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Lilian Loke

Christoph Mukherjee

Wortlaut 2018

Auf Jupiter regnet es Diamanten

Lilian Loke gewinnt mit einer Geschichte über einen an Schizophrenie Erkrankten und seine Leidenschaft für Sterne den 3. Platz bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.

Von Zita Bereuter

„Bei ‚Sterne‘ habe ich daran gedacht, wie das Gehirn funktioniert“, erklärt Lilian Loke und erweckt dabei das Bild aufblitzender Neuronen. „Und irgendwie kam mir dann diese Geschichte“. Außerdem wollte Lilian Loke über das Thema Schizophrenie schreiben, nicht oberflächlich, sondern in eine Familienstruktur eingearbeitet.

Lilian Loke

geboren 1985 in München, studierte Englische Literaturwissenschaft, Neuere deutsche Literatur und Kunstgeschichte.

Ihr Debütroman „Gold in den Straßen“ wurde mit dem Bayerischen Kunstförderpreis sowie dem Tukan-Preis ausgezeichnet.

Ihr aktueller Roman „Auster und Klinge“ erschien 2018 bei C.H. Beck. Für ihre literarischen Arbeiten erhielt sie u. a. das Werkstattstipendium der Jürgen- Ponto-Stiftung und der Autorenwerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin.

Die Autorin lebt und arbeitet in München.

Die Gene, ein erhöhtes Risiko, Richard trägt es vielleicht doch in sich, deshalb wollte er keine Kinder. Eigentlich. Er sieht seiner Tochter dabei zu, wie sie mit schnellem Schritt vom Restaurant zurück zum Auto läuft, ihr Haar zu einem wilden Knoten gebunden, ihre schmale Gestalt in Jeans und Shirt, darauf ein Astronaut, der im Weltall Skateboard fährt. Sie reicht Richard das Wechselgeld, kontrolliert die Bestellung, »dreimal Hühnchen süßsauer, dreimal Frühlingsrollen, Glückskekse, alles da«. Das hat Ella von ihm, alles zu kontrollieren, dabei ist sie erst sechzehn.

Lilian erzählt von drei Generationen: Theo, Richard und Ella. Theo, der Großvater, hat Schizophrenie, sein Sohn Richard ist Gehirnchirurg, der die Psyche seines Vaters allerdings nicht wirklich versteht – im Gegensatz zu Ella, die ein enges Verhältnis zu ihrem Großvater hat. In diesem Spannungsfeld treffen die Krankheit und Emotionen aufeinander.

Richards Vater liebt Hühnchen süßsauer, doch es muss vom Restaurant im Ortskern kommen, nur einmal hat Richard geschummelt und ist sofort aufgeflogen, also fährt er jedes Mal den Umweg. Eigentlich sieht er jede Woche nach dem Vater, doch Richards letzte Wochen bestanden aus Überstunden in der Klinik und zu wenig Schlaf, dafür hatte er den Vater alle paar Tage angerufen, bis der so wütend geworden ist, dass er einfach aufgelegt hat. Seit Richards Großmutter nicht mehr ist, lebt der Vater ganz allein in diesem großen Haus, nur die Haushaltshilfe kommt noch zwei Mal die Woche. Die Lebenserwartung Schizophreniekranker ist um zwanzig Jahre kürzer, durch Nebenwirkungen der Psychopharmaka, Bewegungsmangel, Fehlernährung, Nikotinkonsum, aber vor allem durch eine hohe Suizidrate. Für Richards Vater macht das zweiundsechzig. Er ist schon siebenundsechzig.

Seit sie zwölf war, habe Lilian Loke Schriftstellerin werden wollen. „Ich schreibe immer.“ Das eigentliche am Schreibtisch Sitzen und am Computer Überarbeiten sei dabei aber der kleinste Teil. Meistens geht es darum zu überlegen, wie die Geschichte weitergehen und welche Details vorkommen sollen. Sie recherchiere und lese viel, mache sich überall Notizen, überlege sich das theoretisch, und erst, wenn sie wisse, wie ein Kapitel aussehen soll, „schreib ich das runter“.

Ihr Vater kommt aus Malaysien, daheim wird viel Englisch gesprochen, und obwohl ihr das Knappe und Kurze des Englischen liege, schreibt Lilian Loke nur auf Deutsch.

Zu ihren Themen komme Lilian Loke, indem sie die Gesellschaft beobachte. Beim ersten Roman war es die Wirtschaftskrise, beim zweiten die Globalisierung. „Ich versuche diese Themen, die ja relativ trocken sind, in eine unterhaltsame Geschichte zu verpacken.“ Dass Ella, Richard und Theo in den nächsten Roman miteinfließen, sei durchaus denkbar.

Der Soundtrack zum Text und generell zum Schreiben:

  • Elton John: Rocket Man
  • Owen Pallett: In Conflict
  • Andrew Bird: Roma Fade
  • Pet Shop Boys: Heart

Ella und Theo können Stunden über Dunkle Materie, Exoplaneten, Pulsare, Supernovae, interstellare Wolken, Stern- und Galaxienhaufen reden. Als Ella mit drei-zehn das erste Mal sagte, sie wolle später Astrophysik studieren, war in Richard eine hässliche Angst ausgebrochen, sie verbringe zu viel Zeit mit Theo. Dabei lächerlich, die Befürchtung, etwas springe von Theo auf sie über, löse irgendetwas aus, nein, nicht irgendetwas, du weißt, was, aber Schizophrenie ist keine Tröpfcheninfektion, überträgt sich nicht über die Luft. Trotzdem hatte er den Drang verspürt, Theo zu verbieten, Ella ein Teleskop zu schenken, es aber doch nicht übers Herz gebracht. Stattdessen fuhr er die beiden dann regelmäßig hinaus zum Hang, wartete im Auto und sah ihnen zu, bis er einnickte, während Ella und Theo stundenlang den Nachthimmel beobachteten, bewaffnet mit Teleskopen, Kameras, Sterneatlas und Sternenkarten.

Die Wortlaut-Jury war von „Auf Jupiter regnet es Diamanten“ beeindruckt. Der Lieblingstext einer Jurorin: „Eine Geschichte, die einen mit dem ersten Satz reinzieht und sehr bildhaft das Leben mit einem Schizophrenen beschreibt – das hat mich von vorne bis hinten begeistert.“ Und großes Lob kam auch von John Wray, der schon einen Roman über Schizophrenie geschrieben hat, er „fand die Schilderung dieser Geisteskrankheit extrem überzeugend“. Andere Stimmen aus der Jury: „Diese Geschichte fängt stark an und hört stark auf.“ „Es ist ein in allen Szenen sehr dicht komponierter Text, wo auf wenigen Seiten sehr viel drinnen steckt. Die Sterne spielen auch eine Rolle, die über ein bloßes Genannt-Werden hinausgeht, und der Großvater, um den es da geht, wird einem ohne Sentimentalität nahe gebracht.“

Dass die Geschichte so bei den Lesern ankommt, wie von ihr erhofft, freut Lilian Loke sehr. Denn das sei nicht immer der Fall. Die Jury habe also alles richtig gemacht, lacht sie.

Eine Weile stehen sie schweigend nebeneinander, dann deutet Ella zum Nachthimmel, »siehst du den großen Stern mit dem ruhigen, weißen Licht dicht über dem Horizont?« Richard rückt nah zu ihr, folgt ihrer Fingerspitze zu den leuchtenden Splittern im Schwarz. »Das ist gar kein Stern, sondern Jupiter. Diesen Monat leuchtet er noch heller als sonst, deshalb wollten Theo und ich Bilder von ihm machen. Manche sagen, Jupiter sei ein gescheiterter Stern, weil er wie die Sonne größtenteils aus Wasserstoff besteht, nur hat er nicht genug Masse, deshalb brennt er nicht. Aber es ist ungerecht, ihn als gescheiterten Stern zu bezeichnen, ist er doch ein sehr erfolgreicher Planet. Auf Jupiter regnet es Diamanten, seine Sturmwolken enthalten Methan, Blitze spalten es zu Kohlenstoff, und es entsteht ein Diamantenhagel. Stürzen die Brocken herab, schmelzen sie, vielleicht existiert deshalb sogar ein ganzer Ozean aus flüssigen Diamanten. Jupiter ist zwar kein Stern, aber von der Erde aus gesehen leuchtet er heller als die meisten Sterne, weil er so groß und uns viel näher ist.«
Ella wischt sich Tränen von den Wangen, Richard legt einen Arm um sie.

Das Schreiben derart emotionaler Szenen berührt auch Lilian. „Das nimmt einen schon immer sehr mit, wenn man solche Szenen schreibt, die so ein bisschen trauriger sind, die aber auch Hoffnung geben.“ Das Ende habe sie extra offen gewählt. „Man hofft, dass es den Figuren gut geht, nachdem die Geschichte geendet ist.“

Wortlaut Party

Radio FM4

Lilian Loke liest ihren Text bei der Wortlautparty, wo auch die Texte auf Platz 2 und 1 gelesen werden und die großen Zehn ihre Preise erhalten.

Julius Meinl

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Alle drei Preisgelder werden von Julius Meinl zur Verfügung gestellt.

Lilian Loke gewinnt:

Der Standard

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Der Gewinnertext wird im STANDARD veröffentlicht.

Die GewinnerInnen von FM4 Wortlaut 2018

Portraits der drei Erstplatzierten gibt es diese Woche in der FM4 Homebase und im FM4 Player.

Platz 3: Montag, 24.9.
Platz 2: Mittwoch, 26.9.
Platz 1: Donnerstag, 27.9.

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