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Bread & Puppet Theater

Jasper Kettner

steirischer herbst

Wo verlaufen die Volksfronten?

Das älteste österreichische Festival für zeitgenössische Kunst wird jetzt von Ekaterina Degot geleitet. Als Festivalthema hat die gebürtige Russin „Volksfronten“ gewählt. Eine erste Rundschau am steirischen herbst 2018, der als Parcours angelegt ist.

Von Maria Motter

Ekaterina Degot erzählt, wie sie als Mädchen und noch als Jugendliche davon überzeugt war, dass Birken nur in Russland und vielleicht noch in Kanada wachsen. Und wie erstaunt sie war, als sie auf ihren ersten Reisen Birken andernorts sah. In der großen Installation „Schnee von gestern“ von Irina Korina in der Helmut-List-Halle sind die Birken aus dem Material, aus dem Hüpfburgen produziert werden. Mit dem Begriff Heimatland wird hier unterhaltsam umgegangen, im Foyer erklingt der Erzherzog-Johann-Jodler.

„Jedes Land hält sich für einzigartig. Unsere Flüsse! Unsere Blumen!“

steirischer herbst, bis 14. Oktober 2018, Graz

„Die Widersprüche und Gegensätze sind gesellschaftlicher Art. Sie haben mit Ungleichheit und vorenthaltenen Lebenschancen zu tun. Sie brüten und nähren die Würmer des Faschismus. Unterdessen geraten wir auf eine falsche Fährte“, warnte die neue Intendantin Ekaterina Degot in ihrer Eröffnungsrede. It’s complicated, doch wie geht es weiter?

Der steirische herbst ist als Festival für zeitgenössische Kunst in seinem 51. Jahr. Von konservativen Politikern begründet, ist der herbst ein jährlicher Fixpunkt in der Stadt. Ekaterina Degot setzt den Schwerpunkt jetzt auf bildende Kunst, die verteilt an Plätzen und Orten angebracht, aufgestellt und präsentiert ist.

Die Kunstlandschaft, die sich mit Irina Korinas Installation in der Helmut-List-Halle auftut, ist eine Plastikwelt. Die Natur ist nur noch als Abbild – konkret als Fotoprint auf den aufgeblasenen Skulpturen – vorhanden. Der Schnee ist schmutzig, Kornblumen und Maiglöckchen gibt es zu entdecken und Schilder weisen das „Vorgestern“ und „Gestern“ aus. Doch Irina Korina erhebt nicht den Zeigefinger auf die Konsumwelt.

Pflanzen aus dem Botanischen Garten der Stadt grünen inzwischen im Volkshaus, dem Sitz der Kommunistischen Partei Steiermark. Hier hat das ungarische Duo Igor und Ivan Buharov aktuelle Videoarbeiten mit einer Installation kombiniert: „Örök szándékmező hangolás“ („Stimmen des unsterblichen Absichtsfeldes“). Verbringt man längere Zeit in diesen Räumen, ist einem, als wandle man durch den konfusen Traum einer fremden Person. Alte Telefone stehen vor Trögen mit Pflanzen. Ein Radio spielt den Applaus, den Diktatoren tatsächlich bekamen. Es gibt die Geschichte eines Mädchens, das gern ein Kaktus wäre – Kimya Dawsons Song „Tree hugger“ fällt einem gleich dazu ein. Der Empfehlung der Intendantin Ekaterina Degot, sich den Kurzfilm zu Hypnose anzuschauen, muss man an einem anderen Tag noch nachkommen: „Your life won’t be the same again“, fügte Degot hinzu und es klang so, als sollte man sich diese Entscheidung noch kurz durch den Kopf gehen lassen.

Intendantin Ekaterina Degot

Jasper Kettner

„Entschuldigung, sind Sie für Conchita oder für Gabalier?“, das ist eine der Fragen, die der steirische herbst dem Publikum und vor allem PassantInnen in den kommenden drei Wochen stellen will. Doch gibt es diese Volksfronten noch oder überhaupt? In der Vorwoche ist Conchita beim „Aufsteirern“, dem nach Angaben der Veranstalter „größten Volkskulturfest Österreichs“, am Grazer Hauptplatz aufgetreten. (In ihrem Regierungspapier schrieb die schwarz-blaue Stadtregierung, Graz bleibe „weiterhin Zentrum der Volkskultur“ und „Wir bekennen uns klar zur Veranstaltung ‚Aufsteirern‘“. Ein solches Bekenntnis zum steirischen herbst war nicht zu lesen.)

