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Russian Hacker

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Erich Moechel

Hype um angebliche „russische Hackangriffe“ erreicht Höhepunkt

Die laufenden Tatarenmeldungen auch in seriösen US-Medien über angebliche Hackangeriffe haben ein solches Ausmaß an Verunsicherung erzeugt, dass FBI, Geheimdienste und zwei US-Ministerien nun gemeinsam alles dementierten.

Von Erich Moechel

Während die Midterm-Wahlen näher rücken, erreicht die Hype um „russische Hackangriffe“ auf die Wahlen in den USA langsam ihren Höhepunkt. Auch ansonsten seriöse Medien titeln zu diesem Thema plötzlich wie der Boulevard, das jüngste Beispiel ist die aktuelle Ausgabe der „Newsweek“. Für den reißerischen Titel „Wie Russland die Midterm-Wahlen schon gehackt haben könnte“ bringt der Artikel selbst aber kein einziges Indiz.

Am Freitag wurde eine russische Staatsbürgerin wegen Wahleinmischung angeklagt, allerdings betrifft dieser Fall das Jahr 2016. Passend zu dieser aufgeheizten Stimmungslage hat Facebook einen „War Room“ gegen Desinformationskampagnen eingerichtet, am Freitag griffen dann die Geheimdienste, das FBI, sowie die Ministerien für Heimatschutz und Justiz kalmierend ein. Gemeinsam dementierten sie alle kursierenden Gerüchte über aktuelle Cyberattacken aus Russland auf das Wahlsystem.

Statement

- public domain -

Die gemeinsame Erklärung des Obersten Geheimdienstchefs, des FBI und der Ministerien für Heimatschutz und Justiz.

„Keinerlei Indizien für Kompromittierung“

Nach Bekanntwerden des jüngsten Datendiebstahls bei Facebook verlangt das EU-Parlament nun eine unabhängige Überprüfung der Programmierung des Sozialen Netzwerks.

Zwar wird in der Einleitung zu dieser Erklärung zuoberst auf ausländische Einflussnahme hingewiesen - mit explizitem Verweisen auf die Rolle der russischen „Nachrichtenkanäle“ Sputnik und RT bei gezielter Desinformation. Doch gleich darunter heißt es: „Bisher gibt es keinerlei Indizien für eine Kompromittierung oder Störung unserer Infrastruktur, die es gegnerischen Kräften ermöglichen könnten, Wahlen zu verhindern, zu manipulieren oder in die Auszählung der Stimmen bei den Midterm-Wahlen einzugreifen.“

Diese Stellungnahme bezieht sich offenbar direkt auf den reißerisch getitelten Newsweek-Artikel, der sich beim Lesen als etwas ganz anderes erweist, nämlich als Reportage über die chaotischen Zustände rund um die elektronische Stimmabgabe in den USA. In jedem Landkreis kommen andere Wahlcomputer zum Einsatz, von denen die meisten krass veraltet sind. Und auch die Stimmauszählung setzt jeweils beliebige Technik ein. So konnte der Newsweek-Reporter im Landkreis Buck’s County, Pennsylvania noch Wahlmaschinen Baujahr 1984 in Augenschein nehmen, die bei den Midterm-Wahlen wieder zum Einsatz kommen. Wahlzettel aus Papier gibt es dort offenbar nicht.

Electronic Voting

verifiedvoting.org

Die Hardware einer solchen nicht-vernetzten Abstimmungsmaschine, wie die im Newsweek-Artikel beschriebene „Shouptronic 1242“, die alle Resultate noch auf Band-Cartridges speichert, zu hacken ist natürlich möglich. Damit ließe sich aber allenfalls eine lokale Wahl zum Sheriff manipulieren.

Experten, Lötkolben und die Russen

Zuletzt hatte die NATO-Allianz mit der öffentlichen Blamage von GRU-Agenten, die in flagranti erwischt worden waren, die Propagandamaschine Putins sichtlich aus dem Takt gebracht.

Wie die Russen eine solche nicht-vernetzte Maschine, die nur aus einer Zählelektronik besteht, denn nun „hacken“ könnten, verrät dieser Artikel zwar nicht. Wohl aber fand man einen Experten der bestätigte, dass Manipulationen an dieser Maschine einfach möglich seien, indem der Zählchip ausgetauscht oder die Speicher-Cartridge manipuliert werde. Das wäre tatsächlich sehr einfach und für jeden möglich, der an die Maschinen herankommt und mit einem Lötkolben umgehen kann.

Vorausgesetzt natürlich, der Angreifer hätte erhebliches Interesse daran, die Stimmauszählung eines oder mehrerer Wahllokale in Buck’s County, Pennsylvania zu manipulieren. Diese Reportage ist ebenso eine „Was wäre, wenn“-Geschichte wie der Bloomberg-Aufmacher vor einer Woche. Da war es um die Möglichkeit gegangen, dass Motherboards für Server durch Austausch einer Komponente während des Produktionsprozesses bei chinesischen Elektronikfertigern zu manipulieren. Auch diese völlig indizienfreie Story war so aufgemacht, als sei sie schon passiert.

