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Tommy Caldwell klettert

Brett Lovell

„The Dawn Wall“ ist perfekt für die große Leinwand

Die Geschichte der härtesten Kletterroute der Welt, der „Dawn Wall“, hat alles, was ein Hollywood-Sportfilm braucht, aber auch so viel mehr. Denn das Leben schreibt oft die besten Geschichten.

Von Simon Welebil

Die Geschichte der Dawn-Wall-Besteigung durch Tommy Caldwell und Kevin Jorgeson hat all die Ingredienzen, die ein klassisches Hollywood-Skript eines Sportlerfilms braucht: Ein Mann wird von seiner Frau verlassen und nimmt sich zur Ablenkung ein unmöglich scheinendes Projekt vor - die härteste Kletterroute der Welt -, die „Dawn Wall“ am El Capitan im Yosemite Nationalpark. Er investiert Jahre in das Projekt und scheint zu scheitern, als er Hilfe durch einen Buddy bekommt. Gemeinsam fühlen sie sich reif für das Projekt, doch kurz vor Ende scheint es nur durchführbar, wenn einer von ihnen zurücksteckt. Am Ende stehen sie doch gemeinsam auf dem Gipfel.

„The Dawn Wall/Durch die Wand“ läuft ab 5. Oktober in Kinos in ganz Österreich.

In der Verfilmung dieses Projekts, das im Original den Namen „The Dawn Wall“ trägt, und die hierzulande unter dem spröderen Verleihtitel „Durch die Wand“ erscheint, bildet das aber nur den Rahmen der Erzählung. Denn im Film geht es nicht vorrangig um das Klettern, es geht um die persönlichen Geschichten der Protagonisten, und vor allem Tommy Caldwells Leben als Filmskript hätte wohl jedes Hollywood-Studio als zu unrealistisch abgelehnt.

Größer als Hollywood

Als jugendlicher Hobby-Kletterer gewinnt Tommy Caldwell einen großen Wettkampf, was ihm die Tür zu einem Leben als Profi-Kletterer aufstößt. Doch nur die wenigstn Profi-Kletterer müssen durchmachen, was ihm kurz darauf zustößt.Bei einem Klettertrip nach Kirgisistan werden seine Kletterkollegen - darunter auch seine spätere Frau Beth Rodden - und er von islamistischen Rebellen als Geiseln genommen. Tagelang sind sie in Gefangenschaft, bevor sie einen Geiselnehmer den Berg hinunterstoßen und fliehen können. Tommy verarbeitet diese Episode hauptsächlich durch Klettern, bis ihn ein nächster Schicksalsschlag trifft: Er schneidet sich bei der Arbeit mit der Kreissäge den rechten Zeigefinger ab, der nicht mehr angenäht werden kann. Seine Kletterkarriere scheint vorbei, doch er schafft es mit viel Willenskraft auch mit neun Fingern zum besten Kletterer im Yosemite Valley zu werden.

Tommy Caldwells Hände

Becca Caldwell

Tommy Caldwells Hände

Im Interview meint Tommy Caldwell, vielleicht ein wenig untertreibend, dass die meisten Menschen wohl so interessante Lebensgeschichten hätten. Dass sein Leben eher einem Hollywood-Skript entsprechenwürde sieht er vor allem dem Klettern geschuldet: „It sort of tells the richest stories, the struggle to reach the top of the mountain and sort of emotional journey that you go through in the brotherhood that is just inherently built into what we do as climbers. And the world is just figuring that out right now.“

Film ein Zufallsprodukt

Dass aus ihrem Kletterprojekt ein abendfüllender Film werden würde, war anfangs gar nicht beabsichtigt. Tommy Caldwell hat nach einem Jahr des Rumhängens in der Wand zwar eine Route gefunden, die er als kletterbar eingeschätzt hat, die er für sich selbst aber als zu schwer erachtet hat. Einem Filmteam, das sich auf Kletterclips spezialisiert hat, blieb deshalb nur, einen Film über die Zukunft des Big Wall-Kletterns zu drehen, aber die sind dran geblieben.

tba

Simon Welebil, FM4

Tommy Caldwell und Kevin Jorgeson im FM4-Studio

Als Kevin Jorgeson zu Tommy Caldwell dazugestoßen ist, wurden sie Jahr für Jahr - sieben Jahre haben sie insgesamt jede einzelne Sequenz in der Wand vorbereitet - vom Filmteam besucht und ihre Fortschritte dokumentiert und hunderte, wenn nicht tausende Stunden Rohmaterial gesammelt. Als sie den Durchstieg angegangen sind, kam vom Filmteam nur ein „Just call us when you think you’re close, cause we’ve got enough footage of you guys falling.“

Die Feelgood-Story macht den Medienhype

Als Caldwell und Jorgeson zu Weihnachten 2014 (im Winter sind die Temperaturen fürs Klettern besser) für den Durchstiegsversuch in die Wand eingestiegen sind, ist dann ein weiteres Element zum Film dazugekommen, denn auf einmal ist ihr Kletterprojekt medial viral gegangen.

Die New York Times hat mit einer Geschichte über die schwerste Kletterroute der Welt aufgemacht und hat jeden Tag intensiver darüber berichtet, mit interaktiven Storys und Liveticker. Der Medienhype rund um die zwei Kletterer in der Dawn Wall hat Dimensionen angenommen, wie sie historisch fast nur mit der nationalistisch aufgeladenen Erstbegehung der Eiger Nordwand in den 1930ern vergleichbar ist. „It was unheard of in our world. It seemed surreal“, so Tommy Caldwell dazu.

Kevin Jorgeson kuriert seine Finger in einem Zelt in der Wand

Corey Rich

Kevin Jorgeson kuriert seine Finger in einem Portaledge, einem Zelt in der Wand

Kevin Jorgeson versucht im Interview zu erklären, wieso so viele Medien auf diese Berichterstattung aufgesprungen sind. Dass sich dieses Drama an der Wand über so viele Tage - 19 waren es insgesamt - abgespielt hat, habe es ermöglicht, dass viele Menschen richtig hineinwachsen konnten und auf ein Happy End gewartet haben. Aber auch der Zeitpunkt hätte eine Rolle gespielt. Rund um Weihnachten und Neujahr in einem Medienumfeld mit den Terroranschlägen von Paris hätten sie eine willkommene Nische besetzt: „It was a feelgood kind of a brothership happening in a really famous place.“, und Tommy Caldwell ergänzt: „I think the global climate of news is quite negative a lot of the time. And so when there’s a real positive story that’s engaging people are extra interested. And this was definitely that.“

Schlussendlich haben 15 Übertragungswagen im Yosemite-Valley auf den Durchstieg gehofft und als sie es geschafft haben, hat ihnen sogar Barack Obama via Facebook gratuliert.

Mehr als ein Kletterfilm

All diese Zutaten ergeben so viel mehr als einen reinen Sport-Action-Film. Tommy Caldwell und Kevin Jorgeson sind authentische Protagonisten mit spannenden Hintergrundgeschichten, die das Publikum in ihren Bann ziehen. Den Rest macht die Szenerie, die beeindruckenden Bilder vom El Capitan im wunderschönen Yosemite Valley; die Kletterer, die darin fast untergehen, hunderte Male stürzen und sich dennoch wieder aufraffen, trotz blutiger Finger. Der Schnitt, die achronologische Erzählung der ganzen Geschichte, trägt auch dazu bei, den starken Eindruck der Story noch zu verstärken. Dieser Film ist zurecht auf der großen Leinwand gelandet.

Die Dawn Wall am El Capitan in vollem Glanz

Shawn Reeder

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