FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Tony Chakar & Nadmi Mishlawi, Hum, 2018

Liz Eve

Abschied von den Faschismus-Miniaturen im Brunnen

Ekaterina Degot mag keine Statements. Die neue Intendantin des steirischen herbst setzt auf Auftragswerke aus dem Bereich der bildenden Kunst. Der herbst 2018 verlief sich irgendwie.

Von Maria Motter

„Ich glaube nach wie vor an die Utopie einer neuen Musik in Expressivität und Wohlklang. Und ich glaube nach wie vor an die Utopie einer neuen Gesellschaft in Humanität und Liebe“, schloss der Komponist Georg Friedrich Haas seinen großen, mehr als beachtenswerten „Monolog für Graz“ beim musikprotokoll, dem Festival im Festival steirischer herbst. Am letzten Tag des Festivals für zeitgenössische Kunst lohnt es sich, zurück zu schauen und sich noch einmal umzuschauen in Graz im herbst.

Standing Wave beim steirischen herbst

Nicolas Galani

Klein sind sie, kleiner als die Gebäude in Minimundus: Im Brunnenbecken am Eisernen Tor in Graz ragen Modelle von Kinderheimen aus der Zeit der 1920er und 1930er Jahre aus dem stehenden Wasser. Der Springbrunnen ist abgeschaltet, der Sommer ist vorbei. Heute geht auch der steirische herbst 2018 zu Ende. Die Gebäudemodelle von „The Standing Wave“, die könnten durchaus in Graz bleiben, befindet der eine und andere Betrachter.

Ein Triumphbogen, ein L-förmiger Komplex und ein Bau, der aussieht wie ein Parkhaus. Rossella Biscotti und Kevin van Braak haben diese unter „Colonie Marine“ bekannten Badeorte recherchiert. Kinder aus finanziell armen Regionen wurden auf Sommerlager geschickt und dort zur körperlichen Ertüchtigung angehalten. Die zweite Epoche des Futurismus stellte sich in die Dienste Mussolinis, der Wortführer der Futuristen wurde dessen Kulturminister.

Im Eck am Platz in Graz hängt eine Plastiktasche mit Informationen. Der vom herbst ausgebene „Parcours“ zum großen Festivalthema „Volksfronten“ erschloss sich nicht. „Nicht nur örtlich über die ganze Stadt gespuckt, geben die Kunstprojekte ein zerfranstes Ganzes“, schrieb der Standard.

1988/2018: Auf den Platz Am Eisernen Tor hatte Hans Haacke 1988 einen Obelisken über die Mariensäule gestülpt: „Und ihr habt doch gesiegt“, hieß die Arbeit, die damit an das Vorgehen der Nationalsozialisten 1938 erinnerte.

Kunst, die vermittelt werden will

Die Infoblätter und vor allem die persönliche Kunstvermittlung waren in diesem 51. Jahr des steirischen herbst zentral. Die neue Intendantin des Festivals für zeitgenössische Kunst Ekaterina Degot setzt in erster Linie auf die bildende Kunst. Degot ermuntert, nicht allein die Arbeiten zu betrachten, sondern deren Umgebung und deren Kontext zu berücksichtigten. Sie interessiere sich nicht für Statements, sondern für komplexe künstlerische Arbeiten. „Volksfronten“, das erinnere an die antifaschistische Front der 1930er Jahre. „Heute haben wir viele Fronten und viele Kämpfe“, erklärte Degot. „Die Frage ist: Wie kann man sich als Künstler oder als Zuschauer, als Bürger dagegen wehren? Nicht nur in unseren Aktionen, sondern in unserem Denken. Wie kann man anders denken? Wie kann man anders Kunst schaffen?“.

