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Neue Biografie über Nico

Nico schwebt wie ein Gespenst durch die Pop- und Gegenkultur: Als Sängerin, Musikerin, Schauspielerin, Mannequin und nihilistische Poetin. Der deutsche Autor Tobias Lehmkuhl hat eine Biografie über Nico geschrieben.

Von David Pfister

Andy Warhol brachte sie zu Velvet Underground, dem Regisseur Federico Fellini diente sie mit ihrem Schauspiel, als Solomusikerin erfand sie eine völlig eigenständige Musik. Genauso spannend ihr Privatleben: Mit dem französischen Schauspieler Alain Delon hatte sie einen Sohn. Weitere prominente Beziehungen führte sie mit Brian Jones oder Jim Morrisson. Und berühmt-berüchtigt wurde sie durch eine zur Schau gestellte Heroinsucht und Herausforderung gesellschaftlicher Normen.

Berühmt wurde die Deutsche Christa Päffgen alias Nico aber als temporäres Mitglied und Sängerin von Velvet Underground. Das war Mitte der Sechzigerjahre. Da war Nico schon längst im internationalen Jetset etabliert. Als gut bezahltes Modell für Mainstreamprodukte - aber eben auch als Schauspielerin und Sängerin.

Universalkünstler Andy Warhol, der The Velvet Underground protegierte, ordnet Velvet Underground-Chef Lou Reed an Nico auf deren Debütplatte zu integrieren. Lou Reed überlässt Nico den Gesang auf drei Liedern nur äußerst widerstrebend. Aber gerade diese drei Lieder die Nico dann auf dem Debütalbum von The Velvet Underground, gegen den Willen des Reeds, mit ihrer tiefen Stimme und ihrem deutschen Akzent singen darf (oder singen muss) verleihen der Band einen exotischen und ernsthaften Nimbus. Und entfesseln die kreative Schaffenskraft von Nico.

Sie verlässt Velvet Underground, beendet ihre Modell- und Schauspielkarriere. Und sie startet eine musikalische Solokarriere, die sich zwar finanziell nur sehr bedingt trägt, die aber in ihrer innovativen Radikalität noch immer beispiellos ist. Nico entwirft kompromisslose existentialistische Texte und eine genauso kompromisslose Kunstmusik.

Nico. Biographie eines Rätsels

Rowohlt Verlag

„Nico. Biographie eines Rästels“ von Tobias Lehmkuhl ist im Rowohlt Verlag erschienen.

Wie das Album „The Velvet Underground and Nico“ stellt Nicos Soloalbum „The Marble Index“ etwas völlig Neues und Eigenständiges dar, etwas, an das sich die Leute langsam gewöhnen mussten. Es nahm vieles vorweg, was erst zehn oder fünfzehn Jahre später salonfähig wurde. Dark Wave oder Gothic Rock sind ohne Nicos eigentliches Debüt schwer vorstellbar, ebenso der weibliche Punk von Siousxsie Sioux oder die orchestralen Experimente Björks.

Mindestens vier Soloalben von Nico sind atemberaubende Arbeiten von enormer musikalischer wie textlicher Tiefe und einer noch immer futuristischen anmutenden Instrumentierung. Trotzdem konnte sich Nico niemals aus dem Schatten von Velvet Underground und Andy Warhol befreien. Überschattet wurde ihr beachtliches künstlerisches Werk auch stets von einer unentwegten Abfolge von Skandalen aus den ewigen Zutaten Sex- und Beziehungskatastrophen, Heroin, politischen Provokationen, der Vernachlässigung ihres Sohnes und persönlicher Verwahrlosung. Wobei vieles dafür spricht, dass Nico die öffentliche Inszenierung eines grenzenlosen Nihilismus als Teil ihrer künstlerischen Äußerung sah. Nico konfrontiert mit einer bedingungslosen Verweigerung von Verantwortung. Etwas was durch Mark und Bein gehen kann.

Das lange blonde Haar des Chelsea-Girl war jetzt graubraun, ihre Gesichtshaut schlaff und gedunsen. Hände und Arme waren verkrustet und vernarbt von Einstichen, ihre Augen wie gebrochene Spiegel.

Inszeniert hat sich Nico auch stets mit Hilfe schamloser Lügen. So behauptete sie etwa Jüdin zu sein oder mit Marlene Dietrich Schauspielunterreicht genommen zu haben. Nichts davon entspricht der Wahrheit.

Dieser Punkt ist es auch der eine Biografie über Nico zu erarbeiten, schwer macht. Interviews mit Nico sind sehr unzuverlässige Quelle und selbst Zeitzeugen können oft nur mehr bedingt rekonstruieren was Wahrheit und was Lüge ist. Und dieser Umstand führt auch zu dem einzigen Kritikpunkt an der Biografie über Nico von Tobias Lehmkuhl. Der Autor neigt manchmal zu pathetischen Ausschmückungen um biografische Lücken zu schließen und schießt dann mit seiner Fantasie und den Adjektiven ein wenig übers Ziel. Ansonsten ist „Nico. Biographie eines Rätsels“ eine erhellende und inspirierende Angelegenheit.

Nico verstarb 1988 bei einem Fahrradunfall auf Ibiza.

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