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Viennale

Das war die Viennale 2018

Das war die diesjährige Viennale. Insgesamt wurden 270 Produktionen gezeigt, darunter auch viele Film-Highlights. Unsere Film-Redaktion hat ein paar ganz persönliche Erfahrungen gesammelt.

Gigantische Erwartungen

Von Christian Fuchs

Mit der Wucht von „Roma“ hatte ich nicht gerechnet. Wie sehr mich der neue Film von Alfonso Cuarón weggeblasen hat, darüber durfte ich hier bereits ausführlich schwärmen. Überraschungen gab es auf dieser Viennale aber nicht nur positive, zumindest für den Schreiber dieser Zeilen. Filme wie das Arthouse-Horror-Epos „Suspiria“, der traumwandlerische Sci-Fi-Versuch „High Life“ oder die Popdiva-Annäherung „Vox Lux“ erfüllten leider nicht die gigantischen persönlichen Erwartungen. Gleichzeit betörten diese und andere Viennale-Streifen mit herausragenden Bildern und großartigen Schauspiel-Momenten. Und begeisterten auch mit einer experimentellen Herangehensweise an bestimmte Genre-Stereotypen.

"Under The Silver Lake"

Ascot Elite

Der frischeste und lustvoll-verspielteste Film an der ohnehin obsoleten Grenze von Kunst und Kommerz kam dann aber nicht von Arthouse-Darlings wie Luca Guadagnino oder Claire Denis. Sondern von dem jungen Amerikaner David Robert Mitchell, der mit seinem innovativen Pop-Schocker „It Follows“ bereits das Horrorkino revolutionierte. In der fiebrigen L.A.-Verbeugung „Under The Silver Lake“ nähert er sich nun dem NeoNoir-Genre. Ex-„Spider-Man“ Andrew Garfield irrt als verhuschter Nerdschnösel durch einen irrlichternden Plot voller furioser Femme Fatales, finsterer alter Männer, Verschwörungstheorien und Comic-Referenzen.

David Robert Mitchell gibt sich stellenweise den Mythen um die Stadt der Engel so schwelgerisch hin, dass sein Film wie ein Hipster-Remix aus „Inherent Vice“, „Mulholland Drive“ und „The Big Lebowski“ wirkt. Und das ist positiv gemeint. Stimmt schon, „Under The Silver Lake“ ist überambitioniert, überlang, überladen. Aber auch so vollgestopft mit tollen Ideen, genialen Sets und der verqueren Schönheit von Los Angeles, dass mein Hirn jetzt noch raucht.

Zweideutiges Highlight

Von Petra Erdmann

Bei Bio-Pictures beginne ich im Kino zu fremdeln. Insofern war der Viennale-Blockbuster „First Man – der Aufbruch zum Mond“ die geringste Überraschung. Bei Sport-Dokumentationen, meist sportlich fad, bekomme ich regelmäßig vor lauter Gähnen den Mund nicht zu. Weit offen stand er mir im Essayfilm „L’Empire de la Perfection“ von Regisseur Julien Faraut über John McEnroe und die Register, die Film aus der Wirklichkeit ziehen kann. Jean Luc Godard hat gesagt, „Das Kino lügt, der Sport nicht“.

„L’Empire de la Perfection“ hat auf einen Schlag alle offenen und verschütteten Leidenschaften seit Kindheitstagen in mir hochbefördert. John McEnroe, das lange ungeschlagene Ass auf dem Tennisplatz war die Hauptfigur meiner Fernsehnachmittage in den 80ern. „L’Empire de la Perfection“ ist ein cineastisches und dabei lockeres und sinnliches Lehrstück über Tennis-Instruktionsfilme. Es zeigt McEnroe fluchend, streitend und kämpfend, während seiner legendären Matches im Pariser Stadion Roland Garros aus den immer gleichen Perspektiven auf 16mm gefilmt. Mathieu Amalric kommentiert den Meta-Film aus dem off. Mein zweideutiges Viennale-Highlight ex aequo mit dem Roberto Minervini -Special - gentle und mindblowing!

Unverhofft, aber umso besser

Von Pia Reiser

Was ich mir vornehme, schaff ich nicht („Blaze“, „First Reformed“ AKA das Ethan-Hawke-Appreciation-Bündel), dafür ist das, was ich unverhoffterweise seh, umso besser: In der Dokumentation „Minding the Gap“ erzählt Regisseur Liu Bing vom Erwachsenwerden seines Freundeskreises. Als Teenager beginnt Bing sich und seine Freunde im ökonomisch tristen Rust Belt der USA zu filmen. Beim Skateboarden, das zumindest für ein wenig Eskapismus sorgt, beim Feiern, Pizza essen, bei Gesprächen über die schwierigen Familienverhältnisse.

szenenbild "Minding The Gap"

viennale

Mit Mut und Feingefühl nähert sich Bing schließlich Themen wie häuslicher Gewalt und übernommenen Verhaltensmustern an und schafft hier einen unglaublichen Balance-Akt als Regisseur und bester Freund der Menschen mit denen er spricht - und schließlich auch als eine der Hauptfiguren, als sein Film zur eigenen Katharsis wird. Grandios.

Doch kein Gipfeltreffen der Giganten

Von Anna Katharina Laggner

Dass es sich eher um ein Kaffeekränzchen als das von mir erwartete Gipfeltreffen der Giganten handelt, offenbarte sich in „Meeting Gorbachev“ bereits innerhalb weniger Minuten: Werner Herzog überreicht Michail Sergejewitsch Gorbatschow zwei große Kartons voll dunkler Schokolade. Zuckerfrei, betont der Regisseur, Interviewer und Bewunderer, denn der Bewunderte leidet unter Diabetes. Letzterer wirkt über weite Strecken des Gespräches allerdings ohnehin wenig beeindruckt, was man ihm angesichts der verbalen Kniefälle seines Gegenübers nicht verdenken kann.

Szenenbild "meeting gorbechev"

viennale

Es birgt große Absurdität in sich, dass Werner Herzog dem letzten Generalsekretär der Sowjetunion seine Liebe gesteht („I love you Michail Sergejewitsch.“). Und es birgt allergrößte Absurdität in sich, dass Werner Herzog den letzten Generalsekretär der Sowjetunion nach dessen Schmerz über den Verlust seiner Frau Raissa befragt („Do you feel a pain inside?“). „This is my internal problem,“ antwortet der Gigant (auf Russisch).

Was aufgrund der zahlreichen Absurditäten im Gespräch zwischen den beiden zusehends seltsamer werdenden Herren in den Hintergrund gerät, ist der geschichtliche Abriss, den „Meeting Gorbachev“ über die letzten zehn Jahre der Sowjetunion bietet. Den Geschichtsunterricht kann man aber auch bei Hugo Portisch besuchen.

Über das Werk Werner Herzogs von Klaus Kinski bis Michail Gorbatschow erscheint übrigens ein Buch: „Echos. Zum dokumentarischen Werk Werner Herzogs“ - es wird am 19. November im Stadtkino im Künstlerhaus präsentiert.

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