FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Wörterbücher

CC BY-SA 3.0 von Dr. Marcus Gossler https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Latin_dictionary.jpg

MARC CARNAL

Österreiche Bayern mit Kaiserschnitt und Alkohol

Nazi, Schmetterling oder Alkohol - der Klang unzähliger Begriffe passt überhaupt nicht zu ihrer Bedeutung. Das prangere ich an.

von Marc Carnal

Sprachkritiker und -innen haben mannigfaltige Ziele: Die einen wollen eine geschlechtergerechte Sprache, manche wehren sich gegen Anglizismen, andere wiederum denken sprachelitär, üben Stilkritik oder kämpfen für eine politisch korrekte Ausdrucksweise.

Sprachkritische Disziplinen gibt es zuhauf, eine vermisse ich allerdings: Niemand tritt dafür ein, Wörter lautmalerisch zu hinterfragen und ihnen gegebenenfalls stimmigere Bedeutungen zuzuordnen. Man sollte den Duden- und Langenscheidt-Redaktionen mehr Kompetenzen verleihen, als regelmäßig hunderte Jugendwörter wie „Smombie“ zu erfinden oder Bildzeitungs-Kreationen zum Unwort des Jahres zu küren. Ein handlungsfähiges Gremium aus progressiven Germanisten sollte regelmäßig die Bedeutung von Wörtern mit ihrem Klang abgleichen und bei Bedarf einschreiten.

Wie zum Beispiel Nazi. Warum hat sich ausgerechnet ein so charmant klingendes und verniedlichendes Wort für Hitler-Fans durchgesetzt? Was für eine Verschwendung dieser hübschen Silben! Viel passender wäre Nazi als Kosewort für einen geliebten Menschen. „Ich hab keine Lust auf Kochen, wollen wir uns einfach was bestellen, Nazi?" Oder: “Anna hat gestern endlich mal Flo mitgebracht, ihren Neo-Nazi aus Bayern.“

Bayern! Klingt auch irgendwie falsch. Sowohl Österreich, Schweiz als auch Bayern sind hässliche Ländernamen, die man schleunigst erneuern sollte.

Bayern könnten vielmehr der Plural eines traditionellen Süßgebäcks sein, Schweiz eine fettglänzende Zuckerglasur und österreich ein Adjektiv für Speisen, die besonders viel des gesunden Spurenelements Öster enthalten. Beispielsatz: „Die knusprigen Bayern gelten als besonders österreich und werden nach dem Backen mit einer dicken Schweiz überzogen.“

View this post on Instagram

Klogedicht im Rüdigerhof

A post shared by Marc Carnal (@marccarnal) on

Schweiz klingt zu dynamisch für ein Land mit derart faden Einwohnern. In umgekehrten Fällen ist das Wort zu weich und euphemistisch für seine Bedeutung.

Viel zu majestätisch für das gezielte Aufschneiden von Bauchdecken mit dem Ziel, einen schleimigen Fötus hindurchzuzwängen, ist das Wort Kaiserschnitt. Als kürzlich die Influencerin Bibi erstmals gebar, lautete die überraschend unspektakuläre heute-Headline: „Bibis Baby kam per Kaiserschnitt zur Welt“. Der Brutalität einer solchen Operation und der Alliterations-Affinität des Boulevards angemessener wäre die Schlagzeile „Bibi brauchte Baby-Bauchstich“.

Kaiserschnitt könnte dagegen ein äußerst kleines Bier bezeichnen: Maß - Halbe - Seidl - Pfiff - Kaiserschnitt.

A propos Alkohol: Wie kann ein Wort mit ähnlich viel Anziehungskraft wie Monopol, Protokoll oder Karfiol einen so wunderbaren Inhaltsstoff meinen, der uns beflügelt, versöhnt und entrückt? Zwar könnten die tausenden volkstümlichen Umschreibungen für das Konsumieren von Alkohol ein dickes Sauf-Synonyme-Lexikon füllen, das berauschende Zeug an sich kennt aber nur eine gängige und viel zu hässliche Bezeichnung. Alkohol würde viel besser als Maßeinheit für elektrische Spannung passen - siehe „12-Alk-Batterie“ - oder auch als Fachausdruck für einen knolligen Speisepilz.

Bleiben wir in der Natur: Schmetterling ist - im Gegensatz zum englischen „butterfly“ - ein viel zu bedrohliches Wort für ein so zartes Wesen. Viel stimmiger wäre es, wenn Schmetterling entweder Opernsänger hieße oder die deutsche Entsprechung von Hooligan wäre. „Nach dem Wiener Derby kam es zu massiven Ausschreitungen mit mehreren Verletzten. Die Polizei nahm insgesamt neunzehn Rapid-Schmetterlinge fest.“

Langsam neigt sich diese Kolumne ihrem Ende zu, auch wenn mir noch unzählige unpassende Vokabeln einfallen würden. Vokabel wäre beispielsweise ein treffender Begriff für eine magnetische Orientierungs-Nadel, Kompass dagegen ein gutes Wort für einen kurzen journalistischen Meinungsbeitrag, Kolumne wiederum eine schöne Bezeichnung für Verkehrsstau und Stau ist lautmalerisch viel demütiger als das harte Danke. So schließe ich meinen Kompass mit Stau und Ciao.

mehr Marc Carnal:

Aktuell: