FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

The Breeders im Flex

FM4 | Ute Hölzl

review

Drei Konzert-Highlights an nur einem Abend

Gitarren-Fans hatten gestern die Qual der Gig-Wahl: In drei verschiedenen Wiener Venues fanden Konzerte von KünstlerInnen statt, deren Fan-Mengen sich überschneiden. In der Arena war der amerikanische Singer/Songwriter Father John Misty zu Gast, im Flex gab es Besuch von Heldinnen des 90er-Jahre-Indierocks, nämlich den Breeders, und in der SimmCity ist die britische Gitarristin Anna Calvi aufgetreten.

Drei FM4 Autorinnen sind zu „ihren“ Konzerten gepilgert und fragen sich nun: Wer hat das Beste Konzert gesehen?

Anna Calvi im Roadhouse Club in Simmering

Von Christian Fuchs

Geht das überhaupt, die fantastische Anna Calvi live in dieser Location? Braucht die Frau, deren cineastisch angelegte Songs „Bilder zwischen Lynch und Morricone“ produzieren, nicht einen ganz anderen Konzertort als die SimmCity, mitten in einem Einkaufszentrum in Simmering? Wird die nüchterne Sterilität der Umgebung nicht mit den obsessiven Liedern der Britin kollidieren?

Kaum hat Calvi die ganz in rotes Licht getauchte Bühne betreten, verschwinden alle diesbezüglichen Zweifel. Die SimmCity verwandelt sich auf der Stelle in den Roadhouse Club, mitten in Twin Peaks. Eine elektrisierende Stimmung liegt in der Luft. Anna Calvi beginnt mit einem leisen Song, füllt nur mit ihrer Stimme den Raum aus. Als sie dann aggressiv in die Saiten ihrer Gitarre schlägt, kongenial unterstützt von einem Drummer und einer Keyboarderin, stellt sich Gänsehaut ein. Kennt man nur Calvis eher poppig produzierte Alben, dann ist man auf diese Gitarre nicht vorbereitet, auf das Wechselspiel aus Virtuosität und Krach, bei dem jeder dissonante Ton genau im richtigen Moment kommt.

Überhaupt, es könnte keinen besseren Zeitpunkt für ein Comeback der entfesselten, kreischenden Gitarre geben. Draußen, in der Welt vor dem Simmeringer Roadhouse Club, wo HipHop, EDM-BummBumm und in Indiehausen der anämische Dreampop regieren, wird das Instrument von Musikmagazinen gerade als Relikt entsorgt. Was ja auch eine ganze Weile, in der Ära der austauschbaren Vintagebands und unverbesserlichen Rockisten, seine Berechtigung hatte. Jetzt aber, wo sich auch elektronische Musiken in Retroschleifen drehen und eine unerhörte Gefälligkeit zum guten Band-Ton gehört, wirkt Gitarrenlärm plötzlich wieder aufwühlend. Vor allem, wenn die Noise-Kaskaden so auf den Punkt kommen und von einer zierlichen Frau, die auf der Bühne zu beeindruckender Größe wächst.

Mehr zu Anna Calvis neuem Album „Hunter“: Die Gejagte als Jägerin (Christian Lehner)

Als das Konzert im Finale ekstatische Züge annimmt und Anna Calvi ihre Gitarre über dem Kopf schwingt, in einem Akt, der Selbstermächtigung und herrliche Pose zugleich darstellt, verschwimmen tatsächlich die Geschlechterklischees, die sie in ihren Songs so attackiert. „Walking and talking as a man“, heult Calvi mit gewaltiger Stimme, Jimi Hendrix, Jimmy Page oder Jim Morrison mutieren rückwirkend zu Frauen, David Bowie, PJ Harvey und Nick Cave tanzen als androgyne Geistergeschwister auf der Bühne zu den furiosen Songs. Der Electropunk-Klassiker „Ghostrider“ von Suicide, von Anna Calvi mit fiebriger Intensität gecovert, erweist sich nach all den Leidenschaftshymnen dann als bestmöglicher Schlusstrack. Als die Lichter im Saal angehen und sich Twin Peaks wieder in Simmering verwandelt, ist klar: Das war jetzt eines der Konzerte des Jahres, mindestens.

Mr. Tillman, good to see you again

Von Lisa Schneider

Das Licht strahlend rot, der Anzug strahlend weiß, er ist da, ruft langgezogen „Jesus Christ“. Die Messe in der Wiener Arena ist eröffnet. Und dabei ist ja nicht Jesus, sondern Father John Misty der echte unechte Name von Josh Tillmann. Das Weltliche und Religiöse, Falsche und Richtige, Selbsthass und Selbstverliebtheit mischt Father John zu einer einzigartigen Essenz. Seinen Gedanken lauscht man da, seinen Urteilen, seinen Wünschen, Hoffnungen, und der Selbstzurechtweisung. Ist er im einen Moment sein eigener Held, ist er im nächsten der Dreck, direkt am Boden. Dass das alles bald einem umfassenden Publikum gefallen muss, es war nur eine Frage der Zeit.

