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Julia Roberts in "Homecoming"

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Stylishes Suspense-Puzzle

Julia Roberts-Kritiker, ihr müsst euch ein neues Hobby suchen. In der Thriller-Serie „Homecoming“ brilliert Roberts mit Zurückhaltung. Hier wird Erinnerung, Trauma und Reue höchst stylisch und referenzreich verpackt.

Von Pia Reiser

Jordan Peele hat es mit seinem Film „Get Out“ geschafft, dass ich, wenn in einem Film ein junger schwarzer Mann in einem Sessel mit Armlehnen Platz nimmt, sofort Schreckliches vermute und Get Out schreien möchte.

Im Fall der Serie „Homecoming“ ist das auch der richtige Impuls: Der junge Mann, der in der Serie hier inmitten von herrlich ausgeleuchtetem Mid-Century-Mobiliar und Instagram-approved Betonblumentöpfen mit Sukkulenten sitzt, ist ein US-Soldat, der soeben vom Einsatz in Afghanistan zurückgekehrt ist. Eine Einrichtung namens „Homecoming“ hat sich seiner angenommen, sie will Soldaten wie Walter die Rückkehr ins zivile Leben erleichtern. Workshops, Trainings für Vorstellungsgespräche, Gesprächstherapie, gutes Essen und das Ganze in einem Inneneinrichtungs-Traum.

Szenenbilder aus "Homecoming"

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Die Schönheit der hier ordentlich farbentsättigten Dinge wird nur gestört - oder auch: noch interessanter gemacht - durch die von der ersten Sekunde an leicht bedrohliche, unangenehme Atmosphäre. Als hätte jemand die Essenz der Paranoia-Politthriller der 1970er Jahre in Raumspray verwandelt und dann großzügig versprüht. „Homecoming“ näher sich nicht nur thematisch und visuell den Verschwörungs-Thrillern mit obligatorischem Misstrauen gegenüber der Regierung an. Für Menschen mit einem umfangreichen Filmgedächtnis wird „Homecoming“ auch auf der Sound-Ebene angenehm irritierend, denn hier spielt sich ein Best-of-Soundtracks ab. Die musikalischen Themen aus „All the president’s men“, „Vertigo“, „Body Double“ und „The Conversation“ erklingen, immer perfekt eingesetzt. (Hier die beeindruckende Liste der verwendeten Soundtracks). Auch hier heißt das thematische Grundthema: Etwas stimmt hier nicht, also: Get Out!

Come in, sagt aber eine Frau namens Heidi Bergman, die sich hier der Soldaten annimmt und lange Gespräche mit ihnen führt. Und die Rolle der Heidi Bergman wird wohl dazu führen, dass auch hartnäckige Julia-Roberts-VerweigerInnen nun in den „Julia Roberts Appreciation Club“ überwechseln. Ihnen ein herzliches Willkommen und ein leises das hat aber lange gedauert. In ihrer ersten Rolle seit langem für - früher hätte man das Fernsehen genannt - den kleinen Bildschirm, brilliert Roberts mit zurückhaltendem Spiel. Wenn sich ihr berühmtes breites „America’s Sweetheart“-Lächlen dann doch mal ausbreitet, dann hat das nichts mit dem einnehmenden Lachen der früheren Rom Com Queen zu tun, sondern dann ist das ein letztes Aufraffen der Gesichtsmuskeln, die Fassung zu bewahren.

Szenenbilder aus "Homecoming"

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Der Gegenpol zu Roberts Zurückhaltung ist die Tour de Force namens Bobby Cannavale. In herrlichen Split Screens sieht man Colin (Cannavale) und Heidi (Roberts) telefonieren. Er scheint der Boss des fadenscheinigen Unternehmens namens Homecoming zu sein, doch er scheint auch alles dafür zu tun, niemals dort aufzutauchen. Was den Drehbuchautoren die Möglichkeit gibt, ihn wild gestikulierend durch herrliche Szenarien (u.a. den Kindergeburtstag seiner kleinen Tochter), zu schicken, während Roberts sich in der geordneten, geometrischen Einrichtung aufhält. Doch irgendwo in dieser Ordnung, irgendwo zwischen den. an die Soldaten verabreichten, Medikamenten und den Sitzungen mit Heidi, ist etwas faul und Shea Whigham ist als Regierungsbeamter entschlossen, herauszufinden, was genau hier vor sich gegangen ist.

Die Schönheit und Suspense von „Homecoming“ entfaltet sich auf zwei Zeitebenen. In einer hat Heidi Bergman dann plötzlich keine exzellent geföhnten Stirnfransen mehr und für weniger haarfixierte ZuseherInnen gibt es noch einen deutlicheren Unterscheidungsgrund: Das Bildformat ändert sich. Rechts und links sind dicke schwarze Balken. Einen ohnehin schon als eher klein anzunehmenden Laptop - oder meinetwegen auch Fernsehbildschirm noch kleiner zu machen, dafür braucht es Chuzpe, und davon hat „Homecoming“-Mastermind Sam Esmail (Mr. Robot) mehr als genug. Er nimmt kein Format als gegeben hin. Weder was die Bildgröße, doch die Dauer angeht: Jede Episode von „Homecoming“ dauert zwischen 25 und 30 Minuten, klassischerweise eher ein Format für lustige Serien - wie funktioniert also ein Thriller im halbstunden-Happen? Großartig. Wie funktioniert es in der Binge-Variante, wenn man also einen 5-stündigen Thriller anschaut? Großartig.

„Homecoming“ beruht auf dem gleichnamigen Gimlet-Podcast, bei dem ua Catherine Keener und Oscar Isaacs als SprecherInnen mitgewirkt haben.

Immer wieder zeigt die Kamera in einnehmend schönen, symmetrischen Overhead-Shots die Figuren in Isolation. Selbst den schon lange aus der Mode gekommenen Zoom beherrscht „Homecoming“ und zeigt, man braucht keine erklärerischen Dialoge. Wenn man das Handwerk beherrscht, dann genügt ein wohl Hitchcock-inspirierter Zoom auf eine aufgeschnittene Ananas, um zu sagen, hier stimmt was nicht. Die Aufnahme ist so schön, dass ich die Szene stoppe, um länger auf die Ananas zu starren. Sogar den Dolly-Zoom, den Hitchcock in „Vertigo“ und Steven Spielberg in „Jaws“ einsetzt, trifft man in „Homecoming“ und diese Technik illustriert perfekt diesen Moment, in dem eine Figur einen erschreckenden Moment der Erkenntnis hat.

Szenenbilder aus "Homecoming"

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„Homecoming“ strickt eine Geschichte über Erinnerung und Trauma, angezuckert mit der atemanhaltenmachenden Atmosphäre von Verschwörungsthrillern und mehr Style als ein Jahresabo von „Architectural Digest“.

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