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alt-J

Gabriel Green

„The death of guitar music has been predicted many times“

"... and seemingly always fails to happen" - davon sind alt-J überzeugt. Mit „Reduxer“ haben sie jetzt aber ein Remix/Hiphop-Album veröffentlicht. Klingt konträr, und doch passt es zusammen.

Von Lisa Schneider

alt-J haben ein Hiphop-Album aufgenommen? Nicht ganz, erstmal einen Schritt zurück. „Reduxer“ ist in erster Linie ein Remix- und in zweiter eben ein Hiphopalbum. „We love hiphop music, we’ve been influenced by it in the past, we wanted to see how it works and had people turn our songs into hiphop songs“ erzählt Gus Unger-Hamilton. Es sind also keine völlig neuen Songs, die man auf „Reduxer“ zu hören bekommt; es sind Bearbeitungen der acht Stücke ihres dritten Albums „Relaxer“.

Für Fans des Artpop-Trios ist das in der ersten Sekunde natürlich ein eher überraschendes Statement. Dass das Ganze, betrachtet man die Karriere und vor allem das musikindustrielle Mitdenken der Band, gar nicht mehr so überraschend ist, wird erst in der zweiten Sekunde klar. Dazu später.

„Relaxer“ reworked

Einen der ersten Hints, wie denn dieses neu überarbeitete Material von alt-J klingen könnte, gab es in der Late Night Show with Steven Colbert, als auf einmal der Hiphop-Superstar aus Virginia Beach, Pusha-T, und Pop-Alleskönner Twin Shadow die drei Musiker am Song „In Cold Blood“ live unterstützt haben.

Wie es so passiert bei Remixes, wird das erste Anhören unweigerlich eine kleine Desillusionierung mitherbeiführen; der Kopf weiß, wie das Lied weiterzugehen hat, aber es dreht sich in eine andere Richtung. Wieviel - oder wie wenig sich die Songs verändern, haben in diesem Fall nicht alt-J, sondern ihre jeweiligen KollaborationspartnerInnen bestimmt. Und diese haben sie nicht nur nach festen, aber doch auch unter einigen festgelegten Gesichtspunkten ausgewählt: „We wanted to make an album that was really global, as it would appeal to more of our fans and also helped showacase hiphop that people don’t listen as much to, as for example English people don’t listen very much to German or French hiphop.“ Londoner Shootingstar Little Simz wird wohl vielen eher ein Begriff sein als der französische Künstler Lompal, den alt-J auf einem Festival in Frankreich für sich entdeckt haben.

Eine immer noch faszinierende Karriere

Es hat aber nicht nur die Band ausgesucht, sondern auch ihre Kontakte in der weltweiten Szene, die sie Stück um Stück über die letzten Jahre ausgebaut haben. Schon Christian Lehner hat sie beim Release ihres letzten, dritten Albums „Relaxer“ - auf dem „Reduxer“ gänzlich aufbaut, als „eine Ausnahmeerscheinung in der Popwelt der Zweitausendzehnerjahre“ bezeichnet. Schulbandgründung in Leeds, erstes Album („An Awesome Wave“) nominiert für Grammy und Brit Award, zweites Album („This Is All Yours“) mit unter anderem dem Mercury Prize ausgezeichnet. Verkaufte Platten gesamt: über zwei Millionen; Streams: werden mittlerweile in Milliardenhöhe gemessen.

Der Veröffentlichung des dritten Albums „Relaxer“ folgten einmal mehr ausverkaufte Stadiontouren von Indien bis Südamerika; und doch ist es nicht die dritte Platte, die man jetzt unbedingt als die, die den Erfolg von alt-J begründet, hervorheben würde. Das Medienecho ist nicht so hochgewogt wie bei Veröffentlichung der beiden Vorgängeralben; ein bisschen zerrissen war er, dieser „Relaxer“, inhaltlich voller einzelner Erzählstränge, ebenso wie genretechnisch zerbröselt in viele, kleine Teile.

Umwandlung des Erfolgskonzepts

Es ist ein kluger Schritt der Band dieses dritte Album auch auf einem zweitem Weg zu vermarkten. Es sind sogar mehr Songs geworden als vorgesehen, aus acht mach elf, „3WW“, „In Cold Blood“ oder „Hit Me Like That Snare“ sind in bearbeiteter Form gleich zweimal auf „Reduxer“ vertreten.

Richtig interessant wird es auf „Reduxer“, wenn die Sprache völlig geändert, das Englische ersetzt wird, wie etwa die vom deutschen Künstler Kontra K neu interpretierte Version von „In Cold Blood“.

Oder aber, wenn ein alter Folksong („House Of The Rising Sun“, bekannt geworden durch die Version der Animals, mittlerweile Nostalgie-Gemeingut) sich in den Händen des australischen Produzenten Tuka in eine tröpfelnde Ballade verwandelt, in der das Analoge von schleppenden Beats und dichter elektronischer Produktion in den Hintergrund geschoben wird. Wo der Text sich auf den Text der originalen Songversion von alt-J bezieht, die Geschichte nicht wiederholt, sondern unter anderem Gesichtspunkt weiterführt. "I think a song’s never finished. After finishing the album in 2016 („Relaxer") and releasing it 2017 we obviously felt we completed something. But there’s also always the thought of that the songs are always open for future interpretations by other artists.“

Und natürlich der umfassend spannende, weil unerwartete Gesamtanspruch des Albums, der Stilbruch mit der eigenen Vergangenheit: „Reduxer“ führt komplett hinaus aus der Fraktion Gitarrenband, in die alt-J bis jetzt mal mehr, mal weniger gerechtfertigt eingereiht worden sind.

Vom Glück, kein Teil einer Szene zu sein

Es ist nicht nur die erwähnte Liebe zum Hiphop, die alt-J auf „Reduxer“ endlich ausleben durften. Es ist auch nicht nur ein (sehr guter) Marketing-Gag, um auf die zwei Millionen Verkäufe noch eine draufzusetzen.

Dieses Album passt deshalb so gut zu alt-J und ihrer Art, Songs zu denken und zu schreiben, weil der absolut offene Anspruch an ihre Musik kaum präziser hätte zum Ausdruck gebracht werden können. Wie alt-J arbeiten, ohne die schöne Verse-Bridge-Chorus-Popstruktur, welche verschiedenen elektronischen oder analogen Zugänge sie nutzen, ob sie jetzt mit Radiohead verglichen worden sind oder nicht: alt-J waren nie nur eine „Gitarrenband“. Den unterschiedlichen Zugang zu all ihren Songs, die aufwendige Produktionsweise, hat die Band von Anfang an, seit ihrem ersten Album „An Awesome Wave“ geprägt; auch damals waren schon, leise, aber doch, Hiphop-Elemente, vor allem in den Drumsounds, zu hören. Das auch zum großen Verdienst von Produzent Charlie Andrew: „There is quite a lot of reference to the hip-hop sound in the album, but a lot of people say it’s quite folky as well, and I think that’s true. There’s a lot of organic things going on, but with this hip-hop, to-a-click type beat. The timing had to be rigid: there was no room for looseness, and there was no need for it.“

Auf die Frage, wie sie den Wettlauf Indiegitarre gegen Hiphop betrachten, antwortet Gus Unger-Hamilton: „I don’t think we worry too much about what’ s in fashion when we write our music. The death of guitar music has been predicted many times and seemingly always fails to happen. We do what we do, we’ve never been part of a scene or a movement.“

alt-J Cover "Reduxer" neu

Infectious Music

„Reduxer“ von alt-J erscheint via Infectious Music.

Für seine Band, für alt-J, mag der „Nicht-Untergang“ der Gitarrenmusik wahr sein, es ist aber tatsächlich überall zu beobachten, wie gerade die vor allem in den 2000er Jahren gegründeten, vornehmlich aus UK stammenden Indie-Gitarrenbands ums nackte Überleben im Business kämpfen. Aber der letzte Satz der Antwort ist es auch, der festlegt, wieso alt-J nicht bangen müssen: Sich selbst nicht als Teil einer Szene zu sehen, öffnet Türen. Und so eben für alt-J die Tür zum Hiphop.

„Reduxer“ ist nicht die Platte, zu der alt-J Fans der drei Vorgängeralben zuerst greifen werden. Was nicht heißt, dass das Projekt nicht gelungen wäre; gelungen nämlich vor allem dann, wenn man einen wirklich offenen Zugang zum Songwriting und im Zuge dessen die Förderung anderer KünstlerInnen sowie die eigene musikalische Weiterentwicklung meint.

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