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Stan Lee

APA/AFP/Behrouz MEHRI

Mr. Marvel

Ein paar persönliche Zeilen zu Stan Lee, dem Erfinder von Spider-Man, Hulk oder den X-Men, der auf Superhelden-Art so manche Kindheit gerettet hat.

Von Christian Fuchs

In den Marvelverfilmungen war er immer nur der liebe alte Herr, dessen Kurzauftritte die Auskenner im Kinosaal wissend auflachen ließen. In meiner Kindheit, in einer längst vergangenen Ära, gehörte Stan Lee zu den wichtigsten Erziehungsberechtigten, neben Captain Kirk, Bruce Lee und den eigenen Eltern.

Damals, in dieser fernen Galaxie der 70er und frühen 80er Jahre, dominierten Superhelden noch nicht via gigantomanischer Blockbuster den Mainstream. Spider-Man in Bewegtbildform turnte bestenfalls in einem selbstgenäht wirkenden Kostüm durch schundige B-Movies. Der martialische Hulk wiederum wurde in einer putzigen TV-Serie von einem grün angemalten Bodybuilder dargestellt. Wollte man sich diesen und vielen anderen Marvelfiguren wirklich nähern, musste man natürlich regelmäßig zum Zeitschriftenkiosk pilgern. Dort wartete ein ganzes Universum voller Heldinnen und Helden in hautengen Spandexkostümen darauf erschlossen zu werden.

Außenseiter mit rebellischem Kampfgeist

Allerdings gehörten Comics in dieser Zeit im deutschen Sprachraum definitiv zum popkulturellen Minderheitenprogramm: Von den Massen ignoriert, von Bildungsbürgern belächelt, von selbsternannten Jugendschützern verdammt. Auf die Marvel-Helden konnte sich, im Gegensatz zu Superman, Batman, Asterix oder diversen Disney-Charakteren, hierzulande erst recht nur eine verschworene Anhängerschaft einigen. In diesen Kreisen galt Stan Lee aber schon immer als Säulenheiliger.

Während nämlich andere Comics einfach nur den Fahrschein in eskapistische Traumreiche darstellten, wurde man im Marvel-Universum, dessen maßgebliche Figuren sich Mr. Lee verdanken, auch mit der harten Realität konfrontiert. Spider-Man, The Incredible Hulk, The X-Men, The Fantastic Four, Iron Man, The Avengers, Thor, Daredevil: All diese und andere legendäre Figuren wurschtelten sich - wenn sie nicht gerade mit Supergangstern und kosmischen Monstern kämpften - ebenso mühsam durch das Leben wie wir kleinen Freaks und Geeks.

Weil viele von ihnen sogar noch größere Außenseiter als wir selbst waren, der Welt aber mit Mut, Humor und rebellischem Kampfgeist begegneten, mutierten sie zu unseren Brüdern und Schwestern im Geiste. Und lenkten uns, mit übermenschlichen Kräften oder auch nur halbcoolen Sprüchen, durch die gefährlichen Abgründe des Schulhof-Alltags.

Stan Lee posiert mit Spider Man Geste

AFP

Zweifelnde Einzelgänger und schwarze Superhelden

Das Migrantenkind Stan Lee, Sohn aus Rumänien stammender Juden, wurde 1922 in New York geboren, einer Stadt, die später den zentralen Hintergrund unzähliger Marvel-Abenteuer bilden sollte. Mit 17 beginnt er als Assistent bei Timely Publications zu arbeiten, der Urzelle des Marvel-Verlags. Als blutjunger Texter verändert Lee die Welt der Comics von Grund auf. Er erfindet den Antihelden, der sehr menschlich mit inneren Konflikten und bösen Gegnern hadert.

Den Marvel-Kosmos bevölkerten dank Lee Einzelgänger und Zweifler, mit deren Schwächen man sich identifizieren kann: der gequälte Hulk, der zum modernen Frankensten-Monster wird. Der tragische Silver Surfer, der einsam durch das Weltall reist, die mutierten Außenseiter, die sich als X-Men zusammenschließen, ein blinder Anwalt names Matt Murdock, der zum nächtlichen Rächer Daredevil wird. Unsterblich wird Lee mit einem schüchternen Teenager namens Peter Parker, der von einer radioaktiven Spinne gebissen wird. Zunächst lehnt der Herausgeber das Konzept ab: „You can’t call your hero Spider-Man. People hate spiders.“

1965 gründet Stan Lee das Imperium Marvel mit, seine Innovationen sind sowohl auf der formalen als auch der inhaltlichen Ebene unzählige: Für Spiderman führt er eigens den „thought ballon“, die Gedankenblase ein und auch die ersten schwarzen Superhelden ever entstammen seiner Feder. Nebenbei inspirierte der deklarierte Vielschreiber Legionen von Comic-Innovatoren wie Alan Moore. Den Rest der Legendenbildung besorgt Hollywood seit den Nullerjahren mit einer megaerfolgreichen Marvel-Verfilmung nach der anderen.

In den besten Momenten der mittlerweile inflationär gewordenen Kinofilme, aber natürlich vor allem in den fantastischen Bildgeschichten, die Stan Lee zusammen mit Zeichner-Ikonen wie Jack Kirby oder Steve Ditko kreierte, flackert ein rührender Humanismus auf. Der Godfather des Marvel-Universums mit dem großen Herz ergreift stets für die Randfiguren und Outsider Partei, für die Verlierer von nebenan - die trotzdem niemals aufgeben. Mit dieser Botschaft hat Mr. Marvel schon Kindheiten gerettet, meine zum Beispiel. Nicht nur dafür werde ich dem Comicgott Stan Lee ewig dankbar sein, der jetzt mit 95 Jahren in den Quantum Realm oder nach Asgard hinübergeflogen ist.

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