FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Soap&Skin 2018

Poly Maria

artist of the week

Die Möglichkeit einer wundervollen Welt

Die eigenen Dämonen zu Freunden machen: Auf ihrem dritten Album „From gas to solid / You are my friend“ stellt Soap&Skin im Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz große Fragen nach Schöpfung, Gott, Sinn und Liebe. Unsere Artist of the week.

Von Katharina Seidler

Der Vorgang, wenn sich eiskalter Wasserdampf in Form von Raureif auf eine Wiese legt oder als Eisblume an ein Fenster schmiegt, heißt Resublimieren, der direkte Übergang von gasförmig zu fest. Aus einer zuvor unsichtbaren Sache wird etwas Greifbares, Wunderschönes sogar; es mag nicht für immer sein, aber es stellt eine flüchtige Verbindung her zwischen der konkreten und der unsichtbaren Welt.

Diesem Zauber, wenn die eigenen Gespenster ins Bewusstsein treten und einen Moment lang sogar zu Freunden werden, hat die steirische Musikerin Anja Plaschg alias Soap&Skin nun ihr drittes Album gewidmet. Schon die erste Single-Auskoppelung aus „From gas to solid / You are my friend“, das monumentale „Heal“, macht die Geister der Vergangenheit, Traumata und Träume, passed out layers of the past, zu Narben, die das eigene Leben formen. Do we heal? Diese Frage möchte Plaschg nicht eindeutig beantworten, und doch setzt sie ein starkes Signal für die Hoffnung darauf, wenn sie ihre Tochter Frida den zentralen Satz der Platte sprechen lässt, vier Worte, die den verlorenen Ur-Zustand des Menschen ausdrücken:
I have no fear.

Cover "From gas to solid / You are my friend" von Soap&Skin

Play It Again Sam

„From gas to solid / You are my friend“ von Soap&Skin erscheint am 26.10.2018 bei PIAS

Der Weg zurück zu dieser Freiheit ohne Angst ist lang. Er führt vorbei an Krieg und Hunger, an der Frage nach Gott und der eigenen Rolle in dieser dunklen Gegenwart. What is in creation? If a god had left us to stay, lautet der allererste Satz des Albums, gesungen von Anja Plaschg in dem Song „This Day“ über eine simple, melancholische Klaviermelodie, zögerliche Streicher und ein Horn-Echo. Sechs Jahre nach ihrem markerschütternden Werk „Narrow“ erschafft Soap&Skin ihre Kunst nun nicht mehr ausschließlich aus sich selbst, sondern stellt sie in Kontext mit der sie umgebenden Welt.

Nicht nur die Albumeröffnung ist mit Zeilen wie What about starvation? We’re heading for the guns das bisher politischste Statement von Plaschg, auch der Song „Italy“, eine offene Verbeugung vor den New Yorker Schrammel-Elektronik-Punks Suicide, besingt Italien nicht rein als romantisch-verklärten Sehnsuchtsort. Vor dem Hintergrund der Boote auf dem Mittelmeer bekommen Sätze wie awake me, hopefully in Italy eine ernstere Bedeutung, vor allem wenn an der Küste die Rettung nur allzu oft mitnichten wartet, wie man tagtäglich aus den Nachrichten erfahren muss. Für Soap&Skin ist diese Suche nach Heimat mit einem starken Bild von Weiblichkeit verbunden. Dieser Begriff wurde für sie nicht zuletzt durch ihr eigenes Muttersein seit dem letzten Album neu besetzt: hear me, feed me, nurse me, motherly.

Soap&Skin 2018

Poly Maria

Musikalisch dominiert auf „From gas to solid / you are my friend“ der Soap&Skin-typische melancholische Minimalismus aus Stimme, Klavier und Streichern, unterfüttert und überspannt natürlich durch komplexe Beat-Arrangements und synthetische Klangtupfer. Die fast schon brutalen elektronischen Explosionen, die frühere Song-Großtaten wie „Big Hand Nails Down“ auszeichneten, weichen auf Album Nummer Drei einer behutsameren Gangart. Wo Plaschgs Stimme einst unvermittelt in Klageschreie ausbrach, sind es nun eher sehnsüchtige oder befreiende Rufe, Jodler gar, die nach Aufbruch klingen.

Vermehrt kommen in den zwölf neuen Songs auch Bläser zum Einsatz, eingespielt sowohl von 5K HD-Mitbegründer Martin Eberle als auch von Anja Plaschg selbst, die eine teils windschiefe, herrlich kaputte Ästhetik als Anfängerin am Flügelhorn „besser“ nach ihren Vorstellungen umsetzen konnte als der renommierte Musiker. In dem betörend reduzierten „Foot Chamber“ etwa trötet und pustet es wie aus einer anderen Sphäre in die Gegenwart herein, dazu schnauft ein hinkender Beat, ein einsames Xylophon leuchtet den Weg. Das Spiel zwischen Distanz und Nähe, gasförmigen und festen Stimmen und Klängen hat Soap&Skin auf der ganzen Albumlänge präzise ausproduziert.

Soap&Skin Still aus "Italy"

Ioan Gavriel

Der Käfer riecht die Herrlichste von weit, heißt es in Ingeborg Bachmanns ewigem Liebesgedicht „Erklär mir, Liebe“, das Anja Plaschg 2016 im Zuge ihrer Arbeit an Ruth Beckermanns Film „Die Geträumten“ ausgiebig reflektierte. Den Song „Creep“ komponierte die Künstlerin als direkte, englische Entsprechung einzelner Auszüge daraus:

The bug smells the greatest from afar
could I only have it’s sense
I would feel that wings are shining under her shell

Mit ebendiesem „Creep“, „Athom“ und „Safe with me“ finden sich auf „From gas to solid“ ein paar von Plaschgs schönsten Liebesliedern, die das Thema in seiner komplexen Mischung aus Sehnsucht, Überwältigung, schüchterner Angst und Zerbrechlichkeit ausloten. Am Ende des Albums kehrt Soap&Skin zum Anfangsthema, der Schöpfung zurück. Sie, deren Name lange Zeit als Synonym für Weltschmerz und Dunkelheit galt, covert Louis Armstrongs’ „What a wonderful world“, auf die traurig-schönste, entwaffnend direkteste Art und Weise. Es ist keine beherzte Ansage, sondern eher ein vorsichtiger Hoffnungsschimmer, eine Wolke aus gefrorenem Atem in der Winterluft im Park.

Aktuell: