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Marienprozession am Strand

Matthieu Rytz

Leonardo DiCaprio schaut sich das an

Wunderschöne und zugleich verstörende Schlaglichter auf den Planeten Erde: Beim Crossroads Festival für Dokumentarfilm in Graz kannst du eine Inselgruppe entdecken, bevor sie untergeht, und sehen, wofür Leonardo DiCaprio gern Geld ausgibt.

Von Maria Motter

Auf Google Maps wird die Suche nach der Republik Kiribati schnell unübersichtlich. Tief ins Hellblau muss man scrollen, um die Atolle im Pazifik zu finden, die zu diesem Staat gehören. Kiribati - noch nie gehört? Bald kannst du diese Inseln zumindest auf der Leinwand sehen, um die das Meer paradiesisch türkis ist.

Das Crossroads Festival in Graz steigert die Geografiekenntnisse und ist ein kleines Juwel, denn im Forum Stadtpark trifft Aktivismus auf Kinoliebe. Der Wunsch nach dem guten Leben ist der gemeinsame Nenner der 22 aktuellen internationale Dokumentarfilme, die von 31. Oktober bis 11. November gezeigt werden. Als Eintrittspolitik gilt pay as you wish. Und hier kommen Empfehlungen!

Die Möglichkeit einer neuen Insel

Ein Weltmeer, unendliche Weiten - bis die Kamera über Mini-Inseln schwebt, auf denen einige Häuser stehen. Wie wunderschön ist das! Dabei erzählt der Film „Anote’s Ark“ vom drohenden Untergang eines ganzen Volkes im Pazifik. Premiere hatte der Dokumentarfilm am Sundance Festival.

„Anote’s Ark“ ist schockierend und zugleich eine tolle Erzählung. Die Hauptpersonen sind Anote Tong, der frühere Präsident der Republik Kiribati, und die junge Mutter Sermary Tiare, die 1980 auf der Insel Abemama geboren wurde und die sich entschließt, ins Exil nach Neuseeland zu gehen. Denn die Inseln entlang des Äquators, die zur Republik Kiribati gehören, werden in diesem Jahrhundert untergehen – so düstere Prognosen.

Neuseeland gewährte 75 Inselbewohnern von Kiribati Zuflucht und verlieh ihnen die Staatsbürgerschaft, unter ihnen Sermary Tiare. Doch weitere Solidarität bleibt aus. Erst vor wenigen Tagen winkte „Nachbar“ Australien ab: Hilfe könne Kiribati keine erwarten. 2050 will Australien aus der Kohle aussteigen, eher nicht, und finanzielle Unterstützung gebe es keine.

Im Film „Anote’s Ark“ touren wir mit Anote Tong um die Welt, um Neuland für dessen Volk zu finden. Dem Regisseur Matthieu Rytz gelingt mit diesem spektakulären Debüt, woran erfahrene NGOs scheitern: er vermittelt, was die Klimakrise bedeutet. Und den alten, rassistischen kolonialen Bildern „wilder Ureinwohner“ setzt Matthieu Rytz Porträts entgegen, die beschämend klarmachen, wie hartnäckig sich die Vorurteile halten. Die indigene Bevölkerung der 33 Inseln entlang des Äquators fängt nicht bloß Fische mit der bloßen Hand. Der Präsident erreichte, dass die acht Atolle der Phönix-Inseln zum weltgrößten Meeresschutzgebiet erklärt wurden.

Ein Actionfilm starring Sea Shepherd

Wer sind hier die Piraten? Sea Shepherd versteht sich als eine internationale Non-Profit-Meeresschutzorganisation. Kritiker hingegen nennen die AktivistInnen Piraten und beschreiben ihr Vorgehen als militant. Wo Regisseur Mark Benjamin in diesem Konflikt steht, gibt er bereits im Vorspann seines Real-Crime-Action-Films „Chasing the Thunder“ preis. Die Doku beginnt unter Wasser mit einem quirligen Fischschwarm, und einem eleganten Hai schwimmt ein Fisch direkt ins Maul. „Take a breath. Now take another breath - that second breath comes from the ocean“, erklärt ein junger bärtiger Mann im T-Shirt, der kurz darauf im „Sea Shepherd“-Kapuzenpulli die Kommandos an Bord geben wird.

„Chasing the Thunder“ ist ein Actionfilm, dessen Hintergrundmusik nervt, doch dessen Geschichte ein Krimi ist: Auf hoher See spürt die Sea Sheperd Crew ein Wilderer-Schiff auf, das von Interpol zur Fahndung ausgeschrieben ist. Der Show-Down dieser realen Begegnung verläuft höchst überraschend und sehenswert.