Jetzt steht am Hauptplatz ein Container, in dem man im doppelten Sinne belastende Dinge loswerden kann: Der Künstler Yoshinori Niwa lädt dazu ein, unerwünschte oder kompromittierende Erinnerungsstücke aus der Zeit des Faschismus und Nationalsozialismus zu entsorgen.

Installation "Anschluss '90"

Maria Motter

Im HdA (Haus der Architektur) hat indes Henrike Naumann eine Wohnlandschaft eingerichtet, die viele gerne in den Möbelhäusern der 90er Jahre zurückgelassen hätten. Jetzt sind diese Möbel hier präsentiert, von einer in der DDR geborenen und in Zwickau aufgewachsenen Künstlerin, die den Gedanken der Wiedervereinigung von 1989 sehr weit treibt und einen „Anschluss ’90“ für Österreich an das wiedervereinte Deutschland in einem trauten Heim inszeniert: Ein Doppelbett mit eingebautem Radio, ein Couchtisch mit einem Tischbein in Form einer silbernen Hand und Jörg Haiders schmales Buch „Friede durch Sicherheit: eine österreichische Philosophie für Europa“ auf einem Beistelltisch stehen in dieser Installation, in der man es sich auch bequem machen kann.

Eröffnung: Wem schließt man sich an?

Wofür geht man heute auf die Straße? Welchem Umzug oder Marsch folgt man? Welcher Parade schließt man sich an? Das nordamerikanische Bread and Puppet Theater ist für riesige Stabpuppen bekannt, doch für die Eröffnung des steirischen herbst hatten sie kleinere Figuren hergestellt. Das Gesicht einer größeren Puppe passte in zwei Teilen ins Gepäck eines beteiligten Künstlers. Der steirische herbst setzte auch auf die freiwillige Mitarbeit theateraffiner GrazerInnen: Das Bread and Puppet Theater hat den Umzug für die herbst-Eröffnung mit jenen erarbeitet, die in ihrer temporären Werkstatt vorbeigeschaut haben. Dort gab es einen Austausch über gesellschaftspolitische Zustände da und dort und die KünstlerInnen brachten einem bei, wie sie ihre Figuren bauen.

Bread & Puppet Theater

Jasper Kettner

Nicht Brot und Spiele, wie es die alten Römer verstanden hatten, proklamiert das Theater – vielmehr sei Kunst so lebensnotwendig wie Nahrung. Dass nur die ersten Reihen an ZuschauerInnen mitbekamen, was Bread and Puppet in Graz zu erzählen hatten, und große Puppen fehlten, tat dem Zuspruch des Publikums keinen Abbruch. Für den eigenwilligen Eröffnungstermin am Donnerstag um fünf Uhr am Nachmittag schlossen sich erstaunlich viele der Parade an, die auch ins Programm des Straßentheaterfestivals La Strada gepasst hätte. La Strada eröffnete dieses Jahr in der Grazer Oper. Die neue Intendantin des steirischen herbst wollte in den öffentlichen Raum. Kunst – erklärte Ekaterina Degot in ihrer Eröffnungsrede – solle auch stören und unerfreulich sein: „Sie sollte unsere Überzeugungen erschüttern und eine andere Sicht auf die Dinge unterbreiten. Sie sollte zerstörend Neues schaffen. Manchmal, wenn wir Glück haben, geht sie dabei so weit, dass unser Leben hinterher nicht mehr dasselbe ist.“

Laibach

Jasper Kettner

Laibach lassen sich nicht zensurieren

Seit vielen Jahren bedient sich die slowenische Band Laibach der Ästhetik faschistischer Systeme des letzten Jahrhunderts. Zuletzt, und das ist auch schon wieder ein paar Jahre her, machten Laibach mit ihrem Konzert in der Hauptstadt Nordkoreas Schlagzeilen. In Pjöngjang spielten sie drei Songs ihres demnächst erscheinenden Albums „The Sound of Music“. Mit dem kompletten Material ihrer Fassung von „The Sound of Music“ eröffneten Laibach den steirischen herbst. Und nach dem FM4 Interview, als man noch kurz zusammenstand, sprach dann Ivan Novak von der Selbstzensur, die in Westeuropa heute von so vielen, ja von uns allen, betrieben werde. Die vorauseilende Zensur birgt eine große Gefahr.

