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Wider den Lifestyle-Feminismus

Der Titel provoziert: Was soll denn das heißen, was ist hier los, müssen wir denn alles immer nochmal und nochmal erklären?! Keine Sorge: wir müssen nicht. Kleiner Spoiler: Jessa Crispin ist natürlich Feministin. Wenn sie etwas am Feminismus auszusetzen hat, dann, dass er ihr nicht radikal genug ist.

Von Jenny Blochberger

Achso, puh. Dann ist’s ja gut. Klar, wer dasitzt, freundlich lächelt und wartet, dass ihr die Hälfte der Macht einfach so überreicht wird (Männer so: „Oh, Tschuldigung, hatten wir gar nicht mitgekriegt, dass wir uns mehr genommen hatten als uns zusteht, hier bitte der Rest von eurem Stück vom Kuchen, haha, nichts für ungut!“), kann lange warten. Revolution ist per Definition radikal. Aber was genau meint jetzt Jessa Crispin mit Revolution, was ist genau radikal an ihren Ansichten und warum will sie die Hälfte der Macht eigentlich überhaupt gar nicht?

Buchcover

Suhrkamp

„Warum ich keine Feministin bin“ von Jessa Crispin ist in der Übersetzung von Conny Lösch im Suhrkamp Verlag erschienen.

Erstens das: Der Kuchen ist keiner. Das System, von dem wir die Hälfte kriegen sollen, ist scheiße.
Besser: weg damit und ein neues bauen. Die Hälfte von der Macht im Patriarchat macht das Patriarchat nicht ungeschehen. Das Patriarchat ist einfach kein wünschenswertes Gesellschaftssystem, weil fokussiert auf Erfolg auf Kosten Schwächerer, Kapitalismus, Unterdrückung. Auch wenn irgendwann mal 50% der Aufsichtsräte Frauen sind, ändert das nichts daran, dass 99% der Putzkräfte ebenfalls Frauen sind. Nicht dass Putzfrau-Sein was Anrüchiges ist. Aber es ist eben auch schlecht bezahlt und mit überschaubaren Aufstiegschancen.

(Der Feminismus) wurde verführt durch all die Annehmlichkeiten, die die patriarchale Welt zu bieten hat; und angesichts des enormen Arbeitsaufwands, der nötig wäre, um diese aufzubrechen, fühlt er sich überfordert. Also haben wir die feministischen Ziele den Gegebenheiten angepasst, um selbst bequemer zu leben.

Crispin kritisiert auch, dass als männlich angesehene Verhaltensweisen und Ziele generell als wünschenswert und gut angesehen werden - Durchsetzungsvermögen, Ehrgeiz, (messbarer) Erfolg in der Arbeitswelt, Machtpositionen – während als weiblich geltende Einflussbereiche vom System wenig wertgeschätzt oder benutzt werden, um Frauen von der Macht fernzuhalten: das Heim, (unbezahlte) Pflege- und Erziehungsarbeit, das Engagement für die Gemeinschaft. Die Feminismusbewegung arbeitet zwar hart daran, den Frauen Zugang zu männlich dominierten Sphären zu ermöglichen, es wird aber vernachlässigt, die Männer in die weiblich konnotierten Bereiche einzugliedern.

Was ist das Problem mit dem heutigen Feminismus?

Feminismus - so Crispin - wird heute gerne als schickes Label getragen – oft ganz buchstäblich auf T-Shirts und Leinentaschen. Das allein heißt noch nicht, dass der oder die TrägerIn es nicht ernst meint – aber es heißt eben auch nicht, dass er oder sie es ernst meint. „Ich mache die Dinge, wie ich es will und lasse mir von niemandem was dreinreden“ ist nicht per se ein feministischer Ansatz. Feminismus bedeutet, dass man Chancengleichheit für alle will, nicht nur für sich selbst.

Gerne wird auch alles, was man als Feministin tut, als feministischer Akt gedeutet. Aber Feminismus ist nicht Self-empowerment; Feminismus möchte gleiche Chancen für alle, in einem System, das ohne Unterdrückung funktioniert – und dafür braucht es Solidarität. Die Behauptung, jede Frau sei eine Feministin, wenn sie sich nur selbst als solche bezeichne, ist falsch und gefährlich. Sie suggeriert, die Arbeit sei schon getan, wenn man sich nur das richtige Label umhängt, am besten in Form eines schicken T-Shirts (z.B. von Dior, um nur 710 USD).

