Cowboy-Karikaturen
Von Christian Fuchs
Die von Cinephilen verehrten Coen-Brothers drehen eine Serie für Netflix? Diese Vorabmeldung sorgt zurecht für Aufregung unter Filmfans. Wenn schon eine Serie wie „Fargo“ so großartig geworden ist, die ja nur von ihrem gleichnamigen Oscar-Abräumer inspiriert ist, was stellen dann erst die Brüder persönlich im Regiestuhl an? Kurz vor der heurigen Weltpremiere in Venedig entpuppt sich „The Ballad of Buster Scruggs“ aber dann doch als Film: Eine Western-Anthologie, aufgeteilt in sechs miteinander nicht zusammenhängende Episoden.
Moment, Serie oder Film hin und her, wenn sich Joel und Ethan Coen dem Westerngenre nähern, reicht das auch für Euphorie oder? Zwar konnte ihr Cowgirl-Drama „True Grit“ 2010 nicht vollständig überzeugen. Aber elektrisierende Westerneinflüsse ziehen sich durch viele Coen-Highlights. Leider, muss man sich auch als Fan eingestehen, kommt „The Ballad of Buster Scruggs“ nicht einmal entfernt an Meisterwerke wie „No Country for Old Men“ heran.
Netflix
Morbide Wild-West-Sketches
Um eine realistische Annäherung an die Frontierzeit geht es den Coens natürlich nur am Rande. Ihre filmische Hommage verbeugt sich vor singing Cowboys aus der Frühzeit des Kinos ebenso wie vor blutigen Spaghetti-Western. Der Anthologiestreifen wirkt durch und durch artifiziell, was ja erst einmal eine spannende Sache sein kann. Auch sind an der Oberfläche alle typischen Coen-Ingredienzen vorhanden: Die Vorliebe für nihilistische Outlaws und schrullige Loser, der Hang zur exzentrischen Stilisierung, der morbide Humor.
Aber die Revolverhelden erweisen sich als grob skizzierte Karikaturen, den Versagertypen begegnet der Film mit eisigem Zynismus und die slapstickhaften Einlagen erweisen sich meistens nur als schlechter Witz. Auch ambitionierte Akteure wie Liam Neeson, James Franco, Zoe Kazan oder Tom Waits können über die schwachen Pointen und dünnen Geschichten dieser morbiden Wild-West-Sketches nicht hinweghelfen. Dass der Geschichtenreigen Bezüge zur amerikanischen Gegenwart herstellt und gar als politische Kritik zu verstehen ist, wie manche Kritiker bemerkten, macht das Ergebnis leider nicht besser.
Netflix
Keine Ansätze von Humanismus
Das Leben ist eine Qual, der Mensch schlecht, der Tod lauert an jeder Ecke: Der rabenschwarze Fatalismus, der die unterschiedlichen Episoden verbindet, ist ein Markenzeichen der Coen-Brüder. Aber während in ihren besten Filmen auch immer Mitgefühl aufblitzt, werden in „The Ballad of Buster Scruggs“ alle Ansätze von Humanismus abgeschossen. Im wahren Sinn des Wortes. Nur die tatsächlich schön-schaurigen Bilder bleiben.
Die gegenwärtige tobende, hitzige Diskussion, ob Streaming das Kino am Ende killt, kann also bei anderen Filmen geführt werden. Alfonso Cuaróns demnächst auf Netflix kommender Geniestreich „Roma“ zum Beispiel schreit nach großer Leinwand, bei Martin Scorsese „The Irishman“, der auf der Plattform 2019 gestreamed werden kann, werden Kinoliebhaber wohl ebenso aufseufzen. Der eher missglückten Ballade von Buster Scruggs muss man dagegen nicht nachweinen.
Publiziert am 15.11.2018