Wir sind unterwegs am Südpolarmeer und mit einer Gruppe AktivistInnen ausgezogen, die einfach nicht mehr nur die nächste Online-Petition unterschreiben wollten, wie eine junge Australierin erklärt. Wenig später kann sie vor Kälte kaum sprechen. 110 Tage lang und über 16.000 Kilometer geht die Jagd - so hält das auch die New York Times in ihrer Berichterstattung fest (Achtung Spoiler!).

drei große Schiffe

Brick City TV

„Chasing the Thunder“ - zu sehen am Dienstag, 6. November, um 20:30 Uhr im Forum Stadtpark

Siebzig Prozent unseres Planeten sind von Meeren bedeckt und 58 Prozent dieser Meere liegen außerhalb einer nationalen Gerichtsbarkeit. Für die neutralen Küstengewässer etwa vor der Antarktis gilt internationales Recht. Die Fischerei im Südpolarmeer unterliegt Regelungen der Commission for the Conservation of Antarctic Marine Living Resources.

Demontage einer Friedensnobelpreisträgerin

Die Dinge sind nicht immer, was sie scheinen. Das lehrten uns Aufkleber auf Rückspiegeln und Twin Peaks. Leonardo DiCaprio investiert einen Teil seines Vermögens in Dokumentarfilme, die genau hinschauen. Der Hollywood-Schauspieler ist ein Umweltaktivist. Über seiner Krippe hatten seine Eltern ein Poster von Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“ aufgehängt, das Leo als Kleinkind bekümmert hat. Frühkindliche Prägung könnte also der Grund dafür gewesen sein, dass DiCaprio auch Executive Producer einer Demontage einer Friedensnobelpreisträgerin ist: „Silas“ dreht sich um die Machenschaften von Ellen Johson Sirleaf.

Ellen Johnson Sirleaf ist als erste Präsidentin eines afrikanischen Staats gefeiert worden. Nach vierzehn Jahren Bürgerkrieg in Liberia tauschte sie die Polizei aus, stellte Polizistinnen ein und versprach vor den ersten freien demokratischen Wahlen, aus denen sie als Siegerin hervorging, für Frieden und Korruption anzutreten.

Eine Gruppe von Menschen steht auf einem riesigen, liegenden Baumstamm und schaut über eine gerodete Fläche.

cinephil

„Silas“ - zu sehen am Freitag, 2. November, um 20 Uhr am Crossroads Festival

Das Crossroads Festival, von 31.10. bis 11.11.2018 im Forum Stadtpark in Graz, schweift nicht nur in ferne Länder. Graz-Premiere haben u.a. auch Heinz Trenzcaks „Greek Diary“ und Sandra Trostels Erkundungen in der Welt der Hacker am Chaos Communication Camp und am Kongress des Chaos Computer Clubs in „All Creatures Welcome“!

Am diplomatischen Parkett war Ellen Johnson Sirleaf willkommen. Nicht nur die USA reichten ihr begeistert die Hände. Liberia sollte sich mithilfe ausländischer Investoren entwickeln. Binnen weniger Jahre war ein Viertel des Landes ausländischen Konzernen übertragen und eine Million Menschen - ein Viertel der Bevölkerung - lebte in Regionen, in denen sie fortan nichts zu sagen hatten. Wälder wurden gerodet und Plantagen angelegt. Den Menschen wurde ihre Lebensgrundlage und ihr Mitspracherecht genommen. „Landgrabbing“ ist der Fachbegriff. Wie das vor sich geht, führt die Doku „Silas“ vor. Das Porträt des Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten Silas Siakor und dessen Familie kommt Ellen Johnson Sirleaf nahe: Gefälschte Lizenzen führen zu einem Personenkreis um die damalige Präsidentin, ihr Neffe und ihre engste Mitarbeiterin scheinen als Begünstigte auf. Vorwürfe der Vetternwirtschaft und Korruption stehen im Raum, dann bricht Ebola im Land mit einer Bevölkerung von vier Millionen Menschen aus, in dem nur fünfzig Ärzte approbiert sind.

Umwelt- und Menschenrechtsaktivist Silas Siakor

cinephil

Umwelt- und Menschenrechtsaktivist Silas Siakor

Was geschieht, wenn sich ein Mann mit der mächtigsten Frau im Staat anlegt? Sie verweigert beim persönlichen Zusammentreffen das Gespräch, da sich Silas Siakor nicht „zivilisiert“ zu benehmen wisse. Vor laufender Kamera. Im Jänner 2018 wurde Ellen Johnson von ihrer eigenen Partei ausgeschlossen - wegen des Verdachts der Sabotage.

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