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Buch

Ein Crashkurs in Sachen Leben

In Finn-Ole Heinrichs Roman „Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes“ sucht ein „zivilisierter Waschlappen“ den Reuber, um von ihm ein Lektion in Sachen Leben, aber auch im Vatersein zu lernen.

Von Simon Welebil

Ein Kind zu erwarten sollte eines der schönsten Erlebnisse im Leben eines Paares sein. Dass das nicht immer so ist, ist allerdings auch klar, aber auch dann kann man sich besser oder schlechter verhalten. Was allerdings überhaupt nicht geht ist, die werdende Mutter kurz vor der Geburt sitzen zu lassen.

Genau das macht allerdings der namenlose Protagonist im Roman „Reise zum Mittelpunkt des Waldes“, und wenn es nach ihm geht, hatte er auch allen Grund dazu. Nur will ihm jetzt, nachdem er nach wochenlanger Abwesenheit plötzlich wieder im Garten der Schwiegereltern auftaucht, niemand zuhören. Es will ihn auch niemand mehr hierhaben, nicht seine Frau und noch weniger sein Schwiegervater. Aber gehen will er auch nicht. So richtet er sich im Garten ein Lager ein und versucht seinem Neugeborenen, dessen Namen er nicht einmal kennt und ihn deshalb Krümel nennt, sein Handeln zu erklären.

Der zivilisierte Waschlappen

Autor Finn-Ole Heinrich hat seinen Protagonisten als gescheiterten Schriftsteller dargestellt, der sich mit der Übersetzung von Gebrauchsanleitungen ein Taschengeld verdient, sich am Liebsten hinter dem Schreibtisch versteckt und sich vor Entscheidungen drückt, oder in eigenen Worten. „Ich bin ein von der modernen Zivilisation verweichlichter Waschl...“

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„Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes“ von Finn-Ole Heinrich ist mit vielen Illustrationen von Ran Flygenring im mairisch Verlag erschienen.

Das wäre an sich nicht weiter schlimm, aber mit der Schwangerschaft seiner starken und selbstständigen Frau Amanda und den Nebenerscheinungen (Hausbau mit und bei den Schwiegereltern) sieht er sich immer mehr mit seinen Unzulänglichkeiten konfrontiert und außerstande, mit den Veränderungen, die auf ihn zukommen, umzugehen.

Er, der selbst nie einen Vater hatte, malt sich aus, was er als Vater alle können müsse, vor allem in Katastrophenzeiten: seine Familie beschützen, Wasser finden, Feuer machen, sich durchschlagen. „Und was wusste ich? Nullkommanix“.

Ein Kurs beim Meister des Überlebens

Den einzigen Ausweg aus dieser Situation sieht der Protagonist in einem „Crashkurs in Sachen Leben. In Sachen Überleben“. In weniger als fünf Wochen will er all das lernen, was ein Vater wissen muss. „Ich brauche eine Art Geburtsvorbereitungskurs für mich, personal training. Wo lernt man das, Vatersein, wenn man nie einen Vater hatte?“

Als einzig möglichen Kursleiter für derartige Workshops fasst der Protagonist nun den Reuber ins Auge. Geschrieben wird er wirklich mit „EU“, weil es kein realer Räuber ist, sondern der Archetyp eines Mannes: riesig groß und muskulös, mit Vollbart, Augenklappe und furchteinflößender Stimme, wenn auch mit Sprachdefiziten. Die Figur, die für Drohungen missbraucht wurde, die, vor der sich alle fürchten. Blöd nur, dass der Reuber mitten im Wald lebt und man ihn auch nicht findet, was schon die Reuberregel Nummer zwei besagt: „Der Reuber findet dich, aber du den Reuber ganz sicher nicht.“, was aber genauso passiert.

Reisen führen auch immer ins Ich

„Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes“ ist nur ein bisschen literarischer Geburtsvorbereitungskurs für werdende Väter. Es ist mehr eine Art Entwicklungsroman. Der scheinbar verweichlichte Protagonist will aus der technologisierten modernen Welt ausbrechen und schlägt den komplett gegensätzlichen Weg ein, zurück zur Natur. Er macht er einen schmerzhaften Reifeprozess über viele Reuberregeln durch.

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Für den Leser ist das über weite Strecken amüsant, wenn auch manchmal redundant. Die Aufmachung des Buches mit vielen Zeichnungen zum Überleben im Wald von Illustratorin Rán Flygenring ist jedenfalls grandios.

Für wen ist "Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes geschrieben?

Beim Reuberroman "Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes ist nicht ganz klar, für wen es gemacht worden ist. Finn Ole Heinrich und Rán Flygenrings haben mit ihren vorherigen Büchern Kinderbuchpreise gewonnen und, so steht es in der Autorenbeschreibung „fragen sich seitdem, ob sie eigentlich Kinderbücher machen. Und was das überhaupt genau ist, ein Kinderbuch.“

„Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes“ entfernt sich durch den erwachsenen Protagonisten, die Thematik, das Infragestellen von Rollenbildern und die Sprache jedenfalls recht weit davon. Doch auch der Verlag weiß nicht so recht, an welcher er das Buch jetzt adressieren soll, bleibt im Klappentext ganz vage und schreibt in der Presseaussendung von einem „Vorlese-Reuberroman für Töchter, Söhne, Mütter und Väter – und für alle, die mal eines davon werden wollen.“

Ob der Protagonist mit seinem Abstecher in den Wald sein Ziel erreichen kann, ein guter Vater zu werden, daran beginnt er selbst im Lauf seines Lebens mit dem Reuber zu zweifeln. Und ob er Vater-Sein kann, wird immer wieder von der Frage überlagert, ob er nach seiner Aktion überhaupt noch Vater sein darf. Eine Lektion des Reubers kann man sich in Bezug auf Selbstbild, Rollenbildern und Idealen jedenfalls dick anstreichen, Reuberregle Nummer 11: „Egal, wie doll du dich anstrengst, der Reuber kann es besser.“

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