Laibach jedoch folgen ihren Überzeugungen, die an sich schon skandalös kontroversiell sind: Ob sie in Nordkorea, Israel, den USA oder in Österreich spielen, macht für sie absolut keinen Unterschied. Und dann wurden Laibach in ihrem Vorspann, in der Einführung zu ihrem „The Sound of Music“ sehr deutlich. Zitat: „In Österreich sind Faschisten an der Macht. Den Staat regiert eine schwarz-braune Koalition unter der Führung eines jungen Bundeskanzlers mit dem Gesicht eines milden Apostels. Er kam mit Unterstützung der rechtsextremen Freiheitlichen Partei an die Macht, dem direkten Nachfolger der Nazi-Partei in Österreich, die 1956 von ehemaligen Nazis für ehemalige Nazis wiederbelebt wurde. Ihr derzeitiger Vorsitzender, selbst ein erklärter Neonazi, ist inzwischen der Vizekanzler Österreichs.“ Facts & Fiction nennen das Laibach und stellen am Konzertende klar, was für sie Sache ist.

Überhaupt: Laibach! Sie haben die einen eingelullt mit ihrer Adaption von „The Sound of Music“, die sich in der Dramaturgie brav an die Geschichte der Trapp-Familie hielt und mit sanften, lieblichen Melodien aufs Erste ungewöhnlich für Laibach erschien. Andere haben sie gelangweilt. Beim Interview mit Ivan Novak von Laibach ist mir herausgerutscht, dass ich die Hollywood-Adaption der deutschen Filme rund um die Trapp-Familie ganz unterhaltsam fand. Genau das ist das Problem an „The Sound of Music“, gab Novak zu bedenken. Doch Laibach haben genau dieses Problem zum Prinzip ihrer Fassung von „The Sound of Music“ gemacht. Wie niedlich sich die koreanischen Kinder in den Visuals bewegen, als wären sie kleine Synchronschwimmer an Land! „Climb every mountain, search high and low!“

Poetische Highlights

Die bislang intensivsten Momente beim steirischen herbst 2018 waren poetisch aufgeladen. In einer großartig klaren, verständlichen Sprache und auf Deutsch führte der St. Petersburger Dichter Roman Osminkin am Eröffnungsabend vor, wie aus „Revolution“ ein „Putsch“ wird und ein „War of Words“ entsteht. DarstellerInnen trugen Buchstaben, die immer wieder neu formiert wurden. Die Bühne war die Stiege, die auf den Schloßberg führt. Politisch, spannend und toll war Osminkins Performance „Putsch“.

„How to solve a problem like Korea? How to catch a cloud and pin it down?“, sangen kurz darauf Laibach. In der Griesgasse sind in einer aufgelassenen Bar, die einst von Migranten gut besucht war, Versionen von Rihannas „Diamonds“ und Sias „Chandelier“ zu hören – gesungen von einer verzerrten Männerstimme. Die Künstlerin Funda Gül Özcan hat in der Recherche für ihre Installation Männer über ihre Hoffnungen und Lebensträume befragt. Die beste Performance war in „Kafka for Kids“ zu sehen: Wie fantastisch spielt Hani Furstenberg! Heute tritt sie noch einmal auf.

Definitiv geht es noch einmal ins Kunsthaus Graz! Dort präsentiert die Ausstellung „Congo Stars“ 70 Positionen populärer Kunst aus dem zentralafrikanischen Land Kongo. Die Schau ist derart dicht, man könnte dort Tage verbringen. Viele Grazer Kunstinstitutionen haben dieses Jahr keine Kooperation mit dem steirischen herbst, machen jedoch gleichzeitig eigene Ausstellungen und sind im Begleitprogramm des Festivals erfasst.

Leider gibt es beim steirischen herbst nur wenige Termine für die Performances. Und grundsätzlich macht der herbst unter neuer Leitung seinem Publikum den Besuch nicht leicht: Die Schriftzüge sind selbst im BesucherInnen-Zentrum in der Volksgartenstraße durchgestrichen. Das erweckt im ersten Moment den Eindruck, man sei hier nicht richtig oder nicht willkommen. Die Website des steirischen herbst ist noch frustrierender als das Guide Book, dessen Texte in den wenigsten Fällen auch nur eine ungefähre Ahnung davon vermitteln, was es bei den Performances und Installationen tatsächlich zu erleben geben wird.

Da hilft nur eins: sich den Folder mit der Graz-Karte nehmen und losgehen. Der steirische herbst 2018 soll als Parcours verstanden werden. Schlendern und schauen wir weiter!

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