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Hilfe bei der geistigen Selbstverteidigung

Ein 70 Jahre altes Buch über „Sabotage und psychologische Kriegsführung“ ist soeben erschienen – und beschreibt einen wichtigen Teil unser aktuellen Realität.

Von Boris Jordan

„Sabotage und psychologische Kriegsführung - Ein Handbuch“ wurde herausgegeben von den beiden Wissenschaftern Florian Wenninger und Jürgen Pfeffer und ist auf den ersten Blick genau das: Eine Anleitung für Gegner des Naziregimes, in der beschrieben wird, wie in den von Deutschland besetzten europäischen Ländern Verwirrung gestiftet, Soldaten demotiviert und kriegswichtige Abläufe gestört werden können - und zwar nicht durch große Organisationen wie dem französischen oder italienischen Widerstand, sondern direkt von Einzelpersonen.

Das Buch ist in erster Linie ein historisches Dokument, das Einblick in den damaligen Geheimdienst der USA gibt. Der Herausgeber Florian Wenninger vom Wiener Institut für Zeitgeschichte betont aber auch, dass man in dem Buch erstaunliche Parallelen zur aktuellen Welt von Social Media und Fake News, von Hasspostings, Online-Foren und Truther-Seiten finden kann.

Ich habe Florian Wenninger getroffen und mir alles erklären lassen.

Buchcover

Czernin Verlag

„Sabotage und pychologische Kriegsführung - Ein Handbuch“, herausgegeben von Florian Wenninger und Jürgen Pfeffer, ist im Czernin Verlag erschienen.

Der Grund für unser Interview ist das Buch „Sabotage und psychologische Kriegsführung“, das kürzlich im Czernin Verlag erschienen ist und das Sie zusammen mit dem Münchner Politikwissenschaftler Jürgen Pfeffer herausgegeben haben. Das Buch ist nicht von ihnen verfasst, es handelt sich um ein Dokument aus den Zeiten des Zweiten Weltkriegs.

Florian Wenninger: Das „Handbuch für Sabotage und psychologische Kriegsführung“ besteht genau genommen aus zwei Dokumenten. Diese Dokumente sind von der Vorgängerorganisation der CIA, dem US- amerikanischen Kriegsgeheimdienst OSS erstellt worden, dem Office for Strategic Services. Der OSS hat sich während des Zweiten Weltkriegs die Frage gestellt, auf welche Weise man die deutsche Besatzungsherrschaft in den besetzten europäischen Staaten möglichst effizient untergraben kann, und das vor einem bestimmten Hintergrund, nämlich vor dem, dass die Deutschen bis Anfang 1944 sehr effizient gegen Widerstandsorganisationen dort vorgegangen waren. Deshalb sind die Amerikaner auf die Idee verfallen, nicht mit Hilfen von großen Widerstandsorganisationen gegen die deutsche Besatzungsherrschaft Widerstand zu leisten, sondern sich zu fragen: Was können wir den einfachen Bürgerinnen und Bürgern an Know-How in die Hand geben, um möglichst effizient die deutsche Besatzung zu stören?

Geht es um die so genannte „Wehrkraftzersetzung“ und darum, dass das „Alltagsleben“ hinter den Linien schlechter funktioniert?

Florian Wenninger: Es geht um ganz unterschiedliche Zielsetzungen. Es geht einerseits darum, die Moral der Truppe möglichst zu schädigen. Es geht aber zum Beispiel auch darum, den Deutschen die Existenz großer Widerstandsorganisationen vorzutäuschen und sie damit dazu zu bringen, in einem bestimmten Gebiet Kräfte zu bündeln, die dann woanders fehlen. Es geht auch um die Fragen: Wie gelingt es, Produktionsabläufe in rüstungsrelevanten Betrieben zu stören? Wie kann ich Kommunikationsverbindungen unterbrechen? Wie gelingt es, das gegnerische Kommando zu Fehlschlüssen zu verleiten?

Das heißt, es hat sich nicht immer an die Bevölkerung gerichtet, sondern auch an die Wehrmachtsführung?

