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Erich Moechel

Software zur Abgasmanipulation war 2005 zum Patent angemeldet

2005 hatten die Bosch GmbH und andere Autozulieferer tausende Patente auf Software zur Motorsteuerung et al. eingereicht. Bevor sie ausgestellt werden konnte, schmetterte das EU-Parlament die zugehörige Richtlinie zur „Patentierbarkeit von computerimplementierten Erfindungen“ allerdings fast einstimmig ab.

Von Erich Moechel

In Deutschland streiten CDU und SPD nun mit der Autoindustrie, wer den durch Betrugssoftware entstandenen Schaden bezahlen wird. Jahre davor waren sich diese Streitparteien hingegen noch darüber einig, dass Steuerungssoftware für PKWs durch Patente gegen „Piraterie“ geschützt werden müsste. Da Software in Europa grundsätzlich nicht patentierbar war, versuchte man auf Wunsch der Industrie, dies ab 2002 mit einer EU-Richtlinie zu ändern. Die Autoindustrie selbst trat dabei kaum bis gar nicht in Erscheinung.

Aktuell dazu in ORF.at

Als Kollateralschaden des Betrugs drohen nun Fahrverbote für Millionen Diesel. Die Autokonzerne sträuben sich, die Umrüstung zu bezahlen.

Während dieser Prozess zwischen EU-Parlament und Ministerrat im Laufen war, hatte der Zulieferer Robert Bosch GmbH 2005 bereits 3.600 Patente auf Software für Autos in Europa angemeldet. Darunter waren auch jene Funktionen zur Motorsteuerung, über die wenig später die Abgastests manipuliert wurden. Diese Patente wurden allerdings nie ausgestellt, weil die Richtlinie in Folge vom EU-Parlament förmlich abgeschmettert wurde.

Wie der Betrug technisch funktionierte

Bereits 2006 kamen die Motorsteuergeräte EDC 17 von Bosch auf den Markt, die Partikelfilter und die Systeme zur Stickoxid-Reduzierung im Abgas steuern konnten. Sowohl die Hardware dafür war bereits vollständig vorhanden, wie auch die für die Erkennung einer Prüfstandssituation benötigten Beschleunigungs- und Fliehkraftsensoren. Damit wurde erkannt, ob der PKW tatsächlich auf der Straße oder auf den Rollen eines Prüfstands beschleunigt wurde, laut Untersuchung war auch ein Akustiksensor dabei im Spiel. Der gesamte Abgasbetrug spielte sich also in der Software ab, die den Motor zurückregelte, wenn diese Sensoren eine „Prüfstandssituation“ meldeten.

Screenshot eines Dokuments

Public Domain

Durch die Richtlinie von 2002 sollte die Steuerungssoftware für Autos unter Patentschutz gestellt werden können, obwohl Software selbst in Europa nicht patentierbar ist. Der Grund: Patentschutz ist bei weitem das stärkste Instrument des Eigentumsrechts auf immaterielle Güter.

Gegen die Robert Bosch GmbH wird seit 2016 in Europa und den USA wegen der Lieferung ihrer Steuerungssoftware für Dieselmotoren an den VW-Konzern und andere ermittelt. Die Funktion „prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung“ ist seitdem gerichtsnotorisch, die Staatsanwaltschaften werten das als Beihilfe zum Betrug. Nach Angaben der Bosch GmbH wurde VW bereits 2007 oder etwas davor mit dieser „Sonderfunktion“ der Software beliefert. Mitte 2005 hatte Bosch jedenfalls bereits die gesamte Software zur Dieselmotorsteuerung als einzelne Patentmodule angemeldet.

Die große Verschleierung

Teil 1 der Patente-Saga

Die Patentmanie nach dem Platzen der Dot.com-Blase und die Flut von Trivialpatenten waren das perfekte Umfeld für den geplanten Patente-Coup der Autoindustrie.

