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Szenenbild "Werk ohne Autor"

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Kunst! Krieg! Trauma!

Eine Künstlerbiografie und von deutscher Geschichte will „Werk ohne Autor“ erzählen. Trotz des immer superen Tom Schilling ist Florian Henckel von Donnersmarcks Film eine selbstverliebte Angelegenheit mit fragwürdigem Geschichts- und Kunstbegriff.

Von Pia Reiser

Da sitzt Tom Schilling in einem Baum auf einem Feld und man wird ein bisschen neidig, weil man wäre jetzt auch lieber auf diesem Baum statt im Kinosaal, wo „Werk ohne Autor“ darauf besteht, 190 Minuten zu dauern, aber erst nach circa 60 Minuten mit Tom Schilling rausrückt. Mit Schilling wird alles besser, weil er einer der Schauspieler ist, die durch ihre ruhige Präsenz, durch schiere Anwesenheit, Szenen und ganzen Filmen einen Halt geben können. In dem schlingernden und selbstgefälligen „Werk ohne Autor“ ist Tom Schilling der Fels in der Brandung. Regisseur dieses Films, der so gern ein Mammutwerk über deutsche Geschichte und Kunst wäre, ist Florian Henckel von Donnersmarck. Und dessen Filmografie ist zwar kurz, aber mit Superlativen gespickt.

Auf den Oscar für sein Erstlingswerk „Das Leben der Anderen“ folgte der mit Häme überschüttete Topfen-Thriller „The Tourist“ und nun soll es - acht Jahre später - zurück Richtung Hollywood-Ruhm gehen. „Werk ohne Autor“ ist Deutschlands Einreichung für den sogenannten „Auslands-Oscar“. Für seinen dritten Film, für den er auch das Drehbuch geschrieben hat, hat sich Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck viel vorgenommen. Und überhebt sich.

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Der Richter und sein Henckel (von Donnersmarck)

„Werk ohne Autor“ erzählt vom Nationalsozialismus, der DDR, dem Verhältnis zwischen Kunst und Staat, von Kunst als Spiegel von Gesellschaft und Geschichte; der Film ist eine Künstlerbiografie und will außerdem möglichst oft den Blick auf einen entblößten Busen lenken. Das würde gar nicht so auffallen, wenn nicht die weiblichen Figuren sonst nicht so wenig zu tun hätten. Viel zu tun, aber wenig zu sprechen hat Tom Schilling als Kurt Barnert, eine an den deutschen Künstler Gerhard Richter angelehnte Figur. Der äußerte sich gestern nicht gerade erfreut über „Werk ohne Autor“, allerdings ohne den Film gesehen zu haben, der Trailer habe ihm gereicht, das Ganze wirke „zu reißerisch“. I feel you, Gerhard Richter.

Die SZ hatte zuvor berichtet, Richter hätte das Drehbuch gelesen und Henckel von Donnersmarck gebeten, eine Szene zu streichen. Essentiell für das Drehbuch von „Werk ohne Autor“ ist „Ein Maler aus Deutschland“, ein Buch aus dem Jahr 2005. Darin deckt Journalist Jürgen Schreiber Richters Familiengeschichte auf. Richters früherer Schwiegervater war Arzt und Obersturmbannführer bei der SS und beteiligt an der Sterilisierung von Menschen mit Behinderungen. Gerhard Richters Tante Marianne Schönfelder stirbt - so erzählt es Gerhard Richter in Interviews - an Hunger und verabreichter Medikamentenüberdosis in der Tötungsanstalt Großschweidnitz.

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In „Werk ohne Autor“ erlebt Kurt Barnert als Kind wie seine geliebte Tante - im Film heißt sie Elisabeth - von Sanitätern niedergespritzt und abgeholt wird. Die junge Frau wird wegen einer psychischen Erkrankung vom Nazi-Regime zunächst sterilisiert und später ermordet, ein Opfer des NS-Euthanasie-Programms. Niemals wegsehen, gibt Tante Elisabeth ihrem kleinen Neffen mit auf den Weg. Mit Niemals wegsehen, also einer Zeile, die er selbst geschrieben hat, rechtfertigt Drehbuchautor und Regisseur Henckel von Donnersmarck auch später in Interviews, dass er eine Szene in einer Gaskammer spielen lässt.

