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Fische in einem Aquarium

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Buch

Das Schweigen der Fische

Der österreichische Autor Paul Ferstl hat mit „Fischsitter“ einen hervorragenden Roman geschrieben, irgendwo zwischen Komödie und der Andeutung eines Psycho-Thrillers.

Von Christian Pausch

„Itadakimasu!“, das Wort, das man in Japan vor jedem Essen zu niemand bestimmten, am ehesten noch zu sich selbst, sagt, steht ganz am Anfang des neuen Romans von Paul Ferstl. Und somit ist eines schnell klar: in „Fischsitter“ wird viel gegessen, aber wenig zueinander gesprochen.

„Du kleiner Wichser!“, sagte Keller nicht.

Alex Keller ist die Hauptfigur in dieser Geschichte, die als Komödie beginnt, aber nicht als solche endet. Keller ist Fischzüchter, Besitzer eines Wiener Aquariengeschäfts für superreiche Kunden und Speisefisch-Connaisseur zugleich. Irgendwie dreht sich in Kellers Leben also alles um Fische und dennoch hat er Angst vor offenen Gewässern, ganz typisch neurotischer Mittdreißiger. Seine Freundin Mary heißt eigentlich Mariko und ist die Tochter eines japanisch-tschechisch-österreichischen Kunsthändlerpärchens, die die Kunstwerke des Großvaters und international bekannten japanischen Künstlers Akira Benshi verwalten.

Dieser hat seit Jahrzehnten kein Wort mehr gesprochen, als Reaktion auf den Verlust all seiner Familienmitglieder beim Atombombenabwurf über Nagasaki. Das Schweigen wusste die Familie seither einerseits gekonnt zu vermarkten und hat Benshi als geheimnisvollen alten Japaner verkauft. Andererseits treibt das Nichtgesagte alle langsam in den verschrobenen Wahnsinn. Die Verwirrung und Empörung ist verständlicherweise groß, als Keller zum ersten Mal in den familieneigenen Vierkanthof in der österreichischen Peripherie geladen wird und Großvater Benshi ausgerechnet ihm eine - den Umständen entsprechend - viel zu banale Frage stellt, und damit sein jahrelanges Schweigen bricht.

Buchcover von Paul Ferstls "Fischsitter"

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„Fischsitter“ von Paul Ferstl, erschienen bei Milena.

Während Keller diese Ehre gar nicht zu verstehen vermag, sind Mutter, Vater und Tochter alle aus anderen Gründen betroffen über den plötzlichen Bruch des Schweigegelübdes. Hervorragend zeichnet Autor Ferstl die inneren und äußeren Kämpfe der einzelnen Figuren mit diesem Umstand nach, der für alle neu ist, außer für Keller, der den Großvater in seiner Schweigephase ja gar nicht kannte. Dem alten Japaner gefällt diese Unbefangenheit des Schwiegerenkels und so werden die beiden Verbündete, schmieden geheime Pläne, trinken viele teure Weine, reißen buchstäblich zusammen Bäume aus und essen Fisch. Jede Menge Fisch.

Etwas stimmt nicht...

Es ist eine lustig-neurotische Szenerie, die Ferstl in den ersten Kapiteln von „Fischsitter“ entwirft, nicht selten muss man beim Lesen laut auflachen über die Dialoge zwischen Keller und Benshi, oder über die als absurd-komisch beschriebene Welt des Kunsthandels. Doch irgendwo schwingt auch immer das Gefühl mit, dass hier etwas nicht stimmt. Der Großvater, der so lange nichts gesagt hat, sagt plötzlich zu viel, nämlich auch Dinge, die seine Familie und vor allem auch Keller gar nicht hören will. Durch das Brechen seines Schweigens offenbaren sich plötzlich Dynamiken und Wahrheiten, die vorher viel zu lange todgeschwiegen wurden. Aus der anfänglichen Komödie wird ein gruseliges Kammerspiel am Rande eines Psychothrillers.

Plötzlich ist der Vierkanthof mehr Gefängnis als Ort künstlerischer Entfaltung. Das Herzstück des Anwesens - der sorgfältig geplante japanische Garten - wird zur Stätte von willkürlichen Zerstörungsakten, die der alte Benshi anordnet und Keller, oft gegen seinen eigentlichen Willen, hörig ausführt. Die einzelnen Familienmitglieder erleben in wenigen Tagen Zerfall und Ohnmacht, plötzlich wird viel zu viel gesprochen, aber nie miteinander.

„Krieg und Kunst, das macht jeden fertig.“

Der Wechsel im Roman vollzieht sich so langsam, dass man es erst bemerkt, wenn man schon mitten drin ist im Sumpf dieser unheimlichen Familienaufstellung. Es geht nicht mehr um schrullige Künstlertypen und sonderbar-interessante Persönlichkeiten. Es geht nun um vererbte Traumata und die Gewalt, in der sich diese Traumata zeigen. Häusliche Gewalt, Gewalt gegen den eigenen Körper und scham- und rücksichtsloser Umgang mit Macht.

Der überdimensional große Gewalt-Akt eines Atombombenabwurfs, die physischen und psychischen Gewaltausbrüche einzelner Personen und nicht zuletzt auch die tödliche Gewalt, die gegenüber Fischen ausgeübt wird - das alles findet Platz in diesem spannenden Roman und wird schmerzhaft verflechtet. Dass aus diesem aber trotzdem noch ein beruhigendes Maß an Komik entspringt, ist eindeutig die Meisterleistung des Autors Paul Ferstl.

ごちそさまでした!

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