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Szenenbilder aus "Bohemian Rhapsody"

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Bohemian Schnapsidee

Der Schnurrbart sitzt, doch „Bohemian Rhapsody“, das Freddie Mercury-Biopic besitzt nichts von der strahlenden Extravaganz, die man mit dem Sänger verbindet. Is this the real life? Is this just fantasy? Weder noch. Ein konventionelles Biopic mit moralinsaurem Abgang.

Von Pia Reiser

Die Beatles sagten, sie seien bigger than Jesus. Queen wählten eine ein Aitzerl neuere Referenz in der Selbstbeschreibung und proklamierten, sie wären der Cecil B de Mille of Rock’n’Roll. Always wanting to do things bigger and better. Das wär doch mal ein Satz, den sich „Bohemian Rhapsody“-Regisseur Bryan Singer, vor allem aber Drehbuchautor Anthony McCarten auf den Kopfpolster hätten sticken sollen. Cecil B de Mille hat als Regisseur zu Hollywoods goldenen Studiozeiten Pomp, Glanz und Gloria-Filme wie „The 10 Commandments“ und „The Biggest Show on Earth“ auf die Leinwand gebracht und unser Verständnis von Hollywoodkino entsprechend geprägt. „Bohemian Rhapsody“, das Freddie Mercury Biopic, ist weniger the biggest als the most conventional show on earth.

Das ist nicht Rami Maleks Schuld, der hat die Bewegungen, den Gang, die Gestik von Freddie Mercury mit Bewegungscoach genau studiert und schafft es auch - zumindest in den Szenen, die ihn auf der Bühne zeigen - hier über die reine bestmögliche Imitation hinaus zu agieren. „Bohemian Rhapsody“ beginnt - wie so viele Biopics - in einem Moment des Triumphs. Wir sehen Queen kurz vor ihrem Auftritt beim Live Aid Konzert im Jahr 1985. Dann blickt der Film zurück. Freddie Mercury ist noch Farrokh Bulsara, das Kind von Einwanderern aus Sansibar, der mit langen Haaren durch die Clubs von London zieht und nach einem Austausch von drei Dialogzeilen zum Frontmann einer Band wird, die sich damals noch Smile nennt.

Rami Malek schlägt sich in diesem Film doppelt wacker, erstens sind Dramaturgie und Dialoge reichlich plump und ebenfalls von plumper Natur ist die Zahnprothese, die man Malek verpasst hat. Mercury hatte vier zusätzliche Zähne im Oberkiefer, die seine Schneidezähne nach vorne drängten, ein Vorbiss. Malek sieht aus, als hätte man ihm vier plattgedrückte Kaugummi-Dragees auf seine Zähne geklebt. Er hat Simpsons-Zähne.

Szenenbilder aus "Bohemian Rhapsody"

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Brian May nennt Sacha Baron Cohen einen „arse“: Die lange Entwicklungsphase des Freddie Mercury Biopics.

„Bohemian Rhapsody“ ist in seiner braven Nacherzählung eines Band-Wikipedia-Eintrags und der Bemühung von (familienfreundlichen) Rockstar-Klischees so borniert und konventionell, dass es szenenweise ganz knapp an der Parodie vorbeischrammt. Wenn Filme eine lange Zeitspanne im Leben einer Figur abbilden wollen, muss es natürlich zu Raffungen und Verdichtungen kommen, im Falle von „Bohemian Rhapsody“, ein Film, der seinen Figuren keine Sekunde Verschnaufpause vom Dasein als Handlungsantreibende vergönnt, kommt es zu besonders merkwürdig überladenen Szenen. Freddie Mercury macht seinen Heiratsantrag quasi während er schon eine neue Superhit-Melodie am Klavier anstimmt und kaum kann seine zukünftige Frau Mary Austin „Ja“ sagen, stürmt die Band - mit den Manieren aus einer „Sitcom“, also ohne anzuklopfen - in die Wohnung und verkündet, dass Queen auf Tour durch die USA gehen wird.

Andeutungen oder Zwischentöne gibt es nicht. Auf Tour sieht man Freddie Mercury mal in einer Telefonzelle stehen, als ein beschnurrbarteter Käppiträger an ihm vorbei geht, Mercury wirft ihm einen sehnsuchtsvollen Blick hinterher und der Mann verschwindet hinter einer Toilettentür, auf der „Men“ steht. Der Film entblödet sich nicht, sekundenlang auf dem Schriftzug „Men“ zu verweilen. WINKEWINKENUDGENUDGE.