In einer Parallelmontage sehen wir Elisabeth gemeinsam mit anderen Frauen in der Gaskammer sterben, Kurts Onkel an der Ostfront fallen, während Dresden bombadiert wird, Kinderzimmer zu brennen beginnen und der freundliche Busfahrer im Bombenhagel stirbt. Diese Sequenz sorgt vor allem in deutschsprachigen Medien nach der Filmpremiere beim Filmfestival in Venedig für Aufruhr und Unmut. Die Szenen sollen den Verlust von Kurt illustrieren, den Schmerz eines Kindes, der für sein späteres (Künstler)Leben von Bedeutung sein wird. Doch als Regisseur hätte Henckel von Donnersmarck allerspätestens im Schneideraum merken müssen, dass die Szene weniger von Kurts Verlust erzählt, als die letzten Tage des Zweiten Weltkrieg bizarr verknappt nacherzählt und dabei betont, es sind auch Deutsche unter den Opfern! Von der fragwürdigen und an der Grenze zur Geschmacklosigkeit schrammenden Inszenierung des Todes in der Gaskammer zu klassischer Musik ganz zu schweigen.

Der kürzlich verstorbene Philosoph und Filmemacher Claude Lanzmann, der mit „Shoah“ die wohl wichtigste filmische Auseinandersetzung mit dem Holocaust geliefert hat, hat sich immer gegen eine Fiktionalisierung und Darstellung des Holocaust ausgesprochen. Lanzmann sagte, hätte er je geheime Aufnahmen aus Gaskammern gefunden, er hätte sie zerstört, denn Bilder töten die Imagination.

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Szenen in der Gaskammer

Und nicht nur die Tonalität, in der deutsche Geschichte wiedergegeben wird, ist schief, sondern auch die Art, wie „Werk ohne Autor“ seine Definition eines Kunstbegriffes auf die Leinwand bringt, verwundert. Barnert und seine Frau Ellie (eine schwer unterbeschäftigte Paula Beer) fliehen in die DDR; in Düsseldorf besucht Barnert die Kunstakademie. In einer langen Sequenz wird er am „Tag der offenen Tür“ durch die Akademie geführt, doch wie „Werk ohne Autor“ hier moderne Kunst und Aktionismus belächelnd inszeniert, ist reaktionär. Ein Künstler ist hier nur, wer mal Handwerk gelernt hat und beherrscht und wer sein persönliches Leid irgendwann durch die Kunst zum Ausdruck bringt und überwindet. Das Blei der Traumata in das Gold der Kunst verwandeln. Der Satz ist noch nicht mal aus dem Film, sondern vom Regisseur selbst.

Erstaunlich unreißerisch - und das ist im Grunde das einzig erfreuliche an „Werk ohne Autor“ - ist, dass es eine Künstlerbiografie ist, ohne die Klischees des exzessiven, zerstörerischen, gerne auch trinkenden Künstlers zu bemühen. Barnert ist ruhig, ein Beobachter, und Tom Schilling kann halt auch eine wortlose Reaktion eindrucksvoll spielen. reaction shot sind die einzigen zwei Worte, die ich während des Films aufschreibe. Im Getöse fällt einem eben das Ruhige auf.

„Werk ohne Autor“ dampft drei Jahrzehnte auf 190 Minuten ein, will einen großen Bogen schlagen und auch noch ein paar Kalendersprüche zur Kunst loswerden, doch im Gegegnsatz zu Gerhard Richter, dem Vorbild für die Figur des Kurt Barnert, greift Florian Henckel von Donnersmarck nie zur Abstraktion, sondern formuliert alles aus und unterstreicht es mit Soundtrack, bis man sich von all den Stereotypen, Genrekonventionen und Stehsätzen erschlagen fühlt. Die Nazi-Uniformen glänzen, jedes Kostüm sieht aus wie gerade aus der Reinigung abgeholt, die Pflastersteine des ganzen Landes sind blitzblank geputzt. Ein aseptischer Film, der gerne so groß wäre wie das erlösende Kino des Steven Spielberg.

Doch Erlösung empfindet man hier nicht, wenn, sondern, weil der Film aus ist.

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