Trollfabrik

- public domain -

Dieses Sujet war Teil einer Werbekampagne auf Facebook und Twitter, für die Bezahlung war die nunmehr Angeklagte zuständig.(siehe unten)

Die Buchhalterin der „Trollfabrik“

Die Sensationsmeldung des Wirtschaftsportals Bloomberg über manipulierte China-Hardware für Cloud Computing war völlig faktenfrei und diente einem anderen Zweck. Zwei Tage danach erschien ein langerwarteter Bericht des Pentagon, der vor der Elektronikfertigung in China warnt.

Die im US-Bundesstaat Virginia angeklagte Russin namens Jelena Chusjaynowa wird zwar auch mutmaßliche Einmischung in die bevorstehenden US-Kongresswahlen vorgeworfen. Tatsächlich bezieht sich die Anklage jedoch auf die Jahre 2014 bis 2016 und „möglicherweise“ auch auf eine nicht näher bestimmte Zeitspanne danach. In vielen Berichten der US-Medien wird das so dargestellt, als wäre Frau Chusjaynowa drauf und dran gewesen, in die Midterm-Wahlen einzugreifen. Sie wird beschuldigt, ein hoch dotiertes Projekt zur Einflussnahme auf Wahlen durch Desinformation geleitet zu haben.

Laut Staatsanwaltschaft verantworte sie damit verdeckt geführte Kampagnen gegen die Ukraine und eben auch die Präsidentschaftswahlen 2016 in den USA. Der Frau wird also vorgeworfen, für das Finanzmanagement der berüchtigten „Trollfabrik“ in St. Petersburg zuständig gewesen zu sein. Chusjaynowa soll laut FBI über ein Budget von 35 Millionen Dollar verfügt haben, von denen ein Teil in den US-Wahlkampf eingeflossen sei. Auf ihre Spur kamen die Ermittler über die Zahlungen an Facebook und Twitter für die Inseratkampagnen während des Präsidentschaftswahlkampfs in den USA.

Khusyayova Indictment

- public domain -

Die Anklageschrift gegen die mutmaßliche Buchhalterin der St. Petersburger Trollfabik in Virginia.

Wo die Desinformationskampagnen toben

Ende August begann die Hype mit „neuen russischen Angriffen“, die allesamt alte Hüte waren. Die Meldungen kamen von Microsoft und anderen Firmen, die damit neue Sicherheits-Software verkaufen wollten.

Facebook hat seinen „War Room“ zwar publikumswirksam für die Midterm-Wahlen vorgestellt, die erwarteten Manipulationskampagnen sind in den USA bis jetzt ausgeblieben. In Brasilien ermittelt die Bundespolizei wegen einer massiven Denunziationskampagne gegen den Präsidentschaftskandidaten Fernando Haddad, die vor allem über WhatsApp gefahren wird. Dieser Ableger des Facebook-Konzerns kommt offenbar mit Löschen der Unmengen an Falschaccounts nicht nach, mit der WhatsApp-Service in Brasilien durchseucht ist.

Zuletzt wurde laut Aussagen des Managements insgesamt 100.000 Falschaccounts stillgelegt, die für die Spamwelle benutzt wurden. Haddad wirft seinem Kontrahenten Jair Bolsonaro, der rechtsextreme Positionen vertritt, vor hinter dieser Kampagne zu stecken. Der meiste Spam kommt von einigen Unternehmen, die einen neuen Service nutzen, den WhatsApp erst seit kurzem und nur für Unternehmen anbietet, nämlich WhatsApp zur Kundenkommunikation zu nutzen.

Russland hat ein Ziel schon erreicht

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Obwohl die gesamte „Intelligence Community“ und seit Monaten alle nur denkbaren Kanäle einer möglichen Einflussnahme unter genauer Beobachtung stehen, konnte also bis jetzt nicht ein ernsthafter, solcher Versuch identifiziert. Das ist auch wenig verwunderlich, wenn die Geheimdienste der USA, den „Five Eyes“ und den NATO-Staaten auf dem Weg zu den Midterm-Wahlen sozusagen Spalier stehen.

Paradoxerweise hat Russland trotz völliger Inaktivität wenigenstens eines seiner Ziele erreicht: rund um den wichtigsten Vorgang in einer Demokratie Verunsicherung zu verbreiten. Bewirkt haben das nicht russische Trollarmeen sondern amerikanische Breitenmedien wie Newsweek, Bloomberg und eine vielzahl anderer Medienhäuser, die Schlagzeilen schon fertig hatten, bevor noch der zugehörige Artikel recherchiert und geschrieben war.

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