Florian Wenninger: Über den Umweg der Bevölkerung. Natürlich war das Ziel, die deutsche Kriegsanstrengung, den Militärapparat in seiner Gesamtheit zu treffen, und den treffe ich halt am effizientesten, wenn ich top-down Verwirrung stifte. Aber es gibt auch die Möglichkeit, bottom-up Verwirrung zu stiften. Die Annahme war: Wenn ich unten genug Konfusion erzeuge, werden sie oben auch nervös. Ganz generell hat psychologische Kriegsführung immer ein Legitimationsproblem innerhalb der eigenen Reihen. Es ist schwer nachprüfbar, was es gebracht hat. Es hat unterschiedliche Versuche des OSS gegeben, nachher im eigenen Militär zu kommunizieren, warum die psychologische Kriegsführung doch Sinn gehabt hat. Das wurde dann festgemacht an Produktionsausfällen, an Zahlen von Überläufern und so weiter. Ganz klar ist es so, dass psychologische Kriegsführung immer kumulativ funktioniert. Eine einzelne Maßnahme nach ihrer Effizienz zu bewerten, ist immer ganz schwierig.

Es gibt ein Zitat von Winston Churchill, das Ziel der psychologischen Kriegsführung sei es, „Revolten im Feindesland anzuzetteln“. Nun war aber von dem durchaus vorhandenen Widerstand gegen die Nationalsozialisten nicht mehr viel übrig, der kommunistische und katholische Widerstand war ziemlich gebrochen, in den besetzten Gebieten gab es erst aufkeimende Widerstandsbewegungen. Haben sich die Deutschen wirklich vor den eigenen Leuten gefürchtet?

Florian Wenninger: Die Deutschen waren sich sehr bewusst, dass es da Potentiale gibt, anders ist auch das Ausmaß der Repression, die Schärfe, mit der sie gegen alle entsprechenden Regungen vorgegangen sind, nicht erklärbar. Zu Winston Churchill und der Frage, ob das Anzetteln von Revolutionen das Hauptziel ist: Ganz sicher wurde in der Anfangsphase des Zweiten Weltkriegs das Potential der psychologischen Kriegsführung maßlos überschätzt. Sie hatten die Schlussphase des Ersten Weltkriegs vor Augen, sie hatten die Russische Revolution vor Augen, die möglich geworden war, weil die Deutschen revolutionäres Fachpersonal eingeschleust hatten, allen voran Lenin. Sie hatten die Bildung von Soldatenräten, die Auflösung der deutschen Fronttruppen vor Augen und haben sich gedacht „Super, das machen wir wieder“. Was sie nicht gesehen haben, war, dass es zu diesen Auflösungserscheinungen und diesen revolutionären Umstürzen in der Endphase des Ersten Weltkriegs kommt, weil die militärische Situation hoffnungslos ist. Das verweist darauf, dass psychologische Kriegsführung immer ein Offensivinstrument ist, in der Defensive ist es schwer, Leuten das Aufgeben schmackhaft zu machen, warum auch, wenn sie gewinnen.

Sie haben erwähnt, dass es bei der Gründung des OSS auch Skepsis seitens der US-Armee gab, weil man plötzlich infiltriert war von den ganzen aus Deutschland Geflüchteten, die man für die psychologische Kriegsführung benötigte - viele davon links oder liberal und nicht willens, Befehlsketten einzuhalten.

Florian Wenninger: Der OSS ist eine spannende Organisation. Er hat eigentlich nur eine ganz kleine Vorgängerstruktur. Innerhalb des US-Militärs unterhalten die einzelnen Waffengattungen eigene Nachrichtendienste, der OSS war der erste Versuch, zentral Geheimdienstkompetenz zu bündeln - gerade im Bereich der psychologischen Kriegsführung, deren Bedeutung von Teilen der Administration und des Kongresses überschätzt oder zumindest sehr hoch angesetzt worden ist. Man hat versucht Psychologen, Soziologen, Leute, die den Gegner von innen kennen, zu finden, Marketingexperten, die wissen, wie man Kampagnen macht – und wo findet man die alle? Weniger beim Militär als in den Universitäten, in den Großraumbüros von - meistens liberalen - Zeitungen. Damit hat man einen Personalpool von Leuten geschaffen, der den eingefleischten Militärs reichlich suspekt war. Es gibt lustige Polemiken gegen die „langhaarigen Professoren“, die man „wirklich nicht in Frontnähe“ haben will, wo sich irgendwelche Bereichskommandanten bitter beschweren, dass die nicht spuren, wie es von Militärpersonal erwartet werden kann – und trotzdem Offiziersränge bekleiden.