Container

Clara Wildberger

Selbsterklärend war Yoshinora Niwas schwarzer Container am Hauptplatz, in dem man Dinge aus der Zeit des Nationalsozialismus entsorgen und damit der „garantierten Zerstörung“ zuführen konnte. „But the people of Graz, publicly at least, seemed pretty relaxed, to the point of indifference, about the presence of an artwork titled ‚Withdrawing Adolf Hitler from a Private Space‘“, beobachtete ein Kritiker der New York Times in einem Artikel mit der sehr bösen Überschrift „In Austria’s Art Scene, the Ideas Are Big (but the Turnout Isn’t)“. Ein Projekt, in das geradezu aufdringlich eine vermeintliche Provokation eingeschrieben war, wurde von der Bevölkerung hingenommen und laut den KunstvermittlerInnen, die dort Auskunft gaben, auch genutzt. Der „Nazi-Container“ (vulgo!) wurde vom herbst mit einer Video-Serie begleitet.

Auf dem Dach der Arbeiterkammer prangte der kroatische Schriftzug „Smrt fašizmu. Sloboda narodu“. Wie viele PassantInnen, die dort in den Himmel geschaut haben, wohl die deutsche Übersetzung „Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk“ kennen? Am Andreas-Hofer-Platz, wo Busse aus umliegenden Gemeinden ankommen und abfahren, stand ein kleiner Laster mit der Installation „Schulausflug“ von Michael Zinganel und Michael Hieslmair, die mit einem Hörstück versehen war, das jede Wartezeit sinnvoll füllte.

Schriftzug beim steirischen herbst

Mathias Voelzke

Das war’s aber auch schon mit der Kunst des herbst im öffentlichen Raum. Ihr ginge es um die Passantinnen und Passanten, hatte Ekaterina Degot bei der Eröffnung am Europaplatz besonders betont. Für die Ausstellungen, Installationen und Performances gab es erstmals einen Festivalpass für alles.

Doch die Tragweite etlicher Arbeiten erschloss sich erst bei einer Tour. Acht Stunden dauerte die längste geführte Tour durch die gesamten „Volksfronten“, durch das Programm des steirischen herbst. Die kürzere Tour belief sich auf drei Stunden und machte Sinn.

So ergaben die Fundstücken und Gesetzeskopien in den Vitrinen eines Projekts der Künstlerin Milica Tomić erst Zusammenhänge durch die Kunstvermittler: Im südsteirischen Aflenz an der Sulm gruben Archäologen auf einem Stück Land, auf dem demnächst Wohnhäuser gebaut werden sollen. Zwischen 1943 und 1945 hatten die Nationalsozialisten dort Zwangsarbeiterinnen und Häftlinge aus Mauthausen untergebracht. Milica Tomić will ein Mahnmal errichten, das sich von der Gestalt bekannter Gedenksteine unterscheidet. Zugleich erzählt sie, wie Großbauern am Land die Felder übernahmen. Im Forum Stadtpark ist der Boden hinter den Vitrinen mit Erde aus Aflenz bedeckt. Die kleine Schau hat der steirische herbst ins Forum gesetzt.

Erde aus Aflenz beim steirischen herbst

Milica Tomic / Mathias Voelzke

Weniger Kooperationen

Die inhaltlichen und finanziellen Kooperationen mit anderen Kunstinstitutionen der Stadt sind seitens des herbst zurückgefahren. Erfreulicherweise haben wichtige, durch das Jahr hindurch Programm machende Orte zeitgenössischer Kunst wie beispielsweise das Künstlerhaus, die Halle für Kunst und Medien, dennoch zeitgleich Ausstellungen eröffnet. Die umfangreichste Ausstellung dieser Wochen ist „Congo Stars“ im Kunsthaus und die ist im „Begleitprogramm“ des steirischen herbst gelistet: Was einer Empfehlung gleichkommt.

Nach elf Tagen war die Luft raus

Ekaterina Degot will Auftragswerke präsentieren, also eigens für den steirischen herbst gemachte Kunst zeigen. Der „neue herbst“, wie sie ihn nennt, will also eine Kunst-Schau sein oder werden. Eines der Auftragswerke war die große Installation „Schnee von gestern“ von Irina Korina, die in der Helmut-List-Halle aus aufblasbaren Skulpturen erwuchs. Wehmutstropfen: Durch „Schnee von gestern“ konnte man gerade mal elf Tage flanieren. Dann war die Luft raus aus den Objekten und Abbau. Der steirische herbst aber läuft über drei Wochen.

Schnee von Gestern  beim steirischen herbst

Liz Eve

Das Festival bemühte sich zu betonen, dass das Programm einen Fokus auf das Lokale richte. Dabei ist der Großteil des Programms exakt so in Prag oder in Melbourne vorstellbar. Bei den beteiligten und in der Steiermark ansässigen Künstlern haben Ekaterina Degot und ihr Team auf bekannte Persönlichkeiten gesetzt. Als BesucherIn vergangener Festival-Ausgaben konnte man für sich schöne Kontinuitäten sehen und Vergleiche ziehen. Entdeckungen konnte man allerdings keine machen.

Ärgerlich wird es, wenn ein Festival für zeitgenössische Kunst eine Performance aus dem Jahr 2015 zeigt, in der auch die Schwierigkeiten rund um die einstige Premiere erwähnt werden, doch die Ereignisse seitdem mit keinem Wort erwähnt werden. Abgesehen davon, dass der Text zu Oliver Zahns „Situation mit einem ausgestrecktem Arm“ wie eine schnelle Wikipedia-Suche daherkommt: wie kann man wenige Tage nach den Ausschreitungen von Neonazis in der deutschen Stadt Chemnitz eine Performance zum „Hitler-Gruß“ präsentieren und die Gegenwart ausklammern. Stattdessen waren minutenlang Jonathan Meeses Auftritte Thema. Gähn. Eine Kontextualisierung der Gegenwart wäre einfach gewesen. Ein Insert hätte es getan. Wenn das Zeitgeschehen ausgeblendet wird, hebt sich jeglicher Anspruch auf. Dann wird es beliebig, um nicht zu sagen feig. Dann wirkt der Bezug auf Politisches pseudo.

Keine Landpartie

Der steirische herbst ist diesmal nicht aufs Land gegangen. In anderen steirischen Gemeinden abseits von Graz hat es keinen Programmpunkt gegeben. Das ist sehr schade. Nicht nur, weil die Veranstaltungen stets Anlass für Ausflüge boten, sondern weil sich das Publikum am Land als ein aufgeschlossenes und wunderbar kritisches erwiesen hatte.

Roee Rosen with Hani Furstenberg and Igor Krutogolov's Toy Orchestra  beim steirischen herbst

Liz Eve

Statt einem Festivalzentrum, für das in den vergangenen Jahren stets ein junges Architektenteam verantwortlich zeichnete, gab es das zur „herbst bar“ erklärte Café der Postgarage. Dort hat man sich gar nicht erst die Mühe gemacht, den Raum zu dekorieren. Einzig schwarze Buchstaben - „Bar“ - klebten an der Glasfassade. Dafür waren die Buchstaben zur Abwechslung nicht durchgestrichen wie sonst viele Ankündigungen des herbst.
Konzerte gab es – abgesehen von drei Stücken von Igor Krutogolovs Spielzeug-Orchester und dem musikprotokoll – nur eins im „Volksfronten“-Programm. In der herbst bar liefen Playlists der KünstlerInnen. Nur eine Künstlerin war etwas wagemutig und hatte sich gewünscht, dass ein Song Michael Jacksons für zwei Stunden auf Repeat laufen sollte. Lieblos war ein Eindruck, dem man sich in diesem „neuen“ herbst mehrmals nicht erwehren konnte.

Ein „Monolog für Graz“!

Magische Momente, in denen Kunst wirkt und sich danach noch mehrmals in die Gedanken drängt, blitzten beim musikprotokoll auf. Den Dom im Berg hat man nie so schön und auch ein bisschen unheimlich erlebt wie bei Kurt Hentschlägers immersiver Klang-und-Lichtarbeit „SOL“. Und Georg Friedrich Haas hat in einer sehr persönlichen Rede und seinem „Monolog für Graz“ mit dem Talea Ensemble das Wort „Haltung“ dekliniert.

Aktuell: