanent Likes verteilt.

FM4 Draußen: Pros & Profiles - SportlerInnen auf Social Media

Auf Social Media aktiv zu sein ist für SportlerInnen Teil ihres Alltags geworden. Sie müssen nicht nur sportlich erfolgreich sein, sondern sich und ihre Erfolge auch verkaufen können. Unseren Timelines bringt das jede Menge Super-Content, Hochglanzbilder, Actionvideos, Inspirationen? Was aber bedeutet das für die SportlerInnen und ihre Sportart? Empfinden sie Social Media mehr als Chance oder als Belastung? Diesen und anderen Fragen spürt FM4 Draußen den ganzen Sommer lang in der Porträtserie: „Pros & Profiles – SportlerInnen auf Social Media“ nach.

Folge 1: Freestyle-Fußballer Martin Schopf
Folge 2: Kletterin Babsi Zangerl
Folge 3: Parcour-Athlet Alex Schauer
Folge 4: Downhill Mountainbikerin Vali Höll
Folge 5: Yoga-Lehrerin Sara Ticha
Folge 6: Wakeboarder Philipp Turba
Folge 7: CrossFit-Athletin Vanessa Wagner
Folge 8: Outdoor-Fotograf Tom Klocker
Folge 9: Snowboarder Thomas Feurstein
Folge 10: Skateboarder Chris Pfanner

Von Bregenz nach Barcelona an die Westcoast

Im Alter von zehn Jahren kommt Chris Pfanner ohne seine Eltern von Lagos, Nigeria nach Bregenz, Vorarlberg. Mit bescheidenem Wortschatz („Kruzifix“ und „Herrgottsack“) perfektioniert er im Ländle die deutsche Sprache.

Nach der HTL wird er in Wien von einer internationalen Skateshoeh-Brand beim Skaten entdeckt, übersiedelt mit 21 Jahren ins Skate-Mekka Barcelona, wo er eine Woche lang mit einem Typen skaten geht, der zufällig – ohne es zu wissen – seine Lieblingsskateboards herstellt. Eine weitere Woche später fährt Chris Pfanner für dessen Team, geht an die Westcoast der USA und skatet sich mit Arbeitsvisum ins globale Vans-Team und auf das Cover des renommierten Thrasher-Magazins.

Heute lebt der Vorarlberger, 33, mit seiner Familie in Nürnberg, tourt noch immer für seine Sponsoren und dreht Skateboard-Videos. Außerdem managt Chris die „15 Lebenskünstler“ des Europa-Skate-Teams von Vans und kümmert sich darum, dass sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort nicht das Falsche tun – oder noch schlimmer: es posten.

Skateboarder Chris Pfanner am Skatepark Kitzbühel

Florian Wörgötter

Hashtag Skateboard: Action oder Mode?

Chris Pfanner hat live miterlebt, wie Soziale Medien auch das Skateboarden voll erfasst haben. „Als Instagram 2010 groß wurde, hat es mich wahnsinnig gestört, dass meine Kollegen nur mehr auf ihr Smartphone gestarrt haben", sagt Chris. Mittlerweile zählt er selbst rund 40.000 Follower auf Instagram. Heute wundert es ihn kaum noch, wenn bei Videodrehs immer jemand dabei ist, der die Skate-Session gleich auf Instagram posten will, obwohl sie erst auf dem Video erscheinen soll.

„Am besten kommen auf Instagram Skateboardclips mit viel Action an. Gleich danach wollen die Leute aber Schuhe und Kleidung sehen“, sagt Chris. Social Media hätten den Markenfetischismus junger Skateboard-Fans noch mehr pervertiert, aber auch jenen des Mainstreams, wie er meint.

Beim Posten von Beiträgen muss er sich nur dann an den Content-Plan seiner Sponsoren halten, wenn eine aktuelle Produktkampagne läuft. Ansonsten entscheidet er selbst, was er wann auf Instagram postet oder liked. Facebook nutzt er nur noch für Geburtstagserinnerungen.

