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Barbara Kadletz

Helmut Wimmer

„Kalte Sterne“

Barbara Kadletz schreibt inspiriert durch die Einstürzenden Neubauten eine Kurzgeschichte aus dem Jenseits und gewinnt damit Platz zwei bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.

Von Zita Bereuter

Die Einstürzenden Neubauten sind wie „ein gutes Taschenmesser“ für Barbara Kadletz. „Die stehen mir zur Seite. Im Glück und in der Not. Immer mit dem perfekten Soundtrack“. Nicht weiter verwunderlich also, dass ihre erste Assoziation mit dem Wortlautthema „Sterne“ die Nummer „Kalte Sterne“ von den Einstürzenden Neubauten war.

Barbara Kadletz

geboren 1981, lebt in Wien und arbeitet in Petra und Oli­ver Hartliebs „wundervoller Buchhandlung“.

Wenn sie nicht dabei ist, die Bücher anderer zu verkaufen, arbei­tet sie an ihren eigenen Texten oder spricht und schreibt über Literatur, beispielsweise als Moderatorin von Buch­veranstaltungen, in einer wöchentlichen Onlinekolumne und in Zeitschriften.

Vor dem Spital ist ein Park. In dem steckst du immer fest, bevor du das Gebäude betrittst.
Manchmal gehst du auch nur bis ins Stüberl und dann wieder nach Hause.
Du weißt jetzt, wie ich tot aussehe.

Ich weiß, wie du denkst: Wenn du jetzt gehst, dann siehst du mich nie wieder.
Wie geht man da?
Wie geht man da, ohne sich noch einmal umzudrehen?
Wie geht endgültig?
Später dann darfst du meine Tasche abholen.
Sie sagen: Herzliches Beileid.
Das findest du eigentlich ganz gut.

Von meinem letzten Geld aus der Tasche kaufst du dir eine Melange.
Eigentlich magst du es nicht, eingeladen zu werden. Du hast immer Angst, deine Unabhängigkeit zu verlieren. Aber heute geht das in Ordnung.
Du findest, ich schulde dir was.

„Kalte Sterne“ beginnt hart und ist intensiv. Ein Text über das Weiterleben nach dem Tod. Keineswegs esoterisch, sondern das Weiterleben im Diesseits.
Eine verstorbene Person beobachtet, wie ihr Partner oder ihre Partnerin mit der Trauer, der Leere weiterlebt. „Kalte Sterne“ sind für Barbara in dem Zusammenhang die Toten. „Somit hatte ich dann meine Erzählperspektive.“ Ein kalter Stern sollte auf die Lebenden schauen und erzählen, wie es denen geht, die auf der Welt weiterleben müssen.

Du gehst gern an Orte, an denen wir glücklich waren.
Aber das Kaffeehaus sperrt zu.
Die Bar wird jetzt umgebaut.
Das Kino ist längst weg.
Und der Laden ein Wettbüro.
Selbst die Aussichtsplattform haben sie abgetragen.
Die Orte verändern sich, weg von uns.
Du siehst jetzt anders aus. Mehr so, wie du immer schon von innen ausgesehen hast.
Das macht dich entspannt. Und die Leute besorgt.
Du bist nun nicht mehr verpuppt.
Du bastelst an dem Menschen, der du ohne mich sein kannst.
Mit meiner Kraft entfernst du dich immer mehr von mir.
Langsam verlernst du unsere Sprache.
Für immer verlorener Sound.

Die Buchhändlerin

Barbara Kadletz ist Buchhändlerin. Es ist ihr Traumberuf. Schon als Kind wollte sie das werden. Nach vielen Umwegen habe sie lange gebraucht, um dahin zu kommen. Aber sie macht das mittlerweile seit zehn Jahren und rät allen Interessierten zur Lehre: „Man darf sich nicht abschrecken lassen. Man muss das nicht mit 15 machen, sondern man kann auch durchaus älter sein, um noch eine Lehre – nicht nur im Buchhandel – zu machen.“

Der Soundtrack zum Text und generell zum Schreiben:

  • Die Einstürzenden Neubauten: Kalte Sterne
  • Nick Cave & The Bad Seeds: Skeleton Tree
  • Air: All I Need
  • Tocotronic: Im Zweifel für den Zweifel

Zum Schreiben stiehlt sie sich die Zeit, weil sie vor allem viel Lesen muss. „Das frisst im positiven Sinn auch viel Freizeit. Aber man ist immer auf der Suche nach einer Zeitfalte, in der man sich verschanzen kann.“ Die findet sie überall - in der Straßenbahn, U-Bahn. Manchmal fällt ihr etwas im Gespräch in der Buchhandlung ein. „Dann läuft man kurz in den sogenannten Backstage-Bereich der Buchhandlung, schreibt das schnell auf einen Zettel, stopft den irgendwo hin und dann arbeitet man wieder weiter.“
(Somit ist auch geklärt, was BuchhändlerInnen machen, wenn sie kurz mal verschwinden …)
Diese Zettel tippt „Frau Post-It“ im besten Fall irgendwann ab und verbindet diese Miniaturen. In „Kalte Sterne“ kamen auch Traumsequenzen und andere „Gedankensplitter“ dazu.

Du bist nicht gut darin, auf dich aufzupassen.
Ich weiß das und beschütze dich vor Vampiren und Selbstvernichtung.
Nicht das Sterben machte mir Sorgen, sondern dich alleine zurückzulassen.
Deswegen verabredeten wir, ich schicke dir Zeichen.
Und weil ich dich kenne, wähl ich Musik.
Da bin ich:
Beim Bäcker.
Im Taxi.
In der Servicezone.
In der Drogerie und im Kaffeehaus.
Du freust dich über Begleitung, denn du musst viele Entscheidungen treffen.
Manches haben wir vergessen zu besprechen.
Zum Beispiel: In welchen Klamotten möchte ich verbrannt werden?
Oder: Unter welchem Baum soll meine Asche liegen?
Deine Verzweiflung: Wo ist jetzt das verdammte Jenseitstelefon?
Du bemerkst, dass du jetzt rauchst, weil dir die Idee gefällt zu rauchen.
Ich dagegen: Profiliga.
Du liest Dorothy Parker und hörst Prince. Weil sie Bescheid wissen, über April.
Du gehst in den neuen Nick Cave, um besser zu verstehen.
Aber du kannst hier nichts lernen, weil du längst woanders bist. Er hingegen: Anfänger.

Berührende Kritik

„Ein Text, der mich sehr fasziniert hat, der eigentlich so Unmögliches schafft – der poetisch ist, knallhart, auch sensibel, auch witzig.“, lobt die Jurorin Lucy Fricke. Neben ihr waren in der Wortlautjury Alex Beer (Krimiautorin), Vinzenz Dellinger (Wortlautgewinner 2017), Daniela Strigl (Literaturkritikerin, Germanistin, Essayistin) und John Wray (Autor) gleichermaßen von „Kalte Sterne“ berührt. „Kalte Sterne“ ist „sowohl inhaltlich als auch formell sehr herausgestochen“, „ein sehr intimer Text“. „Ein sehr lyrischer Text. Ein sehr souveräner Text, der aus ziemlich wenigen Sätze etwas sehr Großes und Geheimnisvolles zu erzeugen weiß.“ „Keine Erzählung im üblichen Sinn, sondern eine poetische Fantasie oder auch eine Skizze. Es ist ein sehr lakonischer Text und in dieser Lakonik steckt eine ganze Beziehung. Der Abschied von einem geliebten Menschen und weil es überhaupt nicht konventionell daherkommt, weiß man zunächst gar nicht, wer spricht. Und das macht die Sache umso interessanter, dass man erst ein bisschen verwirrt ist und sich da hineinfinden muss. Und es lässt einen nicht kalt – im Gegensatz zum Titel.“

Seit meinem Tod hast du aufgehört Romane zu lesen.
Ganz lange geht nur Arbeit und Struktur.
Du willst Bescheid wissen: How does it feel?
Einmal, später dann, liest Joachim Meyerhoff im Kasino.
Er ganz Text, du ganz Aufmerksamkeit.
Im Hintergrund, mit baumelnden Beinen, sitze ich auf einmal in der Wand.
Wolfgang Herrndorf ist auch da.
Wir haben dann Badminton gespielt, Meyerhoff hat’s nicht bemerkt.

Die Kritik hat sie berührt. Weil sie die Jury aus ihrer Arbeit in der Buchhandlung kennt. „In dem Sinn, dass ich deren Werke täglich verkaufe und deren Geschichten erzähle.
Dass die jetzt über ihren Text sprechen, berührt sie enorm.
„Das ist schön, wenn sich die Perspektiven so verändern. Das ist gerade ein interessanter Moment.“

Ich sagte, ich hätte keine Angst vor dem Tod.
Meine einzige Angst wäre, von dir vergessen zu werden.
Du versprichst, machst du nicht.
Weil es die Wahrheit ist.
Aber später dann bist du verunsichert.
Hast du nicht einen Tag verbracht, ohne an mich zu denken?
Manchmal traust du dich auch nicht:
Angst vor dem Abgrund.
Dann träumst du von mir.
Du versuchst, mich zu fotografieren, aber kein Bild lässt sich entwickeln. Ich muss dich lange trösten.

Oder: Du findest mich in einem Obdachlosenheim. Ich habe meinen Tod nur vorgetäuscht, um ein neues Leben zu beginnen. Du bist so verletzt.

In einem Traum bin ich zurückgekehrt zu dir. In dein neues Leben.
Und plötzlich wünschst du dir, ich bliebe tot.
Jetzt schreibst du meinen Namen mit eiskaltem Finger in den Schnee vor deinem Fenster, damit ich dich finde, auf meinem Nachtflug.
Und dabei staunst du, dass dir das passiert ist:
Trotz allem geliebt zu werden.

Verrückt!

„Verrückt!“ wiederholt Barbara mehrfach, als sie im Sommer bei einem Anruf vom zweiten Platz erfährt. Rückblickend meint sie:
„In meinem Kopf war dann offensichtlich nur dieser Tschinellenaffe, der vor sich hin tschinellt hat und mir die ganze Zeit nur das Wort ‚Verrückt!‘, ‚Verrückt!‘ ‚Verrückt!‘ eingegeben hat.“

Jetzt freut sie sich darauf, im phil ihren Text zu lesen und auch ihr Buch zu verkaufen - neben den Büchern der Wortlautjury.

Wortlaut Party

Radio FM4

Barbara Kadletz liest ihren Text bei der Wortlautparty, wo auch die Texte auf Platz 3 und 1 gelesen werden und die großen Zehn ihre Preise erhalten.

Julius Meinl

WERBUNG

Alle drei Preisgelder werden von Julius Meinl zur Verfügung gestellt.

Barbara Kadletz gewinnt:

Der Standard

WERBUNG

Der Gewinnertext wird im STANDARD veröffentlicht.

Die GewinnerInnen von FM4 Wortlaut 2018

Portraits der drei Erstplatzierten gibt es diese Woche in der FM4 Homebase und im FM4 Player.

Platz 3: Montag, 24.9.
Platz 2: Mittwoch, 26.9.
Platz 1: Donnerstag, 27.9.

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