FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

FROG

FROG Vienna

Game City

FROG 2018: So war das alljährliche Treffen der Gamesforscher

Auf der heurigen Fachtagung im Rahmen der Game City ging es unter anderem um Sexismus in Videospielen, die Bewahrung der Games-Geschichte, Hypertext-Spiele, Broccoli mit Schokolade und vieles mehr.

Von Christoph Weiss

Jedes Jahr, wenn sich tausende Liebhaberinnen und Liebhaber von Videospielen auf der Game City im Wiener Rathaus versammeln, findet in einem ruhigeren Teil des Gebäudes auch eine wissenschaftliche Fachtagung statt. In den vergangenen drei Jahren wurde sie aus Budgetgründen ein wenig verkleinert und findet nur noch in einem einzigen Vortragssaal statt. Das hat der Veranstaltung aber nicht unbedingt geschadet. Immerhin entfällt nun die ständige Entscheidung, welchen von mehreren gleichzeitig stattfindenden Programmpunkten man besucht. Überwältigend ist das ganze ohnehin, mit mehr als 30 Vorträgen, die teilweise bis spät in die Nacht dauern. Wie immer stellen die hier beschriebenen Inhalte und Erlebnisse nur einen winzigen Bruchteil des Angebots der FROG dar.

x

Pexels/Suludan Diliyaer

Sexismus in Games

4,9 Millionen Menschen in Österreich spielen Videogames. Das beliebteste Gerät dafür ist mittlerweile das Smartphone. Durchschnittlich sind Videospieler und Videospielerinnen in Österreich 35 Jahre alt, und das Hobby ist längst keine Männderdomäne mehr: 53% sind männlich, 47% weiblich. Sie spielen pro Woche im Durchschnitt 10,3 Stunden. Das zeigt die ÖVUS-Studie Gaming in Austria aus dem Jahr 2017.

Die Politikwissenschaftlerin Ricarda Götz nahm diese Zahlen zum Anlass, um über das Spielen aus Frauenperspektive zu sprechen.

Unter den Entwicklerinnen und Entwicklern von Videospielen gebe es international derzeit einen Frauenanteil von nur rund 22 Prozent, sagt Götz. „Wobei diese Zahl vor allem auf China und Japan zurückgeht, denn in Europa und Nordamerika sind es noch viel weniger.“ Also doch noch eine Männerdomäne, so Götz, insbesondere, wenn man beachtet, dass sie in einem Kontextbündel entstehen, das als höchst maskulin angesehen werde: Mathematik, Programmieren, Technologie, Wissenschaft etc. „Und auch das Gameplay selbst wird als maskulin attribuiert: Logisches Denken, Reaktionsschnelle, Ehrgeiz, Gewaltbereitschaft – alles Dinge, die wir traditionell als Rollenstereotypen eher Männern als Frauen zuschreiben.“ Diese Logik habe dazu geführt, dass androzentristische, also vom männlichen Weltbild ausgehende, Perspektiven in den Kulturcode von Spielen übernommen werden.

Sexismus in Games äußere sich in der Rolle, dem Aussehen und den Fähigkeiten des Spielcharakters. „Frauen haben in Spielen auch heute öfter Nebenrollen als Hauptrollen: Damsel in distress, Prinzessinnen, die gerettet werden müssen. Ihre Rollen sind oft sehr klischeehaft und es gibt oft sexualisierte Gewalt gegen Frauen, z.B. in GTA V, wo Frauen vergewaltigt und geschlagen werden und nur als Sexarbeiterinnen oder biedere Feministinnen vorkommen.“ Positiv sei, dass Lara Croft „mittlerweile auch etwas anhaben darf“. „Interessant ist das, weil die Figur ja sowohl Wissenschaftlerin als auch Kriegerin ist“, sagt Götz. Um das in den frühen „Tomb Raider“-Spielen durchzusetzen – immerhin sei Lara Croft eine der erste Protagonistinnen in einem Spiel gewesen – habe man ihr anfangs eben sehr wenig Kleidung gegeben.

Save the games

Ein thematischer Schwerpunkt auf der diesjährigen FROG war die Bewahrung von Spielen und ihrer Geschichte. Einen der Programmpunkte zu diesem Thema gestaltete der junge Forscher Emir Bektić von der Alpen-Adria-Universtität Klagenfurt: „Are you sure you want to exit without saving? A game-preservation research project“. Bektić wies auf ein Paradoxon hin: „Wenn sie ins Koptische Museum in Kairo gehen, dann können sie dort jahrtausendealte Schriftrollen bewundern. Im National Science Museum in London gibt es die „Roundhay Garden Scene“, die als älteste existierende Filmaufnahme der Welt gilt - sie ist aus dem Jahr 1888. Doch wenn sie die Onlineversion von „Halo 2" aus dem Jahr 2004 auf der Xbox spielen wollen, ein Spiel das das Genre des Multiplayer-Shooters revolutioniert hat, dann werden sie traurig feststellen: Es gibt derzeit keinen Weg, das zu tun.“

