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ROBERT ROTIFER

Der britische Pop und die göttliche Vorsehung

Über die anachronistische Selbstüberschätzung des britischen Pop. Oder warum Bob Geldofs offener Brief gegen den Brexit mehr Teil des Problems als Teil der Lösung ist.

Von Robert Rotifer

An sich hab ich mich ja auch gefreut, als ich übers Wochenende von dem offenen Anti-Brexit-Brief hörte, den Bob Geldof da abgefeuert hat, unterschrieben von prominenten Freund_innen aus der britischen Musiker_innen-Gemeinde wie Damon Albarn, Brian Eno, Rita Ora, Johnny Marr, Jarvis Cocker, William Orbit, Neil Tennant, Simon Rattle und äh... Sting.

Ich fand das wie gesagt sehr gut. Bis ich den Brief dann gelesen hab. Einzig der Observer (also de facto die Sonntagsausgabe des Guardian) hatte ihn nämlich wörtlich veröffentlicht.

„Weil wir so brillant sind.“

Da kamen auch tatsächlich die markanten Worte vor, die anderswo zitiert wurden: Dass es „ein sehr schwerer Fehler“ sei, sich per Brexit in ein „selbstgebautes, kulturelles Gefängnis“ einzusperren. Gleich zu Anfang stand da aber noch so einiges Anderes, ich erlaube mir zu übersetzen:

„Stellt euch Britannien ohne seine Musik vor. So schwer das für uns selber sein mag, für den Rest der Welt ist es unmöglich. In diesem einen Bereich, wenn schon keinem anderen, beherrscht Britannien immer noch die Wellen. Die Radiowellen. Die Cyber-Wellen (nein, weiß auch nicht, was das ist, Anm.). Die Klangwellen. Das ist ein Teil von uns. Es ist unsere Kultur.
Wir dominieren den Markt, und unsere Bands, Sänger_innen, Musiker_innen, Autor_innen, Produzen_innen und Techniker_innen arbeiten überall in Europa und der Welt. Im Gegenzug kommen Europa und die Welt zu uns. Warum? Weil wir so brillant darin sind. Niemand weiß genau, warum das so sein sollte, aber alle sehen ein, dass es so ist.“

So richtig überrascht hat mich diese fast schon selbstparodistisch egozentrische, zutiefst anachronistische Weltsicht ja nicht, schließlich präsentiert sich die britische Popkultur immer schon gern im Vokabular eines imperialen Eroberungsnarrativs (mit „Breaking America“ als höchstem Ziel). Und um ehrlich zu sein, sind einem solche kulturellen Weltherrschaftsfantasien aus dem Klassik-Land Österreich ja auch nicht ganz unbekannt.

Kulturelle Krieger_innen auf Kreuzzug

Aber Geldof geht ein gutes Stück weiter. Der Brexit, schreibt er, sei „das genaue Gegenteil der Grundessenz zeitgenössischer Musik“, nämlich des „Zerschlagens von Mauern, des Bestreitens von Vorurteilen, der Schöpfung von Ideen.“ Gerade die so viel geschmähte Bewegungsfreiheit sei es, „die es unseren Troubadouren, unseren kulturellen Krieger_innen so unbeschwert erlaubt, Europa zu bewandern und uns von einer Welt zu erzählen, die nicht genug von ihnen kriegen kann.“

Einmal abgesehen von dem Umstand, dass Geldof ein in England lebender Ire und somit ein Fremdenlegionär in dieser Kulturarmee ist, besteht da doch eine erstaunliche Dissonanz zwischen dem einen, martialischen Bild der britischen Pop-Szene als einer Art musikalischer Kreuzritter-Orden und dem anderen von der emanzipatorischen Botschaft des Pop.

Es sei denn, der britische - und nur der britische! - Pop wäre dazu auserwählt, die Restweltbewohner_innen ans Licht der Aufklärung zu führen („Niemand weiß genau, warum das so sein sollte, aber alle sehen ein, dass es so ist“).