Florian Wenninger

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Desinformation besteht auch darin, dass man Strukturen nicht sichtbar macht, indem man sich nur auf einzelne Personen und Phänomene konzentriert und sie nicht in ihrer Gesamtheit betrachtet

Nun hat dieses Buch ja eine erstaunliche Aktualität, es gibt Gründe, warum man dieses Buch heute noch lesen sollte, vor allem der Abschnitt über die psychologische Kriegsführung liest sich zum Teil wie eine Anleitung, wie man sich in Social Media bewegt. War das ein Motiv dafür, dieses Buch überhaupt neu aufzulegen?

Florian Wenninger: Es war ein Hauptmotiv: dass man ein historisches Dokument zur Hand nimmt und sich denkt „da ist ja ganz lustig zu lesen“ - und dann immer stärker draufkommt, wie viel uns das eigentlich über aktuelle Auseinandersetzungen und Strategien sagen kann. Zur Aktualität muss man wissen, dass in die Ausarbeitung dieser Handbücher Wissen von den führenden amerikanischen Soziologen, Politikwissenschaftern, zum Teil auch Juristen eingeflossen ist. Zu einem Gutteil stammten diese aus Deutschland und waren vor den Nazis geflüchtet, Herbert Marcuse etwa oder Franz Neumann, Leute, denen wir bis heute gültige Analysen nicht nur des Faschismus verdanken, sondern des modernen Staates an sich – und damit ist auch schon die historische Linie in die Gegenwart gezogen. Die Methoden, die dort vorgestellt werden, kann man nicht nur anwenden, und sie werden auch nicht nur angewandt, um einen gegnerischen Staat auszuhebeln, sondern um moderne Staaten, moderne Bürokratien, überhaupt arbeitsteilige Prozesse zu stören. Die begegnen uns zu einem Gutteil in Bürointrigen genauso wie in Hasskampagnen in Social Media. Das Prinzip ist dasselbe.

Die Versuche des US Geheimdienstes, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, waren relativ gezielt. Ein Unterschied zu heute besteht einerseits darin, dass heute nicht militärische Interessen im Vordergrund stehen, sondern wirtschaftliche. Die Verbreitung von negativen Nachrichten auf Facebook erhöht die Klickzahl, das erhöht wiederum die Werbeeinnahmen. Das ist auch der Grund, warum Hassbotschaften von Facebook nicht abgedreht werden, Hassbotschaften sind das Geschäftsprinzip dieses Unternehmens.

Statt gezielter Botschaften – gerade wenn wir uns rechte Hetze im Netz anschauen, Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Ähnliches - geht es hier um das Füttern einer negativen Grundhaltung und um ein gezieltes Ablenken von brennenden sozialen Themen. Es geht viel stärker darum, Verwirrung zu erzeugen, als darum, eine bestimmte Botschaft abzusetzen. Eine Sache, die die psychologische Kriegsführung in den Vierzigern genauso beschäftigt wie heute, ist: Wie bringe ich es zusammen, traditionelle Informationskanäle, aus denen die Leute bisher ihre Informationen bezogen haben, zu diskreditieren, systematisch davon zu reden, dass „die lügen“, dass die falsche Informationen verbreiten, dass die tendenziös informieren. Hier sehe ich eine starke Parallele in die Gegenwart. Das Absetzen von Hassbotschaften, von irrationalen Nachrichten funktioniert umso effizienter, je weniger rationale, kritische Kontrolle oder Befragung es durch andere Medien gibt. Deshalb wird pauschal behauptet, alle, die nicht meiner Meinung sind, lügen.

Das Trennen von „Wir“ und „Die“, die Verwirrungsstrategie, nicht nur, was konkrete Erkenntnisse angeht, sondern vor allem, was den Modus der Informationsbeschaffung betrifft, das halte ich für die wichtigste Parallele.

