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Charles Bradley

APA/GEORG HOCHMUTH

Ein letzter Flug vom „Screaming Eagle of Soul“

Mit „Black Velvet“ hat Daptone Records vor wenigen Tagen ein neues, letztes Album des 2017 verstorbenen Soul-Sängers Charles Bradley veröffentlicht. Mit bisher größtenteils ungehörten Songs, die in den vergangenen acht Jahren entstanden sind.

Von Alex „DJ Phekt“ Hertel

Es gibt Interviews und Menschen, die man sein Leben lang nicht mehr vergisst. Mein erstes Zusammentreffen mit Charles Bradley im Frühjahr 2010 zählt zu dieser Kategorie.

Die Menschen von Daptone Records bzw. dessen Schwester-Label Truth & Soul hatten damals mit diversen Alben von Künstlern wie Sharon Jones & the Dap-Kings, der Menahan Street Band, El Michels Affair, Lee Fields und Produktionen für Amy Winehouse dem Soul-Genre neues Leben eingehaucht. Das Prinzip war genial: junge Musiker aus Brooklyn, die mit Liebe zum Detail und jeder Menge Vintage Equipment jenen zeitlosen Soul-, Funk- und R&B-Sound in die Gegenwart hievten, zu dem schon ihre Eltern Dekaden davor getanzt hatten und der die Sample-Basis vieler ihrer Lieblings Rap-Songs war. Als Vokalisten wurden meist wesentlich ältere Künstlerinnen und Künstler engagiert, denen der große Durchbruch in der goldenen Ära von Labels wie Motown oder Stax aus unterschiedlichen Gründen verwehrt geblieben war. Charles Bradley war zu der Zeit im Alter von 62 Jahren die Neuentdeckung des Labels und hatte mit „No time for dreaming“ gerade sein erstes offizielles Album aufgenommen.

Fasziniert von diesem frischen, alten Sound, der da von New York aus die Welt eroberte, bin ich im Februar 2010 nach Amsterdam geflogen. Die Menahan Street Band war live im Paradiso, um das neue Lee-Fields-Album „My World“ zu präsentieren. Im Vorprogramm war Charles Bradley, mit dessen Werk ich noch nicht sehr vertraut war. Seine Show als Support Act war allerdings absolut bezaubernd und ich ab dem Moment großer Fan. Seine emotionale, kraftvolle Stimme, seine Gestik, die Tanz-Moves, die maßgeschneiderten Bühnenkostüme mit dem silbernen Adler am Rücken: Charles Bradley - der „Screaming Eagle of Soul“ - wirkte wie ein Musik-Dinosaurier, ein Künstler aus einer anderen Zeit, der das Wesen und die Essenz von Soul-Musik so authentisch in die Gegenwart transportierte, wie ich es davor noch nie erlebt hatte. Nach dem Konzert umarmte er mit Tränen in den Augen gefühlt jede Person im Publikum.

Ich hatte nach den Konzerten mit beiden Künstlern einen Interview-Termin im Backstage-Raum vom Paradiso vereinbart.

Mr. Black Velvet

„Black Velvet“ - unter diesem Künstlernamen war Charles Bradley viele Jahre in kleinen Bars als James-Brown-Imitator aufgetreten. Als jungen Mann hatte ihn seine Schwester ins Apollo Theater in Harlem mitgenommen, um James Brown bei einem seiner legendären Auftritte live zu sehen. Ein einschneidendes Erlebnis, das Charles Bradley dazu inspirierte, selbst zu singen.

Schicksalsschläge, Enttäuschungen, schlecht bezahlte Handwerker-Jobs. In der Doku Soul of America wird ausführlich gezeigt, wie steinig der Weg von Charles Bradley vor seiner Entdeckung durch Daptone Records war. Und es erklärt auch, warum er beim Interview so gerührt war.

Denn der Auftritt in Amsterdam war eines seiner ersten Konzerte außerhalb Amerikas. Die märchenhafte Schicksalswende in seinem Leben war noch ganz frisch und die plötzliche Aufmerksamkeit für ihn noch ungewohnt.

Charles Bradley konnte es nicht fassen, dass ich extra aus Wien nach Amsterdam gekommen war, um ihn und Lee Fields zu interviewen. Mit einer fast kindlichen Neugier wollte er mehr über mich, Wien und Europa wissen. Er erzählte von seinem Leben, seinem Werdegang, seiner Freundschaft mit Thomas TNT Brenneck von der Menahan Street Band und dem Wunder, das ihm mit der Entdeckung durch Daptone Records widerfahren ist. Egal wie hart sein Leben auch war, er wurde nie negativ, aggressiv oder hoffnungslos. Liebe war sein Zauberwort. Liebe zum Leben, Liebe für die Menschen, Liebe zur Musik. In einer Art Doppelkonferenz sprachen Lee Fields, Charles Bradley und ich über den neuen Soul-Hype, über ihre Meinung zum Sampling im Hip Hop (Charles Bradley war im Gegensatz zu Lee Fields kein großer Fan davon), über Politik, Rassismus und natürlich über ihre aktuellen Alben.

Am Ende des Gesprächs kritzelte Charles Bradley noch seine Telefonnummer auf einen Zettel. Ich sollte mich unbedingt melden, wenn ich einmal nach New York kommen würde. Er wollte mir seine Nachbarschaft und „sein“ Brooklyn zeigen. Ein rührender Moment, der so, glaube ich, nur passiert ist, weil Charles Bradley noch nicht ahnen konnte, wie viele Journalisten und Menschen aus der Musikbranche er in den kommenden Jahren noch kennenlernen sollte.

Charles Bradley Cover mit Zettel

Radio FM4 / Alex Hertel

Wir sind uns dann im Laufe der Jahre noch mehrmals begegnet und bei jedem Treffen hat er mit leuchtenden Augen erzählt, was sich bei ihm alles getan hat. Es ist eine Genugtuung, dass dieser vom Leben gezeichnete Mann in seinen letzten Jahren doch auch noch Glück erfahren durfte. Leider ist er dann im Herbst 2017 einem Krebsleiden erlegen.

Die letzte Platte

Jetzt sind auf „Black Velvet“, seinem vierten Album, posthum Songs erschienen, die während der Aufnahmen zu Alben wie „No time for dreaming“, „Victim of Love“ und „Changes“ entstanden sind. Außerdem sind darauf ein paar Tracks, die bisher nur in limitierter Form als Vinyl-Singles erhältlich waren. Zum Beispiel seine Neil-Young-Cover-Version von „Heart of Gold“.

Eine wunderschöne Platte von einem außergewöhnlichen Sänger, der spät, aber doch noch sehr viele Menschen mit seiner Stimme berührt hat.

RIP Charles Bradley

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