Jennifer Lawrence in Dior

Dior

Universale Feministinnen wollen einen Feminismus, der nicht verlangt, dass man anders denkt, sich anders kleidet oder benimmt als vorher. Man konzentriert sich auf Meinungen und persönliche Geschichten (mehr als auf Theorien oder gar Tatsachen) und macht jungen Feministinnen weis, sie müssten sich mit ihrer eigenen kollektiven und intellektuellen Geschichte nicht auseinandersetzen. Durch den Lifestyle-Fokus wird der moderne Feminismus zu einem von vielen Dingen, die man kaufen soll.

Feminismus = Solidarität

Was sind aber die Herausforderungen für den modernen Feminismus, nachdem die meisten der universellen Hindernisse auf dem Weg zur Gleichberechtigung (jedenfalls in großen Teilen der westlichen Welt) ausgeräumt wurden? Gesetzlich sind wir im Prinzip gleichgestellt. Trotzdem sind Frauen nach wie vor benachteiligt, aber nicht alle Frauen gleich. Für ärmere Frauen, Frauen mit niedrigem Bildungsgrad, alleinerziehende und nichtweiße Frauen gibt es immer noch große Hürden, die für weiße, gebildete, kinderlose oder nicht von ökonomischen Sorgen geplagte Frauen kaum mehr eine Rolle spielen. Genau deswegen kann Feminismus sich nicht im Erreichen der eigenen Ziele erschöpfen, sondern braucht Solidarität und den unentwegten Kampf um Gleichstellung – selbst wenn wir seine Erfüllung nicht mehr erleben werden:

Es ist auch deshalb so einfach zu behaupten, dass wir uns für die Inklusion aller einsetzen werden, sobald wir gleichberechtigt an der Macht beteiligt sind, weil wir dies selbst nicht mehr erleben werden. Und wenn wir die Macht, die wir bereits haben, nicht nur zum eigenen, sondern zum Wohle aller einsetzen, werden wir nichts davon haben. Wir werden nicht so leben, wie Männer gelebt haben.

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Das Internet als Gerichtssaal

Ein eigenes Kapitel widmet sich der Internet-Entrüstung. Es ist, meint Crispin, zwar nachvollziehbar, dass eine lange unterdrückte Gruppe, die endlich ein Instrument zum Zurückschlagen zur Verfügung hat, es auch benutzt. Es ist aber weder gerecht noch zielführend, wenn Menschen wegen kleinerer Verfehlungen tausende Nachrichten mit Beschimpfungen erhalten oder Druck auf ihren Arbeitgeber gemacht wird, sie etwa wegen eines dummen Tweets zu entlassen.

Schwerwiegende Verstöße gegen Verhaltensgrundsätze, gewaltsame oder unverhohlen durch Hass motivierte Handlungen, sollten bestraft werden. Wird jemand aber einer gewissen Erwartung von Menschlichkeit nicht gerecht, sollte diese Person nicht verdammt werden, man sollte ihr vielmehr widersprechen. Die Handlung sollte Anlass für ein Gespräch sein. Wenn wir die Einhaltung gewisser Verhaltensgrundsätze erwarten, sollten wir uns auch selbst an diese halten.

Crispins Buch enthält noch viele weitere kluge, interessante Beobachtungen zum Justizsystem, zu Ehe und Beziehungsformen und zu den mannigfaltigen Schäden, die das Patriarchat nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern anrichtet. Ihr Fazit: lassen wir den Kleinscheiß, der lenkt uns nur ab. Sehen wir den Feminismus als Lösung für alle – alle Männer und alle Frauen, nicht nur die, die Chancen auf einen Aufsichtsratsposten haben. Verschwenden wir keine Energie an einzelne Menschen, die unser persönliches Fortkommen behindern – greifen wir das System selbst an.

Reagiert nicht auf die Kleinteile. Greift die Maschinerie selbst an. (...) Wir müssen aufhören, so klein zu denken.

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