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Phosphorescent

Daniel Arnold

Das Leben ist ein Paradoxon

„C’est la vie“ heißt das neue Album von Phosphorescent. Ein Glas zerbricht, die Straßenbahn fährt davon, der Kuchen brennt an: So ist das Leben. Ein schmaler Spruch, der nichts - und alles sagt.

Von Lisa Schneider

Hierzulande oft nur in Insiderrunden ein Begriff, kreist die Musik von Phosphorescent schon eineinhalb Jahrzehnte durch die gut aufgestellten Folk-Plattensammlungen. 2003 veröffentlicht Matthew Houck mit „A Hundred Times More“ das erste Album unter dem Namen Phosphorescent. Höhepunkte danach waren „Aw Come Aw Wry“ 2005 und vor allem „Pride“ 2007. Kritikerbeifall heimst Phosphorescent vor allem aber für „Muchacho“ 2013 ein, ein gebündeltes Werk alles Vorhergegangenen, ein Country-Rock-Sprudelbecken, Herzschmerz hinter, vor oder auf der Bar.

Einer unter vielen in der Rige vollbärtiger Singer-Songwriter; und trotzdem unterscheidet ihn viel vom unerreicht melancholischen Weltschmerz eines Justin Vernon oder vom hedonistischen Besserwissertum Josh Tillmans. Selbst wenn Matthew Houck früher viel mehr als heute weiß, traurige Songs an der Gitarre zu schreiben: Das letzte, kleine Fünkchen Nonchalance, übertriebener Gelassenheit ob des Untergangs der Welt und deren Moral waren immer großer Bestandteil seiner Lieder.

Was die Außenwelt nicht mitbekommt

Fünf Jahre lang war es nach außen hin ruhig im Phosphorescent. In Matthew Houcks Leben schaut das anders aus: Er war ein einer schweren Miningitis erkrankt (von der er sich inzwischen erholt hat), hat seine Frau kennengelernt, ist inzwischen zweifacher Vater und aus dem glamourösen Big Apple hinaus aufs Land geflüchtet: ausgerechnet nach Nashville.

Wem „C’est la vie gefällt“, dem sei Jordan Klassen’s „Big Intruder“ und Gruff Rhys „Babelsberg“ empfohlen.

„I don’t really feel all that connected to the town at all yet, because I spent those past years really sort of isolated“. Auch, wenn er nicht deshalb hingezogen ist: im Nachhinein ist es eine dieser schönen Geschichten, die jeden Musikjournalisten in die Hände klatschen lassen. Wenn schon endlich niederlassen, Vater sein, mit Gitarre in und Klaviertaste an der Hand die Musik seiner späten 30er schreiben, dann in der Country-Hochburg.

Matthew Houck mietet ein kleines Häuschen, zieht Wände ein, verlegt Leitungen, schafft vintage gear aus den 50ern an. Man muss es sich ja nicht unbedingt einfach machen, ein Album im Alleingang aufzunehmen und zu produzieren. Im Nachhinein muss Matthew Houck selbst über seine Verbissenheit lächeln. „I made it really difficult to make this record. I did it by myself, I sort of needed that slowly evolving really large procress that maybe was not even necessary. But as always, it’s always hard to know what will be happening.“

Das einfache, gute Leben

Zum ersten Mal lässt er sich treiben, schreibt über neu erlangte Gelassenheit, das gute Leben. Er schreibt Lieder über seine Familie, seinen safe spot, seinen Sohn. Einen davon nennt er „My beautiful boy“, das Kryptische fällt weg, kein Rätselraten, es ist ein zufriedenes, einfaches Geschichtenerzählen.

Vielleicht ist es auch das, was dieses Album so leichtfüßig macht. Dabei ist Matthew Houck seit immer schon ein Tüftler, der die Songs nicht aus der Hüfte schießt. „Part of the creative process is procrastination, you have to do that ritual. At least I do. You can’t turn it on on demand. You gotta shift gears, you gotta take of your armour, which of course will make you vulnerable. I can’t access that space in a regular world, I also don’t think I can jump back and forwards in any way that’s quick.“

„New Birth In New England“ handelt von der Geburt seiner Tochter. „I actually made a mistake there, I wrote that song about New York, I was working and living there. I’m not from up there, so I didn’t realize that New York is actually technically not considered a part of New England.“ Den Fehler hat er so stehen gelassen, und der führt auch eigentlich gleich zum Thema des Albums, zum Titel: „C’est la vie“.

„Everything and nothing“

Ein Paradoxon, das Matthew Houck durch seine Songs begleitet. Ein Spruch, den man gern verwendet, wenn die Straßenbahn wieder einmal vor der Nase davongefahren ist, wenn ein Glas zerbricht oder man den Kuchen zu lang im Rohr hat stehen lassen. Ein Paradoxon, das Matthew Houck lange beschäftigt hat, ihm Erkenntnis und Klarheit gebracht hat. „Things can only feel so large and profound or anything until somehow they circle back around, and everything is nothing. It’s just everything and nothing all the time, and everywhere.“

Albumcover "C'est La Vie" Phosphorescent

Dead Oceans

„C’est la vie“ von Phosphorescent erscheint via Dead Oceans.

Und was bleibt in diesem „everything and nothing“? Woran festhalten? Am eigenen, kleinen Glück. An seiner Familie, der Ruhe am Land.

Auf der Suche nach einem Bassspieler für einige Songs des Albums bekam Matthew Houck eines Tages einen Anruf. Kurz darauf saß David Roe, ehemaliger Bassist von Johnny Cash, im Selfmade-Studio.

Knisternde Drums, Tremolo-Gitarren, Pedalsteel und doppelspurige Bass-Melodien: Seinen Faible für die umgreifende Atmosphäre eines Albums, die Arrangements, das musikalische Dach, das alles zusammenhält, hat Matthew Houck seiner Stimme zuliebe in den Hintergrund gerückt. Die tanzt nach vorne, immer beschwingt. Schmunzeln, Schunkeln, später Sonntag-Nachmittag; ein Glas Rotwein, der Tanz mit der Liebsten, die Sorgen sind zwar nicht kleiner, aber alles ist relativ. Keine naive Hoffnung, vielmehr die positive Einstellung dazu, es - alles - ohnehin nicht ändern zu können. Den Song, der schwermütig daherkommt, gibt es auf „C’est la vie nicht“.

„C’est la vie she said, and I don’t know what she means“, heißt es da etwa. Wissen, dass man nichts weiß. Und dieses Nichtwissen zur Musik machen - ein selten gut gelungener Versuch.

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