Vom Start der Regulation 2002 und danach wusste abseits der Autoindustrie, der EU-Kommission und Teilen des Ministerrats ganz einfach niemand, dass es sich bei dieser „Richtlinie zur Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen“ tatsächlich um eine reine „Lex Autoindustrie“ handelte. Nach den ersten Protestwellen gegen die Patentierbarkeit von Software verschwand das Thema zudem von der Tagesordnung. Im EU-Ministerrat, der die Richtlinie in Auftrag gegeben hatte, regte sich aber plötzlich Widerstand, darunter auch aus Österreich.

Erst im Juni 2003 war die Richtlinie plötzlich wieder da. Hinter den Kulissen hatten sich Sozialdemokraten und Konservative auf einen neuen Anlauf geeinigt, Softwarepatente in Europa zuzulassen. Das europäische Patentamt stellte nämlich laufend weiter Trivialpatente auf Software und für Erfindungen aus, die keine waren. Schon allein deswegen müsse man diese neuen Patente europaweit „harmonisieren“, argumentierte der damalige Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein. Die Autoindustrie hatte da bereits begonnen, Elektronik und Sensoren massiv zu verbauen.

Frits Bolkestein

PHILIPPE DESMAZES / AFP

Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein war neben Landwirtschaftskommissar Franz Fischler einer der wenigen Konservativen in der ansonsten sozialdemokratisch geführten Kommission von Romano Prodi.

Techniker und Wirtschaftskammern protestieren

Im September 2003 erhoben erst die österreichische, dann weitere nationale Wirtschaftskammern erstmals Einspruch gegen die geplante Patentregelung.

Die Richtlinie wurde zwar im Eilverfahren noch mit deutlicher Mehrheit durch den Justizausschuss des Parlaments gewunken. Doch zur geplanten, blitzartigen Verabschiedung im ersten Herbstplenum 2003 kam es nicht. Die nationalen Wirtschaftskammern - allen voran die österreichische - äußerten plötzlich schwere Bedenken, dass die kleinteilige europäische Softwareindustrie durch eine solche Regelung für Großkonzerne unter die Räder kommen könnte. Die Stellungnahmen Pro kamen nämlich allesamt von Siemens, Bosch, Philips und anderen europäischen Elektronikkonzernen.

Zwei Wochen später gingen Programmierer und IT-Techniker vor den Patentämtern in Brüѕsel, München, Wien und weiteren Städten gegen die geplante Patentierbarkeit von Software auf die Straße. Vor dem Österreichischen Patentamt im 20. Bezirk in Wien skandierten im September 2003 mehr als 300 vorwiegend männliche Ingenieure Parolen „gegen den Patentwahnsinn“ und für Programmierfreiheit. Europaweit hatten 250.000 die Petition gegen Softwarepatente auf Eurolinux.org unterschrieben.

Screenshot aus einer Datei

Public Domain

Wie der Einleitung zur Richtlinie zu entnehmen ist, hatte man vor, auch „Ideen“ und „Prinzipien“ unter Patentschutz zu stellen. Es war genau dieser Ansatz, der Software-Entwickler auf die Barrikaden brachte.

Elektronikkonzerne wurden vorgeschoben

Die Recherche zu diesem Zweiteiler basiert auf Recherchen aus den Jahren 2000 bis 2005. Im Archiv der ORF-Futurezone finden sich dazu 140 Artikel, die hier chronologisch abfallend zu finden sind.

Der Zorn der Programmierer wurde noch dadurch angefacht, dass hier eine ganz andere Branche die Regeln für Programmierer ändern wollte. Der Zorn richtete sich gegen die Elektronikkonzerne, denn die standen schon im Licht der Öffentlichkeit, während die Autoindustrie da noch immer im Halbdunkel dahinter stand.