Europa zum „rock’n’rolligen Kontinent“ machen

Tatsächlich wird Geldof in diesem Sinne noch konkreter: Die EU gehöre reformiert und restrukturiert. „Wenn Europa in einem Schlamassel steckt, knien sich die Briten rein. Sie ziehen sich nicht zurück, sondern verdoppeln ihren Einsatz. Sie machen sich die Hände schmutzig. Machen aus Europa den Kontinent, den wir und das Volk von Europa wollen. Nicht den, der in einer anderen Zeit von den Ideolog_innen erträumt wurde, oder von dem undemokratischen Gebot durchschnittlicher Politiker_innen oder den dumpfen Mahnungen einer farblosen Bürokratie. Einen neuen. Einen anderen. Einen aufregenden. Einen rock’n’roll-igen [Kontinent].“

Vorgestern Abend saß ich im Zug aus Paris nach London, hinter mir eine Vierergruppe besoffener britischer Handelsreisender, die den ganzen Waggon ungefragt mit den größten Hits von Oasis unterhielten. Ich weiß nicht so recht, ob ich wirklich in einem nach dem Vorbild des britischen Rock’n’Roll reformierten Europa leben will.

Vor allem aber machte mir Geldofs vor Chauvinismus triefender Brief wieder einmal bewusst, wie tief der – wenngleich wohlmeinende – kolonialistische Überlegenheitskomplex selbst in weltoffenen Remainers sitzt. Das erscheint mir wiederum als eine nicht unwichtige Ergänzung zu meinem Blog von letzter Woche über die Erniedrigungs-Obsession der Leavers.

Erst gestern Montag hörte ich im BBC-Radio den ersten Teil einer Serie des erzkonservativen Historikers Andrew Roberts zu seiner neuesten Churchill-Biographie und staunte daürber, wie der Autor darin ständig von Schicksal und Vorsehung, also „destiny“ und „providence“ sprach: Der Berufung Churchills durch „den Allmächtigen“, wortreich belegt durch die detaillierte Schilderung der vielen Momente, als er knapp dem Tod entronnen war.
Zum Beispiel, als ein 23-jähriger Churchill 1898 in der Schlacht von Omdurman mit seiner Mauser erfolgreich vier „Derwische“ erschoss, damit jene nicht mit ihren Krummschwertern die Sehnen an den Beinen seines Pferdes durchhacken konnten.
Laut Roberts alles haarige Erfahrungen und glückliche Fügungen auf dem Weg unseres Helden zu seiner historischen Bestimmung, London und England vor dem Feind zu retten, die er schon 1891 einem Mitschüler prophezeit haben soll.

Es verstört schon ein wenig, im Jahr 2018 einen (zumindest medial) respektierten Historiker ganz ohne Brechung oder Differenzierung solche quasi-religiösen Mythen spinnen zu hören.
Abgesehen von seiner Schlussfolgerung ist dieser glühende Verfechter des Brexit, der 2016 am Tag nach dem Referendum dessen Ausgang als „eindrucksvoller als die französische Revolution“ bezeichnete, in seiner Argumentation aber gar nicht so weit vom Remainer Geldof entfernt.

Patriotische Emotionen

Kann gut sein, dass Geldof mit dem Ton seines Briefs bloß die Brexit-Sympathisant_innen durch einen Appell an ihre patriotischen Emotionen erreichen wollte. Ich glaub’s ja nicht. Ich glaube, der peinliche Größenwahn ist echt, er hat sich seit Jahrzehnten wie der Biscuit am Boden einer Schüssel Trifle mit zuckrigem Sherry vollgesoffen, und der Brexit ist nun der Löffel, der ihn unter all dem Schlagobers, Vanillepudding und Früchten zum Vorschein bringt.

Es ist übrigens erwiesen, dass dieser likör-durchtränkte Biscuit nur Briten schmeckt. Sie werden ihn selbst auslöffeln müssen, so oder so.

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