Überhaupt ist der Umgang mit Mercurys Homosexualität wohl die größte Schwachstelle des Films. Mercurys Frau Mary hat einen Moment der Erleuchtung, was die sexuelle Orientierung ihres Mannes angeht, als sie ihn mit einem Sektglas in der Hand in einem Radiostudio sieht. „I’m bisexual“ sagt Mercury dann irgendwann, sie erwidert „You are gay“, dreht ihm den Rücken zu und schaut aus dem Fenster, wie man das eben so macht bei wichtigen Gesprächen, wenn dem Regisseur nichts anders einfällt.

War der als heterosexuell angenommene Freddie Mercury in „Bohemian Rhapsody“ ein freundlicher Kerl, der immer nur ein bisschen zu spät dran war, hauptsächlich aber ein musikalisches Genie mit einem exzellenten Händchen für Bühnenoutfits, so ist der quasi frisch homosexuelle Mercury in diesem Film plötzlich ein kinky Partytiger im Dauerexzess - und urgemein zu seinen Band-Kollegen. Es geht nicht darum, Freddie Mercurys sicherlich über lange Strecken exzessiven Lebensstil zu bezweifeln, aber der Film vermittelt den Eindruck, dass Mercurys Homosexualität ihn weg von dem Familienersatz namens Queen in eine Welt voller koksender Lederjackendiscoboys zieht, ihn unglücklich macht und sein musikalisches Talent dabei fast verlorengeht. Und das ganze auch noch in München.

Szenenbilder aus "Bohemian Rhapsody"

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Statt also den queeren Stadiorock-Superstar, die Diva mit Schnurrbart und Adidas Jogging High zu feiern, zwängt „Bohemian Rhapsody“ seinem Film nicht nur das konventionelle Biopic-Kostüm auf, sondern auch noch das triste Dasein einer Reue- und Erlösungsballade.

Nebenbei - dafür werden wohl die verbliebenen Queen-Mitglieder Roger Taylor und Brian May in ihrer Funkton als Filmproduzenten gesorgt haben - erfährt man auch noch, dass der Queen-Schlagzeuger und Gitarrist auch ganz schön gute Ideen hatten und einiges zum Erfolg und Mythos von Queen beigetragen haben. (Bassist John Deacon war an der Entstehung des Films nicht beteiligt, drum darf er meistens nur dabeisitzen und freundlich schauen, aber nicht so freundlich wie May mit der lockigen, sanftmütigen Werklehrer-Attitüde und den Holz-Clogs). Mays Studium der Astrophysik, sowie Taylors Studium der Zahnmedizin werden gleich zweimal erwähnt, grad so als wär der Film eine Bewerbungsmappe der Beiden.

Rami Malek als Freddie Mercury

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Formelhaftigkeit ist eine Zeitverschwendung, wirft Brian May einmal einem Labelboss an den Kopf und es ist paradox diesen Satz in einem Film zu hören, der eine einzige Formelhaftigkeit ist und der dann noch die Chuzpe hat, sich nach einem Song zu benennen, der quasi die gesungenen Antithese zu formelhaftem Pop ist. Aber es ist wohl nicht die Opernhaftigkeit im Popsonggewand, das große Drama, der Pomp und der Pathos des Songs „Bohemian Rhapsody“, der beim Drehbuchautor und beim Regisseur hängengeblieben ist, sondern eher die Songzeile nothing really matters to me.

Absurderweise ist das wahrscheinlich lebendigste Stück in diesem recht einfallslosen Film der Teil, der auf reines Nachspielen setzt: Queens Auftritt bei Live Aid im Wembley Stadion. Da gibt der Film Rami Malek auch mal länger Zeit und Raum, die Bühne einzunehmen, da wird nicht gleich wieder in eine andere gute Laune machende Montage weggeschnitten, da wird dann auch kurz transportiert, wie essentiell Mercurys Körperlichkeit für Queen war. You have to put your body into it sagt Mercury bei den Aufnahmen zu „Bohemian Rhapsody“ zu Brian May. Hätte der Film mal nur auf seine eigenen Ratschläge gehört. Oder wäre er einfach nur ein wenig mehr Gunpowder, gelatin, dynamite with a laser beam.

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