Dieser Trend setze sich fort, sagt Emir Bektić. Während ich mit ihm spreche, stehe draußen vor der Tür Menschen in einer Warteschlange, um das Spiel „The Division 2“ erstmals kurz auszuprobieren. „Aber den ersten Teil von The Division“, sagt Bektić, „wird man vielleicht schon in zwei oder drei Jahren nicht mehr spielen können“. Die durchschnittliche Lebensdauer der Server von Onlinespielen betrage heute weniger als drei Jahre. Ändern werde sich dieser Trend vielleicht nur, wenn es die Videospieleindustrie eines Tages als lukrativ erachtet, ihre Geschichte zu bewahren. In der Indie-Szene und unter Piraten gebe es eine gesündere Einstellung zum Erhalt der eigenen Geschichte.

Ein Spiel in einer Stunde entwickeln

Für den Informatiker und Universitätsprofessor Wilfried Elmenreich (ebenfalls von der Alpen Adria Universität Klagenfurt) ist die Entwicklung von Indiegames derzeit vor allem spannend, wenn sie innerhalb eines sehr kurzen Zeitrahmens geschieht. Er besucht derzeit viele sogenannte One Hour Game Jams und hat auf der FROG über dieses Thema gesprochen.

Game Jams, also Veranstaltungen, während derer die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein Videospiel in einem vorgegebenen Zeitrahmen entwickeln müssen, dauern meistens drei Tage lang. Bei One Hour Game Jams ist der Zeitrahmen auf sechzig Minuten beschränkt. Die Motivation, selbst dabei mitzumachen zieht Elmenreich aus der Möglichkeit, durch die rasche Arbeit neue Programmierkenntnisse zu erlangen, im Kreieren neuer Ideen und Prototypen und darin, jegliche Kritik am finalen Produkt mit dem Satz „Ich habe es in nur einer Stunde gemacht“ abwehren zu können.

Bei One Hour Game Jams, so Elmenteich, würden die meisten Teilnehmer alleine arbeiten anstatt in Teams. Das Projektmanagment beschränke sich meistens auf das ansonsten eher verpönte Wasserfall-Modell, denn es fehle die Zeit, zurückzugehen, um zum Beispiel das Spielkonzept oder die Grafik zu ändern. Gerade darin liege aber der Reiz. Auf One Hour Game Jams würden regelmäßig 15 Spiele oder mehr entstehen, mittels Tools wie Unity, Scratch, GameMaker Studio, Bitsy oder Twine. Bewundern und spielen kann man die kleinen Games auf Websites der entsprechenden Veranstaltungen wie z.B. onehourgamejam.com.

Hypertext-Games selbstgemacht

Eines der ersten Videospiele-Genres, das schon seit den siebziger Jahren existiert, ist das Textadventure (manchmal auch Interactive Fiction genannt). Bei den frühen Vertretern des Genres (z.B. Adventure, Zork, The Hitchhikers Guide To The Galaxy) wird keine Grafik dargestellt, sondern nur Text, und man gibt schriftliche Befehle mit der Tastatur ein. Im Lauf der Jahre haben sich daraus zwei neue Genres entwickelt: das Point-and-Click-Adventure und das Hypertext-Game. Bei letzterem klickt man sich - im Gegensatz zum klassischen Textadventure - mittels Links durch die Geschichte, ähnlich wie beim Surfen im Web. Das Genre erlebt seit einigen Jahren einen kleinen Aufschwung, weil ein sehr gutes und kostenloses Tool zur Verfügung steht, mit dem Autorinnen und Autoren selbst Hypertext-Games gestalten können. Diese Software heißt Twine.

x

Pexels/Soumir Kumar

Die Plattform gibt es bereits seit dem Jahr 2009. Sie ist frei erhältlich, und um damit Hypertext-Spiele zu entwickeln, sind keine Programmierkenntnisse nötig. Deshalb hat die Software weltweit eine begeisterte Community um sich geschart, z.B. auch den österreichischen Pädagogen Christoph Kaindl, der auf der FROG darüber gesprochen hat: „Ich bin ein großer Fan von Twine, denn es ist Open Source, plattformübergreifend und läuft auch auf Laptops sehr gut. Man kann es installieren oder in einem Browser verwenden. Was bei der Gestaltung eines Spiels herauskommt ist eine HTML-Datei. Diese kann man hosten, wo man will, man ist also nicht zwingend an eine Vetriebsplattform gebunden.“

Einige der bekanntesten Games, die mit Twine gemacht wurden, sind zum Beispiel das großartige „Depression Quest“ von Zoe Quinn - wo es um den Umgang mit psychischen Problemen geht - oder „Queers in Love at the End of the World” von Anna Anthropy, das vielleicht kürzeste Adventure der Welt, denn es dauert nur 10 Sekunden – wie sprichst du mit deinem Partner, bevor die Welt untergeht?