Ende September 2004 ging eine stark entschärfte Version der Richtlinie in erster Lesung durch das EU-Parlament, dann war der Ministerrat wieder am Zug. Als die Richtlinie dann als Ministerratsversion im Mai 2004 zurückkehrte, sah sie genauso aus wie am Start, denn der Rat hatte alle Änderungen des Parlaments rückgängig gemacht.

Vom EVP-Abgeordneten Karas, der in der Folge die Kritiker innerhalb der EVP anführte und anderen kam offener Widerspruch. Dann gab es wieder Zank darüber im Ministerrat, wieder legte sich eine Reihe von Staaten quer, es wurde verschoben und vertagt. Bei der entscheidenden Ratssitzung Mitte Dezember 2004 machte Polen von seinem Vetorecht Gebrauch. Was vom Ministerrat bis dahin wie ein europäisches Staatsgeheimnis behandelt worden war, kam um diese Zeit an die breitere Öffentlichkeit: Die Richtlinie war eine reine „Lex Autoindustrie“.

Eskalation und Implosion im Jahr 2005

Als die Liste der neu beantragten Patente auf Software im Mai 2005 an die Öffentlichkeit kam, war die Empörung darüber groß, dass die Richtlinie noch vor dem EU-Parlamentsbeschluss als ausgemachte Sache betrachtet wurde.

Von da an eskalierten die Ereignisse völlig. Im Jänner 2005 forderten die vier größten Fraktionen des EU-Parlaments einen völligen Neustart der Richtlinie. Im Rat hatte man Polen irgendwie dazu gebracht, das Veto zurückzuziehen, ein Neustart wurde abgelehnt. Und obwohl die Richtlinie nicht vorankam, hatte der Autozulieferer Robert Bosch GmbH im Mai 2005 vorsorglich schon 3.600 Patente auf Autoelektronik samt Software eingereicht, europäischer Spitzenreiter war Siemens Automotive mit 3.900, auf Platz drei lag Philips (2.400).

Diese Liste war der letzte Tropfen, der sozusagen das Dieselfass zum Überlaufen brachte. Als dann noch Pläne des Ministerrats zu Tage gefördert wurden, die Richtlinie unter Umgehung des Parlaments als „A-Item“ zu verabschieden, war das Schicksal der Richtlinie besiegelt. Nach EU-Recht war es damals möglich, dass ein einstimmiger Ministerratsbeschluss als „A-Item“ oder „fait accompli“ in einem beliebigen Ratsausschuss zu EU-Recht wurde. Der berühmte Beschluss zur Überwachbarkeit aller digitalen Netze im an sich fachfremden Fischereiausschuss von 1995 ist eines der bekanntesten Beispiele dafür. Noch im Juli - drei Wochen vor der Sommerpause 2005 - kam die Richtlinie wieder auf die Tagesordnung des Parlaments. Von 580 anwesenden Abegordneten stimmten bei der Plenarabstimmung 548 für die ersatzlose Streichung der „Richtlinie zur Patentierbarkeit computerimplentierter Erfindungen“.

Epilog

Sachdienliche Informationen, Metakritiken et al. sind über dieses Formular verschlüsselt und anonym beim Autor einzuwerfen. Verbindungen via TOR-Netz willkommen. Wer eine Antwort will, gebe tunlichst eine Kontaktmöglichkeit an.

Wie die Entwicklung des Abgasbetrugsskandals gezeigt hatte, konnte die Autoindustrie auch ohne Patentschutz für Software die Abgastester und die gesamte Öffentlichkeit zehn Jahre lang erfolgreich täuschen. Die exzessive Patentierung der Hardware samt den möglichen Sanktionen reichte völlig aus, um Sicherheitsforscher von technischen Untersuchungen abzuhalten. Erst 2015, als die Angelegenheit in den USA gerichtsnotorisch wurde, wagte sich der bekannte deutsche Hacker Felix Domke an ein Reengineering der Motorsteuerung und machte seine Erkenntnisse beim Kongress des Chaos Computer Clubs öffentlich.

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