Denkt man zurück an den Auftritt von Father John genau hier, in der Wiener Arena, vor drei Jahren, merkt man, was sich geändert hat. Damals noch als Support-Act für Adam Granduciel und seine The War On Drugs unterwegs, hat Josh Tillmann da vor allem noch der großen Geste gehuldigt: „I love you, Honeybear“ hieß das aktuelle Album, ein überbordendes, kitsch- wie ironiegeschwängertes Sammelsurium an Folkpop und Schmalz, Randy-Newman-Klavier, Bläsersätzen, literarischen Glanzleistungen. Nicht nur in die Livemusik hat sich Father John Misty wie von Sinnen gesteigert, auch Mikroständer und Bühnenboden selbst sind zum Spielzeug geworden, zum Sich-Hinwerfen, Die-Haare-Raufen, Schreien. Beten.

Die Theatralik in Father John Mistys Auftreten konzentriert sich mittlerweile auf einen dezenten Hüftschwung und die rotverglaste Sonnenbrille, die er seit Tourbeginn gar nicht mehr abzunehmen scheint. Älter, abgebrühter, der Erfolg? Der Erfolg sicherlich, das amerikanische Magazin Pitchfork etwa postet gefühlt jeden zweiten Tag etwas zu Liebe, Lust und Leben des J. Tillmann – er ist überall. Ein breiter Siegeszug ist ihm heuer auch auf europäischen Festivals gelungen, im Gepäck ein Album, in dem all die Erfahrungen der letzten Jahre resultieren: „God’s Favorite Costumer“. Die Liebe ist noch da, aber auch der Weltschmerz einer „Pure Comedy“. Und gleichzeitig wird wieder alles in Frage gestellt, auch live steht Father John Misty mit seinem Publikum wieder im ewigen Dialog: What’s your politics, what’s your religion? Es geht auf seiner aktuellen Tour um nicht weniger als um alles: Inhaltlich geht es quer durch alle Alben, es sind die größten Crowds, die er bespielt hat. Eine saftige Mischung, die staunen macht - ihn und das Publikum.

Die Liveband ist dieselbe wie auch auf den großen Festivals im Sommer, „eingespielt“ möchte man sagen, und die Wiener Arena ist bis auf den Balkon hinauf vollgefüllt. Father John Misty sind vielleicht schon Gerüchte darüber zu Ohren gekommen: Eigentlich geben sie ein schönes Paar ab, J. Tillmann und das österreichische Publikum, der hedonistische, zynische Prophet und die immer grantige, ab und zu liebenswerte Meute.

Diese Band ist dein Leben – The Breeders

Von Alexandra Augustin

Konzertmomente erinnern einen im besten Fall an die eigene Lebendigkeit. Lieblingsbands sind mehr als nur Produzentinnen von guter Musik. Es sind Identifikationsfiguren, role models und Wegbegleiterinnen. Sie bieten einen escape plan an, hinaus aus der Tristesse des Alltags, der kleingeistigen Kleinstadt, in die man nicht zu passen scheint. Die besten Konzerte sind rettende Anker für die Ewigkeit. Ein Stück eigene Biografie. Und was man den Breeders - allen voran Sängerin und Gitarristin Kim Deal verdankt – persönlich als auch musikgeschichtlich: Darüber könnte man wissenschaftliche Abhandlungen verfassen. Kurt Cobain hat in sämtlichen Interviews immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig Kim Deal mit ihrer ersten Band The Pixies für die musikalische Entwicklung von Nirvana gewesen ist, allen voran die Platte „Surfer Rosa“ von 1988. Aber auch das Debüt der Breeders – „Pod“ von 1990 und die legendäre Platte „Last Splash“ von 1993, die sich allein in den USA über 1 Million Mal verkauft hat.

View this post on Instagram

#thebreeders #concert #vienna #love

A post shared by @ mssklng on

Einst bei den legendären Pixies am Bass, gründete Kim Deal 1988 ihre eigene Band und war maßgeblich für die Entstehung von Grunge und Indierock mitverantwortlich. David Bowie verehrte Pixies als auch The Breeders. Er hat sogar eine Nummer gecovert. Und: Ohne Kim & Kelley Deal, Josephine Wiggs und Jim MacPherson von den Breeders wäre es heute nicht selbstverständlich, dass Frauen im Musikzirkus den Ton mitbestimmen. Bands wie The Breeders, Hole, L7, Babes in Toyland: Das waren in den 1990er Jahren die ersten GitarrenHELDINNEN. Courtney Barnett, Anna Calvi, Florence Welch, Annie Clark aka St. Vincent, Beth Ditto heißen die Heldinnen heute. Oder hierzulande Dives, Aivery, Soap&Skin, Mavi Phoenix und Mira Lu Kovacs. Girls to the front!

Gestern Abend waren wir alle Fans. Wir waren wieder Teenager und Suchende und feierten die Liebe zur Musik. Wir feierten „unsere“ Hits: Cannonball, No Aloha, Divine Hammer. Wir feierten die neuen Songs der Breeders. Wir feierten sogar die alte Pixies-Nummer „Gigantic“, die die Breeders live performten, einer der besten Songs der Pixies, aus der Feder von Kim Deal, zurückerorbert.

Alexandra Augustin mit FreundInnen und The Breeders

FM4 | Alexandra Augustin

Der schönste Tag in deinem Leben ist ein Donnerstag, an dem du beim Heimfahren bemerkst, dass du fünf Straßenbahnstationen zu weit gefahren bist, weil du noch so mitgenommen bist von der Show, weil du deine großen Heldinnen live erleben darfst. Eine handsignierte Platte deiner Lieblingsband in deiner Hand. Ein verschwommenes Foto auf deinem Handy, mit allen Freunden und deiner Lieblingsband daneben. Danke, Breeders!

Aktuell: