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Kind, das seinen Kopf in den Armen vergräbt

dpa-Zentralbild/Patrick Pleul

Auf Laut

Kinder als stille Zeugen häuslicher Gewalt

In den meisten Fällen häuslicher Gewalt sind auch Kinder betroffen. Auch wenn sie nicht direkt geschlagen werden, sondern Zeugen der Gewalttat sind, hat solch ein Erlebnis massive Auswirkungen auf ein Kind. Opferschutzorganisationen kritisieren, dass die Kinder zu wenig Betreuung bekommen und oft einfach vergessen werden.

Von David Riegler

Häusliche Gewalt hat viele Formen, von Demütigung und Schlägen bis zu Vergewaltigung oder sogar Mord. Meistens werden die Behörden von Nachbarn alarmiert, wenn laute Schreie oder zerbrechendes Geschirr zu hören sind. Zu diesem Zeitpunkt ist die Gewalt schon eskaliert und die Polizei verhängt ein Betretungsverbot für die Person, von der die Gefahr ausgeht. In den meisten Fällen sind es Männer, die Gewalt auf ihre Partnerin und Kinder ausüben. Laut Kriminalstatistik gab es letztes Jahr circa 8.750 Betretungsverbote und knapp 90 Prozent der sogenannten „Gefährder“ waren Männer. Mit diesen Zahlen kann man das Ausmaß der tatsächlichen häuslichen Gewalt nur schätzen, denn viel zu oft bleibt die Gewalt in den eigenen vier Wänden unentdeckt.

Kinder als Betroffene

Bei Einsätzen wegen häuslicher Gewalt seien in 70 bis 90 Prozent der Fälle auch Kinder betroffen, sagt Gerichtsmedizinerin Andrea Berzlanovich. Sie ist Professorin an der MedUni Wien und kennt die drastischen Auswirkungen von häuslicher Gewalt auf Kinder und Jugendliche. Sie kritisiert, dass Kinder und Jugendliche oft vergessen würden, wenn sie nicht direkt Opfer von Gewalt werden. „Kinder hören, wie sich die Eltern streiten. Sie hören, wie der Vater tobt, wie die Mutter vielleicht auch schreit. Wie sie weint, wie sie wimmert. Sie spüren die Aggression, die vorliegt, schon bevor die Gewalt eskaliert. Und sie spüren ihre eigene Hilflosigkeit und Ohnmacht. Sie sehen, wie die Mutter verletzt wird und sie sehen zum Beispiel auch wenn die Mutter vergewaltigt wird. Und in manchen Fällen sehen die Kinder sogar, dass die Mutter getötet wird.“, erzählt Andrea Berzlanovich.

Diese Erlebnisse können bei den Kindern massive Auswirkungen auf die Entwicklung haben. Die Gerichtsmedizinerin kennt die drastischen Langzeitfolgen aus ihren Forschungen: „Einerseits können die Kinder gesundheitliche Probleme davontragen. Das können chronische Schmerzen sein, die sich in Kopfweh, Bauchweh, Übelkeit und Erbrechen äußern. Die Kinder können an Schlafstörungen leiden, sie können Alpträume haben und sie können psychische Erkrankungen davontragen.“

Kinder kopieren später oft das Verhalten der Eltern

Eine weitere Langzeitfolge ist, dass Kinder oft das Verhalten der Eltern kopieren. Dieses Phänomen kennt auch Hedwig Wölfl, Geschäftsführerin des Kinderschutzzentrums „Die Möwe“. Sie beschreibt, dass Buben aus Gewaltfamilien oft selbst gewalttätig werden und Mädchen eher dazu neigen sich später selbst einen gewalttätigen Partner zu suchen. „Wir lernen hauptsächlich über Vorbilder. Vor allem von Personen, die die wichtigsten für uns sind.“, erklärt Hedwig Wölfl. Darum ist es besonders wichtig, das Erlebte in einem geschützten Raum zu reflektieren. Nur so kann man den Kindern klar machen, dass auch ein gewaltfreies Familienleben möglich ist.

Kinder stellen ihre eigenen Bedürfnisse oft zurück und konzentrieren sich darauf, dass zum Beispiel die Mutter in Sicherheit ist. Dabei vergessen sie auf die eigenen inneren Konflikte, die in manchen Fällen erst Jahre später aufbrechen. Im Kinderschutzzentrum wird als erstes ein sicherer Raum geschaffen, um die Anspannung der Kinder abzubauen. „Den Kindern versuchen wir, zu vermitteln, dass es nicht normal ist, dass sie das erleben müssen. Wir sagen ihnen, dass sie ein Recht auf eine unbeschwerte Kindheit haben.“, sagt Hedwig Wölfl. Die Kinder leiden oft unter dem akuten Stress, den eine Gewalterfahrung erzeugt. Außerdem sind sie oft in Loyalitätskonflikten und versuchen einzugreifen, um die Gewalt zu stoppen. Dabei werden sie selbst zur Zielscheibe des gewalttätigen Elternteils.

Mehr Hilfe für die Opfer

Ein großes Problem ist, dass die Dunkelziffer bei häuslicher Gewalt sehr groß ist, denn oft bedrohen die Gefährder ihre Frauen und Kinder, um sie einzuschüchtern. Aus Angst um das eigene Leben und das Leben der Kinder, holen sich viele Betroffene keine Hilfe. In manchen Fällen wird die häusliche Gewalt erst entdeckt, wenn es bereits zu spät ist. Darum fordert die Gerichtsmedizinerin Andrea Berzlanovich, dass speziell im Gesundheitsbereich sehr genau hingesehen wird: „Ärzte, Pflegepersonal und Therapeuten sollen Kinder ansprechen, wenn sie das Gefühl haben, es könnte häusliche Gewalt im Spiel gewesen sein.“ Denn nur wenn die Situation richtig eingeordnet wird, könne man die Kinder fachgerecht unterstützen und betreuen.

Die Opferschutzorganisationen fordern eine bessere Unterstützung für die Opfer. „Kinder, die häusliche Gewalt miterleben mussten, haben selbst psychische Gewalt erlebt“, sagt Hedwig Wölfl. Sie fordert, dass Kinder die Zeugen von Gewalt werden, die gleichen Rechte bekommen, wie Kinder, die direkt Opfer von Gewalt werden. Ihrer Meinung nach ist vor allem eine pädagogische und psychotherapeutische Unterstützung notwendig. Nur mit einer entsprechenden Betreuung könne man die drastischen Langzeitfolgen abschwächen und verhindern, dass die Kinder später selbst eine Gewaltbeziehung eingehen.

FM4 Auf Laut: Gewalt an Frauen

Die aktuellen Zahlen bestätigen dringenden Handlungsbedarf im Bereich häuslicher Gewalt. Besonders Gewaltdelikte gegen Frauen nehmen zu, bei Morden und Mordversuchen an Frauen ist Österreich trauriger Spitzenreiter innerhalb der EU. Derzeit läuft die Veranstaltungsreihe „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ in ganz Österreich, um auf die Problematik aufmerksam zu machen.

Am 27.11. reden wir bei Auf Laut über das Thema Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt. Ab 21 Uhr spricht Lukas Tagwerker mit Betroffenen und ExpertInnen und diskutiert, welche Maßnahmen es braucht, um der zunehmenden Gewalt etwas entgegenzusetzen.

Ihr könnt mit uns diskutieren und eure Erfahrungen teilen unter der Nummer 0800 226 996. Heute, 27.11. in FM4 Auf Laut ab 21 Uhr.

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