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Wenn Flucht die Familie prägt

Der Roman „Ziegelbrennen“ von Christian Lorenz Müller erzählt eine weitreichende Familiengeschichte mithilfe von vielen unterschiedlichen Stimmen. Die Erzählungen beginnen mit der Zeit der faschistischen Ustascha-Diktatur in Kroatien während des Zweiten Weltkriegs und enden im Heute.

Von Sophie Liebhart

Jasenovac war während des zweiten Weltkriegs ein Konzentrationslager in Kroatien. Es war das einzige Vernichtungslager in Europa, in dem ohne Beteiligung der deutschen Nazis systematisch Tausende Menschen ermordet wurden. Es starben überwiegend dort gefangen gehaltene Serben, Juden, Roma, Kroaten und bosnische Muslime.

Autor Christian Lorenz Müller

Christian Lorenz Müller

Christian Lorenz Müller wurde 1972 in Rosenheim/Bayern geboren. Er ist gelernter Trompetenmacher und lebt in Salzburg. Sein zweiter Roman „Ziegelbrennen“ ist im Otto Müller Verlag erschienen.

Das KZ Jasenovac kommt im Roman „Ziegelbrennen“ von Christian Lorenz Müller immer wieder vor. Es wirkt wie eine Art Mahnmal. Ein bedrohliches Mahnmal während des Krieges - denn dort will niemand landen. Und später ein Mahnmal gegen das Vergessen.

„In Jasenovac gab es kein Gas, deshalb versuchte man eine Zeit lang, die Häftlinge zu verbrennen, bei lebendigem Leib, und als das nicht möglich war, weil sich die Leute wehrten, bis sie über den Haufen geschossen wurden, schichtete man sie tot in die Kammern, und dann qualmte der Schornstein dreckig über das Lagergelände. Eine schwarze, klebrige Hölle.“

Drei Erzählstränge

Der Roman „Ziegelbrennen“ wird aus drei ganz unterschiedlichen Perspektiven erzählt: Da gibt es die gebürtige Kroatin Rosmarinka, die als junges Mädchen den 12 Jahre älteren Donauschwaben Raimund Quendler heiratet. Sie zieht zu seiner Familie auf einen kleinen Bauernhof, auf dem sie tagtäglich hart arbeiten muss. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs bedrängen Partisanen den Hof der Familie Quendler und so fliehen die Quendlers nach Österreich, wo ein Neuanfang nur mit großer Not gelingt. Rosmarinka beginnt in einer Ziegelfabrik zu arbeiten - das ist die einzige Chance für sie, ein neues Leben anzufangen.

Rosmarinkas Sohn Anton soll es einmal besser haben. Jahrzehnte später erzählt er seine Geschichte in Form von Briefen an seinen Schwiegersohn Arthur. Seine via Fax vermittelten Nachrichten spannen einen etwas holprigen Bogen von damals bis heute, denn Anton ist zunehmend verwirrt.

Seine Nachrichten sind für seinen „Schwiegerfreund“ aber trotzdem von großer Bedeutung, denn Arthur ist Historiker und forscht über die faschistische Ustascha-Diktatur in Kroatien während des Zweiten Weltkriegs und über die Ereignisse der 1990er Jahre auf dem Balkan. Rosmarinka ist die Großmutter seiner Lebensgefährtin. Sowohl Rosmarinka als auch ihr Sohn Anton beginnen nach und nach, dem Historiker ihre Geschichte zu erzählen. Und so bekommt seine Forschungstätigkeit eine sehr persönliche Note.

Viele Stimmen erzählen eine Familiengeschichte

„Ziegelbrennen“ ist eine sehr weitreichende Familiengeschichte. Erzählt wird sie mithilfe von vielen unterschiedlichen Stimmen, die sehr sprunghaft wechseln. Bis man sich an den Rhythmus gewöhnt, ist das Lesen durchaus eine Herausforderung. Dass die Geschichte aber so viele Jahrzehnte umspannt, fesselt nach und nach. Bild fügt sich an Bild und ein Zusammenhang nach dem anderen wird deutlich.

Und auch die heutige Relevanz dieser von Flucht geprägten Familiengeschichte wird schnell klar: Denn im Herbst 2015 sind Zehntausende Syrer, Iraker und Afghanen auf der Flucht durch den Osten Kroatiens gezogen. Und auch der Roman endet genau in der Gegend, in der Rosmarinka aufgewachsen ist, als der Historiker Arthur sich dort auf Spurensuche begibt.

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