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Mensch in einem U-Bahn-Zug

CC0 Public Domain via Pixabay

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Die Diagonaltasche

Man soll Menschen ja nicht nach dem Aussehen beurteilen, aber dieser Typ in der U-Bahn, mit Diagonaltasche und Bushido-Haarschnitt jagt mir Angst ein.

Von Todor Ovtcharov

Ich fahre mit der U4 und betrachte einen Mann mit einer Diagonaltasche. Für alle, die nicht wissen, was das ist – das ist so was wie eine Damentasche, aber für Männer, die man über seiner Schulter und schräg über der Brust trägt.

Jeder sich selbst respektierende selbstbewusste Gangster aus dem mittleren nahen Osten oder vom Balkan hat so eine. Man sagt, dass die Tasche perfekt für eine Beretta 22 mm ist - oder für 50.000 Euro in kleineren Scheinen.

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Ehrlich gesagt habe ich weder eine Beretta 22 mm und noch weniger 50.000 Euro in bar jemals gesehen. Trotzdem habe ich plötzlich Angst vor dem Mann.

Ich habe vier Stationen, bis ich aussteigen muss.

Ich starre den Mann an. Ich sehe sein Gesicht nicht, da er mit dem Rücken zu mir steht. Ich sehe nur seinen Haarschnitt im „Bushido-Style". Ich weiß, dass so ein Haarschnitt sehr modern ist. Das weiß ich von einem Freund, der in Berlin-Wedding wohnt. Er ging mal zum Friseur, setzte sich auf den Friseurstuhl und der Friseur fragte: „Wie Bushido?“ Mein Freund ist kein Bushido-Fan, doch der Friseur in Berlin-Wedding meinte, dass dort wohl jeder einer sein muss.

Ich habe noch drei Stationen, bis ich aussteigen muss.

Ich überlege mir, dass ich wie dieser Friseur denke. Höchstwahrscheinlich hat der Mann gar keine Beretta in seiner Diagonaltasche und ist überhaupt kein Gangster. Man soll nicht Menschen nach ihrem Äußeren beurteilen. Ich kenne einen Verleger aus München, der mindestens zehn maßgeschneiderte Anzüge in seiner Garderobe hat und regelmäßiger Besucher der Bayreuther Wagner Festspiele ist. In seiner Freizeit läuft er in Freizeitkleidung herum. Das ist die teuerste Freizeitkleidung, die ihr euch vorstellen könnt. Nur seine Mütze kostet meinen Monatslohn. Einmal setzte er sich kurz in den Schatten am Bahnhofsplatz. Er ließ seine Mütze vor sich liegen. Sofort warf jemand 20 Cent hinein. Er war sehr stolz darauf.

Ich habe noch zwei Stationen, bis ich aussteigen muss.

Der Mann mit der Diagonaltasche schaut auf sein Handy. Das beruhigt mich kurz. Aber ich habe schon Geschichten gehört, wie jemand mit seinem Handy eine Bombe hochgehen lassen kann. Was ist, wenn er eine Bombe in seiner Diagonaltasche hat? Wie viel Sprengstoff passt wohl in so eine kleine Tasche? Genug um diese U-Bahn zu sprengen! Ich sollte nicht daran denken...

Ich habe noch eine Station, bis ich aussteigen muss.

Ich sehe das Gesicht des Mannes mit der Diagonaltasche immer noch nicht. Ich sehe nur seine Finger, die aufs Handy tippen. Er hat fein manikürte Hände. Ich betrachte meine eigenen Finger. Ich habe keine Maniküre. Ich sehe eine Frau neben mir, die auf meine Finger schaut. Sie schaut mich mit Ekel an – ein Balkanmann mit ungepflegten Fingernägeln, der die Passagiere in der U-Bahn sorgfältig beobachtet. Wahrscheinlich glaubt Sie, ich sei ein Taschendieb.

Ich beeile mich auszusteigen.

Der Mann mit der Diagonaltasche fährt weiter.

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