Dass Chris Pfanner seine eigene Instagram-Präsenz aber locker nimmt, zeigt ein Marketing-Gag seines Brettsponsors. Um dessen neue Serie zu bewerben, benennt er kurzerhand seinen Instagram-Account um – von Chris Pfanner in Yogrt-Skateboards. Von heute auf morgen ist Chris Pfanner nicht mehr auf Instagram auffindbar. Auch wenn er den ein oder anderen Follower verloren hat – das Risiko hat sich bezahlt gemacht: „Die Verwirrung der Fans war groß, doch die Serie hat sich über Nacht verkauft“, grinst Chris.

Skateboarder Chris Pfanner am Skatepark Kitzbühel

Florian Wörgötter

Instagram killed the Skatevideostars

In seiner Karriere hat Chris auch erlebt, wie Soziale Medien das Skateboard-Videoformat gekürzt haben – vom einstündigen VHS-Videomagazin zum schnell produzierten Instagram-Clip. Chris erinnert sich zurück an das sechsmonatige Warten, bis die neuen Videotapes endlich über den großen Teich schwappten, an das gemeinsame Überspielen mit zweitem VHS-Recorder. „Wir haben diese Videos damals totgeschaut und kannten jeden Trick auswendig“, sagt Chris mit leuchtenden Augen. „Heute erscheinen täglich zwanzig Videoparts, einer verrückter als der andere. Doch morgen erinnert sich keiner mehr daran, weil schon wieder zwanzig neue Clips die Feeds überschwemmen.“

Wie in der Musik einzelne Songs in Playlists zusehends das Album ablösen, funktionieren auch Skateboard-Parts heute losgelöst von Videomagazinen einzelner Sponsoren. „Die Leuten haben eine kurze Aufmerksamkeitsspanne und wollen andauernd stimuliert werden. Daher wird nach drei Minuten schon zum nächsten Video geklickt“, so seine Diagnose.

Gleichzeitig erzielt Skateboarden als Sport auch mehr Breitenwirkung. „Wer Talent hat, muss für eine stabile Karriere nicht mehr an die Westcoast der USA reisen“, sagt Chris. „Jeder kann auf dich überall aufmerksam werden – auch wenn es ganz ohne Reisen schwierig wird.“ Umso mehr Stress bedeutet es jedoch, eine Skateboard-Karriere heutzutage aufrecht zu erhalten: „Früher haben wir zwei bis drei Jahre an einem Video gedreht, über das danach lange gesprochen wurde. Wenn du heute zwei Wochen keinen Clip mehr postest, verlierst du gleich 500 Follower“, sagt Chris. Er selbst nimmt diesen Druck gelassen, denn sich und der Szene muss er nichts mehr beweisen.

Dabeisein ist (fast) alles

Angesichts der Skateboard-Premiere bei den Olympischen Sommerspielen 2020 in Tokio werden Skateboard-Contests wieder wichtiger, um sich für eine Teilnahme ins Spiel zu bringen. Ob Chris Pfanner für Österreich an den Start gehen würde? Seine scherzhafte Antwort: „Ich weiß nicht, ob ich für Österreich gut genug bin. Sonst probiere ich es wie in Cool Runnings für Ghana, der Heimat meiner Mutter“.

Er selbst ist nicht der größte Fan von Skaten goes Olympia, kann der Multiplikator-Funktion der olympischen Öffentlichkeit aber durchaus was abgewinnen: „Vielleicht findet gerade dadurch ein Kind irgendwo sein Hobby, das ihn aus seinem Schlamassel zieht. Denn genau darum geht es beim Skaten: Um das Gefühl, wenn du auf dem Brett stehst, und nicht darum, was du auf einem Bildschirm siehst.“

Skateboarder Chris Pfanner am Skatepark Kitzbühel

Florian Wörgötter

Doch wie hat sich Chris nun tatsächlich seinen Daumen verletzt? Beim Bierchen danach spricht er die Wahrheit aus. Die Antwort könnte für einen Skateboarder spektakulärer nicht sein: beim Grillen.

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