Etwas länger und ernsthafter ist das Spiel „The Refugee Challenge“, das die Redaktion der Tageszeitung The Guardian veröffentlicht hat. „Hier wurden die Erlebnisse von Flüchtlingen gesammelt und in Handlungsoptionen umgesetzt“, sagt Christoph Kaindel. „Sie können also zum Beispiel entscheiden, ob sie den Weg übers Meer oder über die Türkei antreten, ob sie in der Türkei bleiben wollen, ob sie es mit Schleppern oder legal versuchen. Weil es sich um ein komplexes Thema handelt, ist der Zugang mittels eines Hypertext-Games sehr spannend. Natürlich könnte man die Geschichten von 20 Flüchtlingen auch linear hintereinander stellen. Aber sie wirken viel eindringlicher, wenn man beim Spielen das Gefühl für die Entscheidungen bekommt, vor denen geflüchtete Menschen stehen.“

x

Pexels/Jessica Lewis

In Twine gibt es drei verschiedene Markup-Sprachen, um die Geschichten zu gestalten. Snowman (veraltet), Harlowe (gut für Einsteiger geeignet) und Sugarcube. Letztere erlaubt auch die Erstellung aufwändiger Hypertext-Games mit Bildern, Toneffekten und Musik.

Christoph Kaindel hat mit „Absturz im Dschungel“ ein ca. 15 Minuten langes Abenteuer gestaltet, das eine gelungene Einführung in das Selber-Gestalten von Twines ist. Und auf seiner Website kaindel.net gibt es auch die hilfreiche Artikelserie „Choose your own Adventure“, sowie Links zur gratis Open-Source-Software Twine.

Kann man durch Videospiele gescheiter werden?

Mit dieser Frage beschäftigt sich die Pädagogin Sonja Gabriel - unter anderem, indem sie Projekte evaluiert, bei denen Schülerinnen und Schüler im Unterricht eigene Games und Apps entwickeln. Im Spiel „Food Jungle“ geht es ums Thema Ernährung. „Ich konnte mit einigen Schülerinnen und Schülern, die beim Gamedesign dabei waren, eine Gruppendiskussion führen“, sagt Sonja Gabriel. „Auf meine Frage, was sie ihrer Meinung nach gelernt hätten, antworteten sie: „Nichts“. Im weiteren Gesprächsverlauf aber haben sie sehr viele Fachausdrücke aus dem Ernährungsbereich verwendet – mehr als man von Kindern in diesem Alter erwarten würde. Sie haben dann ihr eigenes Schulbuffet analysiert. Es war offensichtlich, dass sie sehr viel gelernt hatten.“

Was aber, wenn Schülerinnen und Schülern nicht gemeinsam ein Spiel Entwickeln, sondern einfach nur ein fertiges Videospiel gegeben wird, also z.B. eines der vielen Serious Games oder Lernspiele, die es ja mittlerweile gibt? „Dann wird meistens nicht so gerne gespielt“, sagt Gabriel. „Denn Kinder merken ganz stark, ob sie etwas lernen sollen mit einem Spiel oder nicht. Der sogenannte „chocolate covered broccoli“ funktioniert nicht.“

Spiele im Unterricht würden vor allem dann viel bringen, wenn sie im Klassenzimmer mit Lehrerinnen und Lehrern gespielt, mit anderen Unterrichtsmitteln kombiniert und im Unterricht besprochen werden. Und was besonders gut funktioniert, sagt Sonja Gabriel, sei die Wertevermittlung. Ein gelungenes Beispiel für ein Spiel, das genau das kann, ist für sie Bury me, my love. Darin geht es um eine Frau, die aus Syrien flüchtet. Beim Spielen schlüpft man in die Rolle des zu Hause in der Heimat gebliebenen Ehemanns. Die Spieloberfläche sieht aus wie die Messenger-App auf einem Smartphone. „Ich kann der Frau Nachrichten schicken, ein Foto oder ein Emoji. Ich beeinflusse das Spiel durch Empfehlungen und Reaktionen. Das Spiel zeigt wunderbar, wie hilflos man ist, wenn man eine geliebte Person nur übers Handy begleiten kann.“

Abseits des Unterrichts finde Lernen mit Videospielen vor allem in Gemeinschaften statt, die Sonja Gabriel als „Affinitätsräume“ bezeichnet. Das könne z.B. ein Userforum sein oder eine Youtube-Community: Wer anderen Spielern hilft, wer Videos produziert oder die mathematischen Algorithmen hinter der Spielmechanik analysiert, lernt durchs Spielen mehr als ihm oder ihr bewusst ist.

mehr Game:

Aktuell: