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Mercedes Spannagel

Privat

„Jo und ich bilden uns einen Hund ein und gehen mit ihm spazieren“

Mercedes Spannagel gewinnt mit einem eingebildeten Mops den Kurzgeschichtenwettbewerb Wortlaut.

Von Zita Bereuter

Sie heißt Mercedes Spannagel. Kein Künstlername. Keine Sponsoren. Keine Verwandtschaft mit Steffi Sargnagel. Aber dennoch ein Grund, warum sie selbst noch im Studium immer wieder als Erste aufgerufen wird - auch die Lehrenden wollen wissen, wer hinter dem Namen Mercedes Spannagel steckt.

„Meine Eltern fanden den Namen ‚Mercedes‘ schön und daher heiße ich so“, klärt Mercedes mit einem leichten Grinsen auf.

Mercedes Spannagel

geboren 1995 in Wien, studiert Maschinenbau an der TU Wien.

Schreibt an einem längeren Projekt, da geht es um Meerjungfrauen und am Ende sind alle Männer tot. Dafür 2018 u.a. ein Arbeitsstipendium des BKA erhalten und eingeladen zur Werkstatt für junge Literatur der Literaturwerkstatt Graz.

Schreibt nicht autobiografisch.

Zum Nachlesen: „Jo und ich bilden uns einen Hund ein und gehen mit ihm spazieren“

Es ist früh und hell in Jos Zimmer, ein weißer Morgen. Ich knie im Bett, trage einen String und sonst nichts. Ich sage zu Jo „schau“ und Jo schaut und ich lege mir den Zeigefinger zwischen die Hautfalten an meinem Bauch. Ich sehe, dass Jo nicht weiß, was er sagen soll, er schiebt die Unterlippe vor, ich lache, ich beuge mich vor und kneife ihm in die Wange. Ich sage: „Wenn du so schaust, dann schaust du aus wie ein Mops.“ Falten auf Jos Stirn, er schüttelt den Kopf, sagt: „So ein Blödsinn.“ Ich sage: „Doch, doch“. Dass ein Mops viel überschüssige Haut hat, dass sich bei ihm die Hautringe am Nacken bilden so wie bei mir am Bauch, dass wir eigentlich viel kleiner sind, innerlich, und dass ein Mops genauso um den Mund ausschaut wie du, Jo, wenn du dieses Gesicht machst.
Jo sagt: „Der Mops ist wirklich ein scheußliches Tier.“

Mercedes Spannagel studiert Maschinenbau - eine eher außergewöhnliche Kombination mit der Schreiberei. „Geschrieben habe ich schon immer. Studiert erst nach der Schule.“ erklärt sie ironiefrei. Schriftstellerin ist für sie ein zu wenig klares Berufsbild. „Ich habe das so gesehen, dass ich etwas Studieren muss, um etwas arbeiten zu können.“

Als Jugendliche wurde sie mal in die Literaturwerkstatt Graz eingeladen. „Dort wurde mein ganzes Schreiben auseinander genommen. Dann war ich länger nicht mehr in der Werkstatt. Und dann habe ich den Preis dort gewonnen.“

(Das Pragmatische des Maschinenbaus scheint in Mercedes’ Antworten immer wieder durch.)

Wortlaut 2018:

Platz 1: Mercedes Spannagel - „Jo und ich bilden uns einen Hund ein und gehen mit ihm spazieren“

Platz 2: Barbara Kadletz - „Kalte Sterne“

Platz 3: Lilian Loke - „Auf Jupiter regnet es Diamanten“

„Wurde auseinandergenommen“ heißt so viel wie, ihr Schreiben wurde verrissen. „Ich hab damals mit sehr vielen Adjektiven geschrieben und sehr pathetisch. Mir war nicht so klar, dass man Phrasen und Floskeln wie ‚Er blieb wie angewurzelt stehen‘ nicht verwendet. Sowas habe ich auch geschrieben.“

Sie lacht.

Maschinenbau hat sie dann als guten Gegenpol gesehen. „Weil es etwas ganz anderes ist, als Schreiben.“

Mittlerweile sind die Texte von Mercedes Spannagel so reduziert und klar wie ein präziser Maschinenbauplan. Zumindest ihre Gewinnergeschichte hat keine überflüssigen Worte:

Wir stehen in der Küche. Jo macht mir eine Eierspeis. Ich schneide kleine Tomaten. Ich schneide eine Tomate, ich esse eine Tomate. Jo schaut auf die Pfanne und rührt ab und zu um.
Ich sage: „Ich mag einen.“
Jo sagt: „Ich auch.“
„Ich meine einen Mops.“
„Ich meine einen mit Käse überbackenen Auflauf.“

„Ich wollte einen Text über einen Mops schreiben.“ Sie selbst hat keinen Hund. Einen Mops könnte sie sich aber schon einreden lassen. Dabei denkt sie an den Mops, den sie im Sommer auf dem Rathausplatz in Wien gesehen hat. Er saß am Nebentisch auf einem Stuhl. Vor ihm ein Weinglas. Das gefiel ihr. Es sind Situationen wie diese, die sie dann schreiben lassen.

