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Wiener Zentralfriedhof Ehrengräber

Florian Wörgötter

Allerheiligen

Die unteren Zehntausend am Wiener Zentralfriedhof

Am Wiener Zentralfriedhof liegen mehr Wiener begraben als über der Erde leben. Darunter Prominente wie Beethoven, Falco und Manfred Deix. Bei einem Besuch der Stars und Sternchen des Wiener Zentralfriedhof erfahren wir, was am Grab von Falco getrunken wird, welcher Künstler auch posthum den Stinkefinger hebt und wie jeder von uns sein Ehrengrab bekommt.

Von Florian Wörgötter

Zu Allerheiligen ist auf Friedhöfen sprichwörtlich die Hölle los. Der Wiener Zentralfriedhof zieht aber auch abseits der Feiertage rund drei Millionen Menschen im Jahr an seine Gräber. Manche schätzen seine mystische Ruhe, andere genießen Flora und Fauna. Hauptattraktion sind aber die rund 1.000 Ehrengräber von prominenten KünstlerInnen, MusikerInnen und PolitkerInnen.

„Erst die Ehrengräber haben den Wiener Zentralfriedhof bei den Wienern beliebt gemacht“, sagt Josef Kirchberger. Der Wiener kennt die Geschichten von Beethoven, Brahms und Schubert; von Popstar Falco, der Erfinderin Hedy Lamar und den Künstlern Franz West und Manfred Deix. Als Gräber-Strategist verantwortet er nicht nur die Sicherheit der 300.000 Gräber des zweitgrößten Friedhofs Europas, auf seinen Ehrengräber-Touren belebt er die Kulturgeschichte der Hauptstadt mit Seitenblicken im brummenden Wiener Schmäh.

Wiener Zentralfriedhof Ehrengräber

Florian Wörgötter

Am meisten Besuch bekommt ihm zufolge Ludwig Van Beethoven (1770–1827), für den mancher Klassikliebhaber sogar extra aus Japan anreist, um ihm sein Ständchen zu singen. Seinem Kollegen Franz Schubert (1797–1828), „dem Casanova der Klassiker“, werden dafür die meisten Liebesbriefe zugesteckt, die unter Wahrung des Briefgeheimnisses sorgsam entsorgt werden.

Der Himmelsstürmer

Wir spazieren am Kieselsteinweg zum Grab von Popstar Falco (1957–1998), der die meisten deutschsprachigen Fans empfängt. Eine kreisrunde Panzerglasscheibe mit Hansi Hölzls Abbild in Falkenpose erinnert an eine abgebrochene CD. Der zum Himmel ragende Obelisk dahinter symbolisiert seinen Höhenflug an die internationale Chartspitze. Sein poröses Privatglück und der frühe Tod sind in einen schwarzen, gebrochenen Stein gemeißelt.

Wiener Zentralfriedhof Ehrengräber

Florian Wörgötter

„Manche Falco-Fans würdigen ihren Popstar mit einem Gläschen Schnaps“, sagt Kirchberger. „Campierende Fans und nächtelange Partys gibt es bei uns aber nicht“. Jedoch lässt sich erahnen, dass die pikanten Geschichten – wie es sich für Falco gehört – nicht für das Ohr der Öffentlichkeit bestimmt sind.

Das rosarote Etwas

Das Grab von Künstler Franz West (1947–2012) erfüllt mit seiner rosaroten Skulptur, was gute Kunst ausmacht: Es stellt Fragen zu seiner Existenz und zwingt den Betrachter, darauf Antworten zu finden. „Jedem bleibt selbst überlassen, was er sieht“, erklärt Kirchberger. „Ein Hundstrümmerl“, meint ein Besucher. „Eine mahnende Hand“, rätselt ein anderer. „Einen Stinkefinger“, präzisiert seine Begleiterin. Kirchberger ergänzt: „Es könnte auch ein Regenwurm sein."

Wiener Zentralfriedhof Ehrengräber

Florian Wörgötter

Interessanterweise erklärt später eine Touristenführerin ihrer Pensionisten-Gruppe, dieses Grab gehöre dem (noch lebenden) Künstler Erwin Wurm. Ein Freudscher?

Der Katzenkönig

Auch Karikaturist Manfred Deix (1949–2016) hat sich in der Nachbarschaft nahe der Präsidentengruft niedergelassen. Seine pointierten Zeichnungen haben der österreichischen Seele ihre fratzenhaften Gesichter gegeben. Kein Wunder also, dass sein Grabmahl die Skulptur eines Tieres schmückt: „Der Katzenkönig“, ein schwarzer Kater mit Krone, Krawatte und Zigarette im Mund.

Wiener Zentralfriedhof Ehrengräber

Florian Wörgötter

Kirchberger erzählt von Deixs früher Leidenschaft, als er schon als Sechsjähriger nackte Frauen gezeichnet haben soll. Seine Karriere hat in der Pubertät begonnen, als ihn ein Pfarrer engagierte, einen katholischen Actionhelden zu zeichnen. Laut Kirchberger hat das eine mit dem anderen aber nichts zu tun.

Die Hollywood-Erfinderin

Eine Grabstelle weiter ruht Schauspielerin und Erfinderin Hedy Lamarr, geboren als Hedwig Eva Maria Kiesler (1914–2000). „Lamarr wäre heute eine der reichsten Frauen der Welt“, sagt Kirchberger, „nicht weil sie 1933 die allererste Nacktszene der Filmgeschichte drehte, sondern weil sie eine Funkfernbedienung für einen Torpedo erfunden hat, dessen Technologie heute in den meisten Mobiltelefonen verwendet wird.“ Tatsächlich bildet ihre Erfindung für das US-amerikanische Militär einen Vorläufer von Bluetooth und WLAN.

Wiener Zentralfriedhof Ehrengräber

Florian Wörgötter

Spätestens beim Blick auf die Nachbarn Udo Jürgens, Joe Zawinul und György Ligeti fällt auf, dass die meisten Ehrengräber Männern gewidmet sind. Warum? „Weil es sehr viele berühmte Männer gibt“, Kirchberger lapidar. Eh klar.

Ehrengräber für alle

Doch wie kommen Mann und Frau eigentlich an ihr Ehrengrab? „Das Büro des Bürgermeisters entscheidet mit der Kulturabteilung der Stadt Wien, wer ein Ehrengrab verdient“, sagt Kirchberger und ergänzt schmunzelnd: „Jeder von uns kann problemlos sein Ehrengrab bekommen.“ Wie? „Spenden’s ein, zwei Spitäler oder ein Waisenhaus, dann werden’s Ehrenbürger der Stadt Wien und ein Ehrengrab ist ihnen sicher.“ Natürlich, wer am Friedhof arbeitet, braucht Humor.

Wiener Zentralfriedhof Ehrengräber

Florian Wörgötter

Wem dafür die Sozialversicherungsreform noch zu wenig in die Kasse spült, kann sich mit prominenten Nachbarn trösten, indem er gegenüber einer Ehrengräber-Gruppe einzieht. Der Ausblick auf die besseren Gegenden kostet – wie zu Lebzeiten – aber extra.

Alle Neune unter einem Baum

Und wie wollen heut’ die einfachen Leut’ begraben werden? „Der Trend geht eindeutig in Richtung Waldfriedhof, wo man direkt unterm Baum begraben wird“, erklärt Kirchberger. Die Idee dahinter: Die Urne zersetzt sich, die Wurzel nimmt die Asche auf, das Leben geht in den Baum über.

Wiener Zentralfriedhof Ehrengräber

Florian Wörgötter

Am Stammersdorfer Zentralfriedhof werden sogar schon Familien- und Freundschaftsbäume reserviert. „Ein Kegelclub hat sich dort einen Baum gekauft, damit auch alle Mitglieder im Tode beisammen sind“.

Darf man denn seinen Grabstein designen, wie man möchte? Die Größe muss der Bestattungsanlagen-Ordnung entsprechen; was darauf steht, entscheidet jeder selbst. „Ein Star-Trek-Fan hat sich sogar in der Uniform von Captain Kirk am Grabstein verewigen lassen. Ein anderer hat seinen Mercedes eingravieren lassen“, sagt Kirchberger. „Am Zentralfriedhof ist alles erlaubt, solange es pietätvoll ist und niemanden beleidigt.“

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