Noch eine Parallele betrifft eigentlich ein Detail: Eine Empfehlung, beispielsweise an Untergrundradios, war, sich nicht zu lange mit umfassender Information aufzuhalten, sondern die Informationen möglichst zu spicken mit persönlichen Details über Funktionäre der Besatzungsbehörden, Informationen zu verbinden mit sexuellen Anspielungen, sie also „aufzujuicen“, zu skandalisieren, und das immer an der Person. Eine Parallele in die Gegenwart: Desinformation besteht auch darin, dass man Strukturen nicht sichtbar macht, indem man sich nur auf einzelne Personen und Phänomene konzentriert und sie nicht in ihrer Gesamtheit betrachtet – und damit den wesentlichsten Auftrag, den Medien in einem demokratischen System wahrnehmen sollten, unterläuft.

Der mächtigste Mann der Welt bedient sich auf Twitter auch sehr stark solcher Mechanismen, er ist sozusagen der prominenteste Saboteur ...

Florian Wenninger: Da brauchen Sie nicht in die USA gehen, schauen sie sich an, was sich auf unzensuriert.at abspielt, was sich im Forum der Kronen Zeitung abspielt. Was anzunehmen ist: Es wird versucht, von außen auf diese Foren Einfluss zu nehmen, die Medien wissen das auch – und unterbinden es nicht. Da geschieht aktive Desinformation und die Betreiber machen sich der passiven Beihilfe schuldig.

Wie wir bemerkt haben, haben Sie dieses Buch nicht herausgegeben, um einen Anleitung zur psychologischen Kriegsführung zu geben, sondern eher im Gegenteil, um sich dagegen zu rüsten und die Mechanismen zu erklären. Wie kann man das tun, wie kann man als Mitglied auf Facebook, als KonsumentIn von Online-Foren erkennen, was „Fake News“ sind, was „Absicht“ ist, was wessen Interessen dient? Wenn man Ihr Buch liest, wird man informierter sein, aber sich womöglich noch hilfloser fühlen.

Das Interview im FM4 Player

Florian Wenninger: Die Idee von psychologischer Kriegsführung ist gerade, dass die, gegen die sie sich richtet, nicht verstehen, womit sie es zu tun haben. Insofern geht es vor allem um eine Bewusstseinsarbeit. Das Hauptproblem ist nicht, dass Menschen „Fake News“ nicht erkennen könnten, das Problem ist, dass ihnen nicht bewusst ist, dass es die Möglichkeit gibt, dass das falsch ist, womit sie konfrontiert werden. Wir verstehen die Herausgabe dieses Buches als eine Art von Hilfe bei der geistigen Selbstverteidigung. Es geht uns auch darum, nachvollziehbar zu machen, dass die Strategien, denen man ausgesetzt ist, nicht gerade die Komplexität einer Atombombe haben, sondern im Prinzip sehr simpel sind.

Wenn mir klar ist, wie simpel das ist, dann verliere ich auch ein bisschen die Scheu davor, mich generell auseinander zu setzen. Ich hab das Buch meiner Mutter geschenkt. Sie hat nach dem Lesen gesagt „da ist ja alles so entsetzlich, da kann man ja überhaupt nichts mehr lesen“ – genau das nicht! Man muss halt beim Lesen das Hirn einschalten, dann ist es erstaunlich leicht zu durchblicken. Ein Beispiel: der ganze Zinnober, der rund um die Frage von ein paar Hundert Geflüchteten veranstaltet wird, die angeblich in einer 500-Millionen-Union nicht unterbringbar sind. Dabei könnte man doch fragen, ob es nicht ein gewichtigeres Problem ist, das viel mehr Menschen betrifft, das der Altersarmut, das dazu führt, dass allein in Österreich 300.000 Menschen in den nächsten Monaten in der Kälte sitzen werden, weil sie sich das Heizen nicht leisten können. Aber: Darüber soll nicht gesprochen werden, wir beschäftigen uns viel lieber mit fünf Schlauchbooten im Mittelmeer.

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