Der Soundtrack zum Text und generell zum Schreiben:

  • The Blaze: Territory
  • K. Ronaldo feat. Yung Hurn: Andi Goldberger
  • Interpol: Rage back home

Und schreiben kann sie überall. Eine bestimmte Umgebung braucht sie nicht. Nur „Einen Tisch und einen Stuhl“. Gerne auch Musik - aber die blendet sie aus.

Sie hört etwa gern Yung Hurn. Sie mag seinen Humor. „Ich glaube, er nimmt sich ja auch nicht so ernst. Man kann schon auch Spaß haben.“ Das ist ähnlich wie mit ihren Texten.

Allerdings schreibt sie nicht autobiographisch - nur die Örtlichkeiten können real sein. In der Gewinnergeschichte beschreibt sie den 15. Bezirk in Wien:

Der Standard

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Der Gewinnertext „Jo und ich bilden uns einen Hund ein und gehen mit ihm spazieren“ wird im STANDARD veröffentlicht.

Und er ist hier nachlesbar.

Ich habe das Fenster aufgemacht und stehe ans Fensterbrett gelehnt. Jos Wohnung ist im 3. Stock. Aus den Fenstern sieht man auf eine große Schrebergartensiedlung hinunter. Früher der Exerzierplatz, hat mir Jo mal erklärt. Im Rechteck stehen große Altbauten um die Schrebergartensiedlung. Gegenüber von dem Altbau, in dem Jo wohnt, ist die Kaserne, von der die österreichische Fahne weht. Die Kaserne ist immer noch da, der Exerzierplatz nicht. Soldaten auch nicht mehr, aber Hakenkreuzschmierereien.
Ich möchte Wiens Nachtluft atmen. Jo raucht neben mir aus dem Fenster. Ich missverstehe die Zigarettenluft als Wiens Nachtluft.
Es sind Sterne zu sehen.
„Aldebaran“, sagt Jo auf einmal, „so nennen wir den Mops.“ Er sagt es leise und sanft.
„Warum Aldebaran?“
„Er hat eine weiße Stelle über seinen Augen, die ausschaut wie ein Stern, nicht wie das Symbol des Sternes, sondern mehr oder weniger rund, und da habe ich an Aldebaran gedacht, weil der hundertfünfzigmal so hell leuchtet wie unsere Sonne, weil deine Augen leuchten, wenn du vom Mops sprichst, weil die Idee mit dem Mops reiner Blödsinn ist, wie auch die Verschwörungstheorien bezüglich Aldebaran.“
Jo schließt das Fenster.

Mercedes Spannagel hat schon mehrfach bei Wortlaut mitgemacht. 2015 und 2017 war sie auf der Longlist. Heuer war sie bereits überglücklich, es unter die Top Ten geschafft zu haben. Das hätte mir schon gereicht, lacht sie.

Wortlaut Party

Radio FM4

Die Jury fand jedenfalls sofort Gefallen an „Jo und ich bilden uns einen Hund ein und gehen mit ihm spazieren“.

„Ein sehr cooler, sehr eigener und origineller Text.“ „Der hat irrsinnig viel Spaß gemacht – von der ersten bis zur letzten Zeile. Er ist interessant, er lässt verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu. Und ist trotzdem in sich sehr stimmig und sehr rund.“ „Der Text führt vor, wie man auch mit eingebildetem Hund ganz real und überzeugend spazieren gehen kann. Und es gibt in dem Text so viele Leerstellen, dass man Raum für eigene Vorstellungen, für eigene Überlegungen hat.“

Das mit dem Witz und der Ernsthaftigkeit ist Mercedes Spannagel generell wichtig. Diesen Text hätte sie sich ohne Leerstellen nicht vorstellen können.

Ich sehe Jo länger nicht. Aldebaran ist bei ihm. Eine andere Frau ist bei ihm. Die andere Frau versteht nichts vom Mops. Jo und die andere Frau verstehen sich deshalb.
Erst sagt Jo, dass da nichts ist.
Dann sagt Jo, dass da was ist.
Jo fragt, ob das ok ist.
Ich kann mir Aldebaran nur schwer vorstellen ohne Jo.

Mercedes Spannagel liest ihren Text bei der Wortlautparty, wo auch die Texte auf Platz 3 und Platz 2 gelesen werden und die großen Zehn ihre Preise erhalten.

Mercedes Spannagel gewinnt:

Julius Meinl

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Alle drei Preisgelder werden von Julius Meinl zur Verfügung gestellt.

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